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Paul
I
Paul
 
[lateinisch paul(l)us, eigentlich »der Kleine«], Herrscher:
 
 Griechenland:  
 1) Paul I., König der Hellenen (1947-64), * Athen 14. 12. 1901, ✝ Tatoi (bei Athen) 6. 3. 1964; dritter Sohn König Konstantins I., Nachfolger seines Bruders Georg II.; lebte 1923-35 und 1941-46 im Exil; Ȋ seit 1938 mit Friederike Luise (* 1917, ✝ 1981), Prinzessin von Hannover-Braunschweig; bestieg am 1. 4. 1947 den Thron.
 
 Jugoslawien:  
 2) Paul Karađorđević [-'dɕɔrdɕɛvitɕ], Prinzregent, * Sankt Petersburg 27. 4. 1893, ✝ Neuilly-sur-Seine 14. 9. 1976; übernahm nach der Ermordung seines Vetters Alexander I. am 10. 10. 1934 die Regentschaft für dessen minderjährigen Sohn Peter II. Er unterstützte die Politik des Gleichgewichts auf dem Balkan und die politische und wirtschaftliche Annäherung an das Deutsche Reich. Nach dem Militärputsch vom 26./27. 3. 1941 abgesetzt, lebte er danach in Paris.
 
 Russland:  
 3) Paul I. Pẹtrowitsch, Kaiser (seit 1796), * Sankt Petersburg 1. 10. 1754, ✝ (ermordet) ebenda 24. 3. 1801; Sohn Peters III. und Katharinas II., die ihn von allen Staatsgeschäften fernhielt. Als Paul im November 1796 auf den Thron gelangte, stellte er sich in scharfen Gegensatz zur Politik seiner Mutter. Positive Leistungen waren die Neuordnung der Thronfolge (Einführung der Primogenitur 1797) und die Weiterentwicklung der Fachministerien sowie Maßnahmen zum Schutz der leibeigenen Bauern. Aus romantischer Vorliebe für christlichen Rittertum übernahm Paul das Protektorat über den Malteserorden, dessen Großmeister er 1798 wurde. Nach der Besetzung Maltas durch Napoleon Bonaparte 1798 schloss sich Paul der Zweiten Koalition (Französische Revolutionskriege) an. Als Paul sich jedoch trotz großer russischer Erfolge (A. W. Suworow) von Österreich und England übervorteilt und im Stich gelassen fühlte, schied er Ende 1799 aus der Koalition aus. 1800 trat er offen auf Napoleons Seite und bemühte sich, die mittleren und kleinen Seemächte zu einem Bund gegen England zu vereinen; mit der Annexion Georgiens (1801) versuchte er, eine Eroberung Indiens vorzubereiten. Pauls krankhaft despotisches Auftreten, seine willkürlich-kleinliche Strenge in der Armee und die Planlosigkeit seiner Außenpolitik machten ihn verhasst und führten zu einer Offiziersverschwörung unter Leitung v. a. des Grafen P. A. von der Pahlen und L. von Bennigsens; der Kaiser wurde in seinem Schlafgemach erdrosselt. - Paul, in erster Ehe seit 1773 Ȋ mit Wilhelmine von Hessen-Darmstadt (* 1755, ✝ 1776), hatte sich 1776 in zweiter Ehe mit Prinzessin Sophie Dorothea Auguste von Württemberg (russisch Maria Fjodorowna [* 1759, ✝ 1828]) verheiratet; aus dieser Ehe stammten vier Söhne, darunter die Kaiser Alexander I. und Nikolaus I., und sechs Töchter.
 
Literatur:
 
V. Graf Zubow: Zar P. I. Mensch u. Schicksal (1963);
 N. E. Saul: Russia and the Mediterranean, 1797-1807 (Chicago, Ill., 1970);
 
P. I. A reassessment of his life and reign, hg. v. H. Ragsdale (Pittsburgh, Pa., 1979);
 R. E. McGrew: P. I of Russia, 1754-1801 (Oxford 1992).
II
Paul,
 
Päpste:
 
 1) Paul I. (757-767), ✝ Rom 28. 6. 767; Römer, Bruder und Nachfolger Stephans II.; baute das von diesem geschlossene Bündnis mit den Franken weiter aus, um sich gegen die Byzantiner und Langobarden zu schützen, und betrachtete den fränkischen Herrscher als »Defensor«, »Patronus« und »Advocatus« der römischen Kirche. Als erster Papst sandte er einem weltlichen Herrscher (Pippin III.) ein Schwert und zeigte nicht dem Kaiser, sondern dem fränkischen König seine Wahl an. - Heiliger (Tag: 28. 6.).
 
 2) Paul II. (1464-71), früher Pietro Bạrbo, * Venedig 23. 2. 1418, ✝ Rom 26. 7. 1471; wurde 1440 von seinem Onkel Eugen IV. zum Kardinal ernannt. Unmittelbar nach seiner Papstwahl widerrief er das im Konklave gegebene Wahlversprechen der Einberufung eines allgemeinen Konzils und der Fortsetzung des Türkenkrieges, unterstützte jedoch finanziell den albanischen Fürsten Skanderbeg im Kampf gegen die Türken. 1466 bannte er den hussitisch gesinnten böhmischen König Georg von Podiebrad. Mit den römischen Humanisten lebte er in dauerndem Konflikt und wurde von diesen als »Barbar« (B. Sacchi) bezeichnet. 1470 legte er das Zeitintervall für das heilige Jahr auf 25 Jahre ab 1475 fest.
 
 3) Paul III. (1534-49), früher Alessandro Farnese der Ältere, * Canino (Provinz Viterbo) Februar 1468, ✝ Rom 10. 11. 1549; wurde 1493 von Alexander VI. zum Kardinal erhoben, erst 1519 zum Priester geweiht und war seit 1524 Kardinalbischof von Ostia. Zwar kennzeichnen ihn seine ausgedehnte Kunstförderung (u. a. Michelangelo) und sein hemmungsloser Nepotismus noch als typischer Vertreter des Renaissancepapsttums, doch brachte sein Pontifikat in vielfacher Hinsicht einen Neuanfang. Sein Bemühen um innerkirchliche Reform zeigt sich u. a. in der Ernennung der Kardinäle G. P. Carafa (der spätere Paul IV.), Gasparo Contarini (* 1483, ✝ 1542), Iacopo Sadoleto (* 1477, ✝ 1547), R. Pole, M. Cervini (der spätere Marcellus II.), in der Einberufung einer Reformkommission (1536), in der Unterstützung neuer Orden (1540 Anerkennung der Jesuiten) und in seinem Drängen auf Einhaltung der bischöflichen Residenzpflicht. 1542 ordnete er die Inquisition neu durch Einführung des »Sanctum Officium«. Die seit 1535 laufenden Vorbereitungen für die Einberufung eines Konzils führten erst 1545 mit der Eröffnung des Konzils von Trient zum Erfolg.
 
 4) Paul IV. (1555-59), früher Gian Pietro Carafa, * Capriglio 28. 6. 1476, ✝ Rom 18. 8. 1559; war Bischof von Chieti (1505), Nuntius in England (1513), Erzbischof von Brindisi (1518), wurde 1536 Kardinal und 1549 Erzbischof von Neapel. Paul war in jungen Jahren ein Hauptvertreter der katholischen Reform; 1524 gründete er mit Cajetan von Thiene (* 1480, ✝ 1547) den Orden der Theatiner und wurde dessen erster Oberer. Seine Ziele, Kirchenreform und Abwehr von Protestantismus und Häresie, verfolgte er in extrem unnachgiebiger und rücksichtsloser Weise. Die von ihm besonders geförderte Inquisition verfolgte unter seinem Pontifikat selbst die kirchentreuen Kardinäle R. Pole und G. Morone. 1559 veröffentlichte Paul den ersten Index der verbotenen Bücher und erklärte in der Bulle »Cum ex apostolatus officio« alle Häretiker, insbesondere die protestantischen Fürsten, aller Würden und Rechte für verlustig. Seine gegen die Juden gerichtete Bulle »Cum nimis absurdum« (1555) hatte die Zwangsgettoisierung der italienischen Juden und ihre gesellschaftliche Diskriminierung zur Folge. Die Fortsetzung des Konzils von Trient lehnte Paul ab. Seine politische Einstellung war von Feindseligkeit gegenüber dem Haus Habsburg bestimmt; u. a. verweigerte er die Anerkennung von Kaiser Ferdinand I. Unmittelbar nach dem Tod Pauls entlud sich der Hass auf ihn in einem Volksaufstand, bei dem das Gebäude der Inquisitionsbehörde in Brand gesetzt wurde.
 
Literatur:
 
L. Riess: Die Politik P.s IV. u. seiner Nepoten (1909, Nachdr. Vaduz 1965).
 
 5) Paul V. (1605-21), früher Camillo Borghese [bɔr'geːse], * Rom 17. 9. 1552, ✝ ebenda 28. 1. 1621; wurde 1597 Bischof von Jesi, 1603 Generalvikar in Rom und Inquisitor. Bald nach seiner Papstwahl kam es zu einem scharfen Konflikt mit der Republik Venedig. Paul versuchte durch den Einsatz von Bann und Interdikt päpstliche Hoheitsansprüche aus dem Mittelalter durchzusetzen, erlitt in dem 1607 geschlossenen Kompromissfrieden jedoch eine Niederlage. Innerkirchlich versuchte Paul die Weltmission und die katholische Reform voranzutreiben (Förderung der neuen Orden; 1614 Ausgabe des Rituale Romanum). Im Gnadenstreit nahm er eine vermittelnde Position ein. In das Pontifikat Pauls fallen der erste Prozess gegen G. Galilei (1616) und die Vollendung der Peterskirche.
 
 6) Paul VI. (1963-78), früher Giovanni Battista Montini, * Concesio (bei Brescia) 26. 9. 1897, ✝ Castel Gandolfo 6. 8. 1978; war 1922-54 im Päpstlichen Staatssekretariat tätig, wurde 1954 Erzbischof von Mailand, 1958 Kardinal, am 21. 6. 1963 zum Papst gewählt. Sein Pontifikat war geprägt vom 2. Vatikanischen Konzil (1962-65), das von Paul weitergeführt und zum Abschluss gebracht wurde. Zeichen einer Öffnung der katholischen Kirche gegenüber anderen Kirchen wie auch gegenüber der nichtchristlichen Welt waren die Einrichtung der päpstlichen Sekretariate für die Nichtchristen (1964; seit 1988 »Päpstlicher Rat für den interreligiösen Dialog«) und die Nichtglaubenden (1965; seit 1993 »Päpstlicher Rat für die Kultur«) und die Reisen Pauls (u. a. nach Israel (1964), zur UNO in New York (1965) und zum Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf (1969), wie auch die Bemühung um bessere Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten im Rahmen der von Paul initiierten »Vatikanischen Ostpolitik« (1964 Besuch A. Gromykos und N. W. Podgornyjs im Vatikan; Konkordate mit Jugoslawien und Ungarn; 1974 die umstrittene Amtsenthebung J. Mindszentys). Schwerpunkt der ökumenischen Bestrebungen Pauls war die Annäherung an die orthodoxe Kirche (Begegnungen mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras I.; Erklärung zum Morgenländischen Schisma). Der Dialog mit der anglikanischen Kirche wurde mit dem Besuch des Erzbischofs von Canterbury A. M. Ramsey bei Paul in Rom (1966) offiziell eingeleitet.
 
Zu den kirchlichen Reformmaßnahmen Pauls gehörten die Einrichtung der Bischofssynode, die Neuorganisation des Behördenapparats der römischen Kurie, die Vereinfachung des kurialen Zeremoniells sowie die Unterstützung der Liturgiereform und der Revision des Kirchenrechts. 1976 suspendierte Paul den traditionalistischen Bischof M. Lefebvre. Zu den zum Teil sehr umstrittenen Enzykliken Pauls gehören Ecclesiam suam (1964; Selbstverständnis der katholischen Kirche und ihr Verhältnis zur Welt), Populorum progressio (1967; Sozialenzyklika), Sacerdotalis caelibatus (1967; Bekräftigung der Zölibatsvorschrift) und Humanae vitae (1968; Verurteilung der künstlichen Empfängnisverhütung).
 
Ausgaben: Giovanni e Paolo, due papi. Saggio di corrispondenza (1925-1962), herausgegeben von L. F. Capovilla (1982); Paolo VI: Discorsi e scritti sul concilio, herausgegeben von A. Rimoldi (1983); Paolo VI: Discorsi e documenti sul concilio, herausgegeben von demselben (1986); Paolo VI: Insegnamenti sulla scienza e sulla tecnica, herausgegeben von L. Nicoletti (1986); G. B. Montini: Lettere a casa (1915-1943), herausgegeben von N. Vian (1987).
 
Literatur:
 
J. Guitton: Dialog mit P. VI. (a. d. Frz., Neuausg. 1969);
 D. A. Seeber: P., Papst im Widerstreit (21972);
 R. Raffalt: Wohin steuert der Vatikan? (1973);
 H. Stehle: Die Ostpolitik des Vatikans: 1917-1975 (1975);
 A. Dupuy: La diplomatie du Saint-Siège après le IIe concile du Vatican. Le pontificat de P. VI: 1963-1978 (Paris 1980);
 
Vatikan. Ostpolitik unter Johannes XXIII. u. P. VI 1958-1978, hg. v. K.-J. Hummel (1999).
III
Paul,
 
1) Bruno, Architekt, Designer und Grafiker, * Seifhennersdorf (bei Zittau) 19. 1. 1874, ✝ Berlin 17. 8. 1968; arbeitete zunächst als Zeichner für den »Simplicissimus« (zahlreiche Karikaturen) und die »Jugend«; 1897 Mitbegründer der »Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk« in München. 1924-33 war er Direktor der Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin. Als Designer (Möbel, Innenausstattungen) orientierte er sich an Jugendstil und Art déco. Mit seinen architektonischen Entwürfen (Villen, Zweckbauten) der 1920er-Jahre näherte er sich dem internationalen Stil; er entwarf auch Plakate.
 
Werke: Haus Feinhals in Köln (1908, begonnen von J. M. Olbrich); Asiatisches Museum in Berlin (1914 ff.); Palais Mendelssohn-Bartholdy, ebenda (1916); Kathreiner-Hochhaus, ebenda (1927-28).
 
Literatur:
 
B. P., hg. v. L. Lang (1974);
 S. Günther: B. P. 1874-1968 (1992);
 F. Ahlers-Hestermann: B. P. oder die Wucht des Komischen (21994).
 
 2) Hermann, Germanist, * Salbke (heute zu Magdeburg) 7. 8. 1846, ✝ München 29. 12. 1921; war seit 1874 Professor in Freiburg im Breisgau, seit 1893 in München; gehörte mit zu den führenden Vertretern der Junggrammatiker (»Mittelhochdeutsche Grammatik«, 1881). In der von Paul begründeten »Altdeutsche Textbibliothek« (1882 ff.) erschienen mustergültig edierte Texte der mittelalterlichen Literatur.
 
Literatur:
 
E. Sievers in: Beitrr. zur Gesch. der Dt. Sprache u. Lit., Jg. 46 (1921, mit Biogr. u. Bibliogr.);
 
Germanistik als Kulturwiss. H. P. - 150. Geburtstag u. 100 Jahre Dt. Wb. Erinnerungsblätter u. Notizen zu Leben u. Werk, hg. v. A. Burkhardt u. H. Henne (1997).
 
 3) Jean, Schriftsteller, Jean Paul.
 
 4) Wolfgang, Physiker, * Lorenzkirch (Landkreis Riesa—Großenhain) 10. 8. 1913, ✝ Bonn 6. 12. 1993; Professor in Göttingen (ab 1950) und Bonn (ab 1952); 1964-67 Direktor des Physikdepartements am Europäischen Kernforschungszentrum CERN, 1970-73 Vorsitzender des Direktoriums des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY). Arbeiten u. a. über Atom- und Molekularstrahlen, zur Massenspektroskopie und zur Isotopentrennung mit Massenfiltern, über die Abbremsung und Streuung energiereicher Elektronen durch Materie, zur Strahlenbiologie und Dosimetrie energiereicher, auf biologische Objekte einwirkender Elektronen sowie zur Strahlentherapie mit Elektronenstrahlen. Paul erhielt 1989 für die Entwicklung einer Ionenfalle (Paul-Falle) mit H. Dehmelt und N. F. Ramsey den Nobelpreis für Physik.

Universal-Lexikon. 2012.