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Rauschgifte
Rauschgifte,
 
in Deutschland juristischer Sammelbegriff für Stoffe und Stoffgemische unterschiedlicher Herkunft, Zusammensetzung und Wirkung, die im Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG; vom 28. 7. 1981, gültig in der Fassung vom 1. 3. 1994) aufgeführt sind und deren Anbau, Herstellung, Ein- und Ausfuhr, Vertrieb, Erwerb, Besitz und Handel unter Strafe gestellt sind, sofern keine spezielle Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegt. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden sie vielfach - den Begriff einschränkend und wissenschaftlich nicht korrekt - nur als Drogen bezeichnet. Alle Arten von legalen und illegalen Drogen können missbraucht werden (Sucht).
 
 Rauschgifte in der Kulturgeschichte
 
Der Konsum unterschiedlichster Drogen ist untrennbar mit der Kulturgeschichte des Menschen verbunden. In früher vorgeschichtlicher Zeit haben bei den Sammlern und Jägern wahrscheinlich zufällige Heilungen und Vergiftungen nach der Anwendung von Pflanzen den ersten Anlass zu zielgerichteter Suche gegeben. Nach der letzten Eiszeit fing ab 10 000 v. Chr. der Mensch an, sesshaft zu werden; zeitlich damit verbunden sind die Anfänge der Wildpflanzendomestikation zu Kulturpflanzen (Gerste und Emmer). Feuchtes Brot führte über die Vergärung zu den ersten Ur-Bieren. Um 8000 bis 7000 v. Chr. begann man mit dem Weinbau im heutigen Nahen Osten und der Südtürkei. Zur gleichen Zeit war im Mittleren Osten die betäubende Wirkung des Mohnsaftes wahrscheinlich schon bekannt. Die ursprüngliche Heimat der Wildform des Faserhanfs (Cannabis) ist wohl Zentralasien, den Hanf- und Mohngebrauch verbreiteten vermutlich asiatische Nomadenhändler. In der Jungsteinzeit entstanden an den großen Flüssen (Nil, Euphrat und Tigris, Indus, Hwangho) mit ihrem fruchtbaren Kernland die ersten Hochkulturen, deren Erfahrungsmedizin, weitgehend von Ritual und Magie bestimmt, eine ganze Reihe von pflanzlichen, tierischen und mineralischen Drogen und Heilerden bekannt war. Beispiele sind das Pharmakologiewerk des sagenhaften chinesischen Kaisers Shengnong (Sheng-nung, 2828-2698 v. Chr.) oder im alten Ägypten der so genannte Papyrus Ebers (1700-1600 v. Chr.), in dem die Kenntnisse über rd. 700 Pflanzendrogen gesammelt waren. Im Altertum wurden bereits 2000-1500 v. Chr. auf den Umschlagplätzen der frühen ägyptischen und vorderasiatischen Kulturgüter auch Rauschgetränke (Wein), Arzneidrogen, aber auch zum Teil verbotene schwere Gifte angeboten, z. B. der hochgiftige Eisenhut.
 
Die Einteilung der Drogen ergab sich aus deren Wirkungen und den Anwendungsbereichen: 1) Giftdrogen in der Jagd- und Kriegskunst (z. B. Eisenhut, Alraunauszüge und das Gift der Eibe) oder als Mord- und Selbstmordgifte (z. B. Herbstzeitlose, Tollkirsche und Schierling); 2) zur Behandlung verwendete Drogen; so zählten zu den schmerzlindernden Narkotika der Schlafmohn, das Bilsenkraut, die Alraunwurzel und der Hanf. Mit ihnen stellte man Wundertränke »gegen alle Krankheit« her, mit Alraunauszügen den »Lethe-Trank« im antiken Griechenland und mit Mohnwirkstoffen den »Theriak« in Rom; 3) Zauberpflanzen, die als Sakraldrogen eine Mittlerrolle zwischen den Menschen und ihren Göttern spielten. Als Pflanzen der Götter wurden in der westlichen Hemisphäre, in der inzwischen etwa 150 halluzinogene Pflanzen bekannt sind, ab 3000 v. Chr. die Blätter des Kokastrauchs, ab 2000 v. Chr. psilocybinhaltige Pilze, ab 1000 v. Chr. der mescalinhaltige Peyotlkaktus von verschiedenen Indiokulturen Mittel- und Südamerikas verehrt. Die 1918 gegründete Native American Church benutzt noch immer Peyotl legal als sakrales Andachtsmittel. In der östlichen Hemisphäre, die kaum 20 halluzinogene Pflanzen kennt, war ab 1500 v. Chr. der Fliegenpilz, wahrscheinlich das »Soma« der indogermanischen Indoiranier, wichtige Sakraldroge. Für den östlichen Mittelmeerraum der Antike stand die Wiege der Giftmischer und Zauberer in Kaukasien (Giftgarten des Königs von Kolchis). In Griechenland wurde z. B. der Mohn den Göttern des Schlafes (Morpheus), der Nacht (Nyx) und des Todes (Thanatos) zugesprochen, die Göttin Atropos wurde zur Namensgeberin der Tollkirsche (Atropa belladonna). Der Stechapfel (Datura) spielte als Götterdroge von Mexiko bis nach Indien eine sakrale Rolle. Der Gebrauch dieser magischen Drogen war in der Regel nur Eingeweihten und Privilegierten vorbehalten. Berauschende, noch nicht hochprozentige Getränke hingegen, aus Weintrauben, Getreide, Reis, Hirse, Kartoffeln, Palmsaft, Kuh- und Stutenmilch hergestellt, waren eher Volksdrogen. Höherprozentige Alkoholika entstanden, nachdem die Araber im Mittelalter die Destillation entdeckt hatten. Im Hochmittelalter brachte der Handel mit Gewürz-, Riechstoff- und Räucherdrogen (»orientalische« Drogen) als Luxusgütern den italienischen Handelsrepubliken (z. B. Venedig) große Vermögen. Der Klerus baute mithilfe seiner kräuterkundigen Mönche ein Arzneidrogenmonopol auf, das durch kaiserliche Privilegien abgesichert wurde. Medizinalverordnungen wie die des Kaisers Friedrich II. (1240) schufen den neuen Berufsstand der Apotheker. Die von Apothekern geschaffenen universellen Heilmittel hielten sich oft über Jahrhunderte, so vom 13. bis 15. Jahrhundert der Branntwein, der als »glückhafte Medizin« innerlich (Trinkbranntwein) und äußerlich angewendet wurde, und vom 16. bis 19. Jahrhundert die Opiumtinktur, die als »lobenswerte, rühmliche Arznei Laudanum« von Paracelsus als neues universelles Heilmittel in den Arzneimittelschatz eingeführt wurde. Die Heilkunst gehörte als »weiße Magie« wie die »schwarze Magie«, der Zauber und Gegenzauber, zum magischen Weltbild des mittelalterlichen Menschen, ebenso der fest verwurzelte Glaube an den uralten Schaden- und Krankheitszauber (Hexerei). Die Inquisition machte als unentbehrliche Attribute der Zeremonien Hexentränke und Zaubersalben aus, die oft Bilsenkraut-, Stechapfel-, Alraun- und Tollkirschenextrakte, aber auch Mohn-, Schierlings- und Wolfsmilchauszüge enthielten. Die halluzinogen wirkenden Nachtschattenalkaloide konnten zu Flugträumen (»Hexenritt«) und Persönlichkeitsänderungen (»Tierverwandlungen«) führen. Mit der Entdeckung der Seewege nach Amerika (1492) und Indien (1498) kamen bisher unbekannte, kulturfremde Drogen in die Alte Welt. Aus Amerika brachten die Spanier den Tabak und die unbekannte Konsumform des Rauchens mit. In vielen Ländern Europas und Asiens bis Ende des 17. Jahrhunderts reglementiert beziehungsweise oft verboten (Todesstrafe in Lüneburg noch 1691), verbreitete sich der Tabakkonsum dann aber schnell. Den Kaffee brachten italienische Kaufleute im 17. Jahrhundert nach Europa, wo er sich über die Kaffeehauskultur in den Großstädten verbreitete. Das Kauen der anregenden Blätter des Kathstrauches, der im Jemen erstmals um 1300 erwähnt wurde, ist bis heute in Südarabien und Teilen Ostafrikas verbreitet. Wesentlich älter und von Ostafrika über Indien und Indonesien bis nach Polynesien verbreitet war der Brauch des Kauens der Betelnüsse. Die inzwischen von über 200 Mio. Menschen dieser Region praktizierte Sitte fand nie Eingang in Europa, wohl aber die Droge Tee, die als Genussmittel in China ab dem 6. Jahrhundert und in Japan ab dem 15. Jahrhundert in größerem Umfang angebaut wurde. Über Venedig kam er 1550 nach Europa. In England hatte sich bis Anfang des 17. Jahrhunderts der Bier- und Weinmissbrauch (1606 Gesetz gegen die Trunkenheit), im 18. Jahrhundert der Missbrauch des holländischen Alkoholdestillats Gin (Gin-Gesetze 1729 und 1751), der von England aus auch Amerika erfasste, sehr ausgedehnt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es in Finnland und Schweden zu unkontrolliertem Alkoholmissbrauch. In der Folge formierten sich in Skandinavien und den USA zunehmend größer und einflussreicher werdende Mäßigkeits- und Abstinenzverbände, die den Missbrauch ächteten und Alkoholverbote anstrebten und Anfang des 20. Jahrhunderts in Schweden (1917) und in Finnland (1932) Alkoholmonopole des Staates und Abgabereglementierungen, in den USA von 1919 bis 1933 ein völliges Verbot (Alkoholprohibition) erreichten.
 
Im China der Qingdynastie hatten die Mandschukaiser 1729 Opium verboten und erneuerten diese Prohibition 1780 und 1796. Durch die neue Droge Tabak und die Konsumform des Rauchens (Rauchopium = Chandu) verbreitete sich im Kaiserreich auch das Opium. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts hatte die East India Company (EIC) den Opiumschmuggel von Indien nach China übernommen. Die Vernichtung von 20 291 Opiumkisten (1 360 t) der EIC durch die chinesische Regierung (1839) war Anlass für den ersten Opiumkrieg zwischen England und China, in dessen Folge Hongkong britische Kronkolonie wurde (1843). Von 1857 bis 1860 führten England und Frankreich einen weiteren Opiumkrieg (Lorchakrieg). Das erneut geschlagene China musste nun u. a. die Missionierung durch christliche Geistliche aus Europa, später auch den USA und die völlige Legalisierung des Opiumhandels (von Chinesen zu »Jesus-Opium« zusammengefasst) zulassen. Die nächsten zwei Jahrzehnte waren vom umfangreichsten Opiumhandel gekennzeichnet, den es in der bisherigen Menschheitsgeschichte gegeben hat. Als Königin Victoria 1877 den Titel Kaiserin von Indien annahm, wurden in ihrem Namen jährlich über 5 000 t Opium nach China exportiert. Aber auch der ab dem 18. Jahrhundert zunehmende Bedarf des eigenen Königreiches wurde gedeckt. Die starke Verbreitung in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieb T. De Quincey in seinen »Bekenntnissen eines englischen Opiumessers« (1822). Neben den Briten setzten auch andere Kolonialmächte auf die gewinnträchtige Droge. Frankreich errichtete in Indochina, die Niederlande in Indonesien Opiummonopole. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Anzahl der Opiumkonsumenten weltweit auf 400 Mio. geschätzt. In den Häfen Frankreichs, Englands, Deutschlands, der Niederlande und der USA entstanden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Tausende von »Rauchlokalen«, vom vornehmen Salon bis zu berüchtigten »Opiumhöhlen«. In China gab es 1900 weit über 20 Mio. Opiumkonsumenten. Politischer Druck der Anti-Opium-Bewegungen in England und den USA führte 1909 zur ersten »Opiumkonferenz« in Schanghai. In der Folge wurde Opium im 20. Jahrhundert, mit Ausnahme medizinischer Verwendung, international geächtet und durch nationalstaatliche »Opiumgesetze« verboten. Zu den kolonialen Drogenressourcen gehörte im 19. Jahrhundert auch Hanf (Cannabis). Die Medizinalwirkungen des Indischen Hanfs (Ganja) ließ die EIC untersuchen und die vermarktbaren Ergebnisse unter Apothekern und Pharmazeuten in Europa und Amerika verbreiten. Aus Indien brachte England 1865 schon über 3 000 t Ganja nach Europa. Frankreichs Apotheken bezogen Hanf (»Khif«) aus dem 1830-47 eroberten Algerien. Die »orientalische« Droge spielte sowohl in Frankreich als auch in den USA in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nur in kleinen Künstlerkreisen eine Rolle. Zu einer Massenverbreitung kam es in dieser Zeit jedoch weder in den USA noch in Europa.
 
 Veränderungen von Konsum und Handel seit dem 19. Jahrhundert
 
Ein enormes Wachstum hingegen verzeichnete die pharmazeutische Industrie, v. a. ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, das begünstigt wurde durch 1) den Bevölkerungszuwachs in Europa und den USA; 2) die unerschöpflichen Drogenrohstoffreserven (Opium, Hanf, Koka) der europäischen Kolonialmächte; 3) die Wissenschaft; Forscher isolierten aus bekannten und neuen Naturstoffen diverse Wirkstoffe, z. B. Morphin (1805), Strychnin (1817), Koffein (1820), Nikotin (1828), Atropin (1833), Kokain (1859), Ephedrin (1887) und Mescalin (1896). 4) Mehrere große Kriege, so der Krimkrieg (1853-56), der Amerikan. Bürgerkrieg (1861-65) und der Deutsch-Französischen Krieg (1870-71), machten den massenhaften Einsatz potenter Schmerz- und Betäubungsmittel (Morphinismus als »Soldatenkrankheit«) erforderlich. Um Umsatz und Gewinn zu steigern, propagierten die Pharmafirmen den Drogenkonsum als Alltagshilfe. Geworben wurde für drogenhaltige Tonika, Pastillen, Elixiere, Sirupe, Pillen, Puder- und Salbensorten. Versetzt waren diese u. a. mit Alkohol, Hanf, Opium, Morphin. Beliebt waren kokainhaltige Refreshments. So schrieben z. B. in Europa der Kokawein »Mariani« (Frankreich ab 1863) und in Amerika »Coca Cola« (USA ab 1886; Entkokainisierung 1903) Getränkegeschichte. Der boomende Drogenmarkt bot Kokakaugummis und Kokazigaretten, im deutschen Kaiserreich auch Hanfzigaretten an. Die Forscher der Pharmaunternehmen entdeckten flüchtige Substanzen, wie Stickstoffoxydul (Lachgas) und Äther, die, für die medizinische und industrielle Praxis gedacht, von vielen mittels Inhalation (Beginn des »Schnüffelns«) missbraucht wurden. Sie stellten anregende Mittel (Amphetamin/Benzedrin 1887) künstlich her und suchten die Potenz bekannter Betäubungsmittel zu erhöhen. So führte Heinrich Dreser, Pharmakologe der Firma Friedrich Bayer & Co. (Barmen 1863), Diacetylmorphin 1898 als »Hypnotikum anstelle Morphin« in die Therapie ein. Unter dem Handelsnamen »Heroin« wurde die Droge in neuer Konsumform, der Tablette, über zwei Jahrzehnte weltweit vertrieben.
 
Die im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts begonnene unkontrollierte Drogenverbreitung in Europa und den USA (erste Drogenwelle) dauerte bis Kriegsbeginn (1914). Die Politik setzte auf repressive Maßnahmen, d. h. Strafandrohung durch Drogengesetze, Strafverfolgung durch Polizei und Strafvollstreckung durch Gerichte. Aber auch der Erste Weltkrieg (1914 -18) wurde zum Drogenmultiplikator, v. a. für Aufputschmittel (Heereskokain als »Fliegerdroge«). In den 20er-Jahren fand das (als Konsumform neue) Schnupfen von Kokain mehr und mehr Verbreitung, und eine zweite Drogenwelle rollte über Europas Metropolen, von Paris und London bis nach Budapest und Prag. In Frankreich zählte man 1924 fast 100 000 »Kokser«, in Berlin, seinerzeit die Hochburg des Amüsements in Europa, gab es damals 10 000 bis 20 000 Kokainkonsumenten. Die Vergnügungsindustrie einschließlich des Drogenhandels war von kriminellen Gruppen, den »Ringvereinen«, organisiert. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden 62 Ringvereine aufgelöst. Die chemische und pharmazeutische Industrie suchte in den 20er-Jahren kriegsbedingte Einbußen durch Unternehmenskonzentration und internationale Betätigung auszugleichen. 1926 war die Weimarer Republik der weltweit größte Narkotikaproduzent. Als hochprofitabel erwies sich auch der organisierte Handel mit geächteten beziehungsweise verbotenen Drogen, z. B. in den USA mit Alkohol. 1929 gründete der Mafioso A. Capone in den USA das »National Crime Syndicate«. Bis zum Ende der Prohibition 1933 hatte »das Syndikat« das Alkoholmonopol. In der Folge wandte es sich dem verbotenen Heroin zu und baute zur Versorgung von rd. 250 000 Heroinsüchtigen in den USA eine erste so genannte »French Connection« auf, die mit dem Zweiten Weltkrieg ihr vorläufiges Ende fand. Aber nicht nur in der westlichen, auch in der östlichen Hemisphäre (China, Hongkong, Japan) organisierten sich Kriminelle zwischen den Weltkriegen. Um die organisierte Kriminalität besser bekämpfen zu können, gründeten die nationalen Polizeibehörden 1923 die International Police Commission (Interpol) und 1930 das erste internationale Drogenbüro. Zeitlich parallel zur Entwicklung der Suchtmittelbekämpfung organisierte sich auch die Suchtkrankenhilfe. In der Weimarer Republik schlossen sich z. B. große Abstinenzverbände zur Reichshauptstelle gegen den Alkoholmissbrauch zusammen. Der Zweite Weltkrieg, der zum Multiplikator v. a. von Aufputschmitteln (Amphetamin) wurde, unterbrach lediglich diese Entwicklung.
 
 Entwicklung seit 1945 - neue Dimensionen der Drogenproblematik
 
In der Nachkriegszeit ist sowohl das Geschäft mit illegalen als auch mit legalen Drogen durch Konzentration und Internationalisierung gekennzeichnet. Wenige Anbieter beherrschen zum Ende des 20. Jahrhunderts die entsprechenden Märkte, z. B. liegt fast die Hälfte der Weltproduktion an Zigaretten bei wenigen multinationalen Konzernen. Der Zigarettenumsatz der Welt lag 1995 bei rd. 100 Mrd. US-$. Noch höher ist der Umsatz der Alkoholindustrie, allein der Einzelhandel kam weltweit 1995 auf 170 Mrd. US-$. Mitte der 60er-Jahre konzentrierte sich im Bier- und Spirituosenbereich die Marktherrschaft auf wenige Anbieter, bereits in den 80er-Jahren zählten vier der 27 globalen Alkoholkonzerne zu den führenden 20 Nahrungsmittelkonzernen der Erde. In den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts haben asiatische Heroinsyndikate, lateinamerikanische Kokainkartelle u. a. Gruppierungen der organisierten Kriminalität das Geschäft mit illegalen Drogen zu professionell arbeitenden Unternehmen, von der Anbauplanung bis zum Endverkauf, ausgebaut. Der Jahresweltumsatz dieser »Drogenindustrie« wurde 1991 auf 900 Mrd. bis 1 450 Mrd. DM jährlich geschätzt.
 
Den illegalen Drogenanbietern erwuchs in der zweiten Jahrhunderthälfte eine sehr große Drogennachfrage (dritte Drogenwelle) über mehrere Zeitphasen: 1) 50er-Jahre: In den USA stieg die Heroinnachfrage. 2) 60er-Jahre: In der 1. Hälfte entwickelte sich in den USA, in der zweiten in Westeuropa ein vom Halluzinogenkonsum (LSD u. a.) dominierter Drogenuntergrund, der durch Einfluss von Jugendsubkulturen (z. B. Hippies) und einschlägigen Drogenideologien (Psychedelismus, Timothy Leary) größer wurde. Für diese Szene wurde Cannabis zur »Einstiegsdroge«. In den USA nahm der Heroinmissbrauch weiter zu. In der Folge wurde hier 1963 Methadon zur Substitutionsbehandlung für Heroinabhängige eingeführt. 3) 70er-Jahre: Der Vietnamkrieg war für die USA bis 1973 ein Heroinmultiplikator. Mit Kriegsende stieg die Kokainnachfrage und wuchs das Angebot (»Columbian Connection«). In Westeuropa, v. a. in Deutschland, verstärkten sich die Heroinnachfrage und damit verbunden Beschaffungskriminalität und Prostitution sowie die Anzahl der Drogentoten. 4) 80er-Jahre: In den USA kamen zum Kokain die Billigvariante »Crack«, später synthetische Drogen (Designerdrogen) hinzu. In Westeuropa wuchs die Heroinproblematik an (in den EU-Staaten 1995 bis 1,5 Mio. Konsumenten), aber auch die Nachfrage nach Kokain und synthetische Drogen. Drogenabhängige wurden zunehmend von HIV-Infektionen und Aids, gesellschaftliche Ausgrenzung und Verelendung bedroht. Viele Länder Osteuropas und ab 1986 auch die ehemalige Sowjetunion meldeten eine Zunahme der Drogenprobleme. In den Entwicklungsländern nimmt der Heroinmissbrauch in Asien und der Gebrauch von Kokainbilligvarianten in Lateinamerika dramatisch zu. 5) 90er-Jahre: Der Anteil der Drogenkonsumenten in den Reformstaaten Osteuropas und der früheren Sowjetunion steigt rasch an. Gleichzeitig verzeichnen die Entwicklungsländer Lateinamerikas, Afrikas und Asiens eine Zunahme des Elendskonsums. Kokain und synthetische Drogen verbreiten sich in der östlichen Hemisphäre. Nach der Gründung von Landeskriminalämtern in den neuen Bundesländern und dort neu angesiedelten Rauschgiftbekämpfungsstellen wird auch Datenmaterial von Rauschgiftsicherstellungen in den neuen Bundesländern ausgewiesen und an das Bundeskriminalamt gemeldet, sodass sich ab 1993 die Zahl der Sicherstellungen auf Gesamtdeutschland bezieht, hingegen bis 1992 nur auf die alten Bundesländer. Die Zahl der Drogentoten wurde schon ab 1991 für Gesamtdeutschland erfasst. 1996 wurden in Deutschland 187 022 Rauschgiftdelikte registriert. Die Zahl der festgestellten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz stieg damit gegenüber dem Vorjahr um 18 %.
 
Die in den Jahren 1995/96 steil nach oben weisende Deliktentwicklung ist auch auf den wachsenden Gebrauch synthetischer Drogen zurückzuführen. Amphetamin und Ecstasy wiesen 1996 mit 15,9 % und 81,8 % die höchsten Steigerungsraten auf. 1996 wurden in Deutschland 1 712 Rauschgifttote registriert. Damit kam es erstmals wieder zu einem Anstieg.
 
Die über ein halbes Jahrhundert gewachsene Zunahme des Drogenmissbrauchs hoffte die Völkergemeinschaft ab den 20er-Jahren durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen verhindern zu können (Drogenpolitik). Keine der eingesetzten Strategien führte jedoch bisher zu einer befriedigenden Lösung des Problems.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Alkoholkrankheit · Betäubungsmittel · Drogen · Halluzinogene · Haschisch · Heroin · Kokain · Lösungsmittel · LSD · Mescalin · Morphin · Opium · Psychopharmaka · Rauchen · Sucht · Suchtkrankenhilfe · Suchtmittelbekämpfung
 
Literatur:
 
E. Freiherr von Bibra: Die narkot. Genußmittel u. der Mensch (1855, Nachdr. 1996);
 L. Lewin: Phantastica. Die betäubenden u. erregenden Genußmittel (31980);
 
Rausch u. Realität. Drogen im Kulturvergleich, hg. v. G. Völger u. a., Ausst.-Kat. Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln, 3 Bde. (Neuausg. 1982);
 B. G. Thamm: Drogenfreigabe - Kapitulation oder Ausweg? Pro u. Contra zur Liberalisierung von R. als Maßnahme zur Kriminalitätsprophylaxe (1989);
 
Hb. der Rauschdrogen, bearb. v. W. Schmidbauer u. J. vom Scheidt (Neuausg. 36.-40. Tsd. 1993);
 H. Wagner: Drogen u. ihre Inhaltsstoffe (51993);
 H.-G. Behr: Von Hanf ist die Rede. Kultur u. Politik einer Pflanze (Neuausg. 31995);
 M. Seefelder: Opium. Eine Kulturgesch. (31996);
 R. E. Schultes u. A. Hofmann: Pflanzen der Götter. Die mag. Kräfte der Rausch- u. Giftgewächse (a. d. Amerikan., Neuausg. Aarau 21996);
 K.-L. Täschner: Harte Drogen - weiche Drogen? (1997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Neurotransmitter: Botenstoffe im Nervensystem
 
Sucht und Suchtkrankheiten
 
Drogen und Gifte
 

Universal-Lexikon. 2012.