Akademik

Biotechnologie
Biotechnik

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Bio|tech|no|lo|gie 〈f. 19; unz.〉 Erforschung der wirtschaftl. Bedeutung von Mikroorganismen

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Bi|o|tech|no|lo|gie; Syn.: technische Biochemie: die technische Nutzung biochem., insbes. enzymatischer Reaktionen zur Gewinnung höherwertiger Produkte aus einfachen chem. Rohstoffen mit Hilfe von – ggf. gentechnisch veränderten – Mikroorganismen u. Zellkulturen oder mittels immobilisierter Enzyme, z. B. bei der Herst. von alkoholischen Getränken, Essig oder Käse durch Gärung oder Fermentation, bei der Gewinnung einzelner Aminosäuren, Fruchtsäuren, Antibiotika, Vitamine, Proteine, Enzyme u. dgl., aber auch bei der Hydrometallurgie ( Auslaugen) u. der Abwasserreinigung.

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Bio|tech|no|lo|gie [auch: …'gi: ], die:
Wissenschaft von den Methoden u. Verfahren, die zur technischen Nutzbarmachung biologischer Prozesse führen.

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Biotechnologie,
 
anwendungsorientiertes wissenschaftliches Tätigkeitsgebiet, das mit mikrobiologischen, biochemischen und gentechnologischen Methoden biologische Systeme zur Stoffumwandlung, -neusynthese und -produktion nutzt. Bei allen biotechnologischen Verfahren werden stoffwechselphysiologische (biokatalytische) Leistungen biologischer Systeme durch geeignete technische Verfahren unter ökonomischen Aspekten nutzbar gemacht. Dazu wird ein geeigneter Biokatalysator (Mikroorganismen, Zellkulturen, Viren oder Enzyme) durch Veränderungen seiner Struktur und durch definierte äußere Faktoren (z. B. Temperatur, Sauerstoff- und Kohlendioxidpartialdruck, pH-Wert) in den gewünschten Eigenschaften optimiert (Prozessoptimierung). Heute unterscheidet man nach einer Definition der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) die klassische und die moderne Biotechnologie sowie die molekulare Biotechnologie/Gentechnik.
 
 Historische Entwicklung
 
Biotechnologische Verfahren wurden unbewusst bereits vor Jahrtausenden angewendet, so gab es schon im 5. Jahrtausend v. Chr. in Babylon gewerblich betriebene Brauereien, die bis zu 20 unterschiedliche Biersorten herstellten. Das Bier wurde aus Brot, gemälzter Gerste oder Dinkel hergestellt, eine erste Nutzung der Fermentation (enzymatische Umwandlung organischer Substanzen). Um 3 900 v. Chr. waren im alten Ägypten bereits mehrere Weinsorten bekannt und der Weinbau stand auf hohem Niveau. Auch die Kultivierung von Essigsäure- und Milchsäurebakterien zur Essigherstellung und Haltbarmachung von Milch war im Altertum bekannt. Der Gärungsvorgang und das Aufwallen des Sauerteigs wurde von Seneca (4 v. Chr. - 65 n. Chr.) erstmals mit dem Begriff »fermentum« bezeichnet. Die erste »biotechnologische Industrie« zur Herstellung von Essig wurde im 14. Jahrhundert bei Orléans gegründet. Aber erst um 1680 wies A. van Leeuwenhoek die Existenz von Mikroorganismen (»kleine Tierchen«) nach. Aufbauend auf Arbeiten von Th. Schwann aus dem Jahre 1837 konnte schließlich L. Pasteur 1857 zeigen, dass die Fermentation nicht rein chemischer Natur ist, sondern auf Mikroorganismen zurückgeht. Der ursprünglich von L. Pasteur nur für anaerobe Prozesse (Gärungen) geprägte Begriff »fermentation« hat heute eine erweiterte Bedeutung erhalten und bezeichnet alle mikrobiellen Verfahren zur Herstellung biotechnischer Produkte. Ende des 19. Jahrhunderts setzte eine breite industrielle Anwendung der Gärungsverfahren ein: ab 1880 wurde Milchsäure als erste organische Säure im technischen Maßstab produziert, 1912 das Gärungsverfahren für Aceton und Butanol entwickelt und im ersten Weltkrieg zur Sprengstoffherstellung eingesetzt. Mit der Entdeckung des Penicillins durch A. Fleming (1928) und dessen biotechnischer Produktion ab 1943 begann eine neue Ära der Biotechnologie, da nun im Gegensatz zu den Gärungsverfahren unter sterilen Bedingungen im Maßstab von 100 m3 und mehr produziert werden musste. Dies erforderte die Entwicklung einer besonderen Steriltechnik, mit der weitere Prozesse wie die Aminosäureproduktion und Biotransformationen (mikrobielle Stoffumwandlung) im Produktionsmaßstab erst ermöglicht wurden. Seit der Strukturaufklärung der DNA durch J. D. Watson und F. H. Crick 1953 setzte eine stürmische Entwicklung in der Gentechnologie ein. Durch die Übertragung von Genen aus einem Organismus über Artgrenzen hinweg in einen anderen Organismus (Rekombination) wurden ganz neue mikrobielle Leistungen ermöglicht. Aufgrund dieser molekularbiologischen Forschung entwickelte sich ab den 1970er Jahren neben der anwendungsorientierten Biotechnologie eine zunehmend forschungsorientierte, molekulare Biotechnologie/Gentechnik. Die Diskussion über deren zukünftige Möglichkeiten und Risiken bestimmte in den 1980er und 1990er Jahren die öffentliche Diskussion über die Gentechnologie in Deutschland. Erst seitdem die Anwendung der Gentechnik mit dem Gentechnikgesetz und der Gentechnik-Sicherheitsverordnung im Jahre 1990 auf eine rechtliche Basis gestellt wurde, versachlichte sich die Diskussion. Heute gilt die Anwendung gentechnischer Methoden im Bereich der medizinischen Biotechnologie und der pharmazeutischen und biochemischen Produktion als weitgehend akzeptiert.
 
 Wissenschaftszweige
 
Das Entstehen und die heutige Bedeutung der Biotechnologie gründen sich auf die wechselseitigen Beziehungen von Grundlagenforschung und angewandter Forschung der sie tragenden Wissenschaften: Mikrobiologie, Biochemie, Genetik und Bioverfahrenstechnik. Während sich die mikrobielle Forschung früher auf einige wenige Arten konzentrierte (v. a. Escherichia coli), hat der steigende Bedarf an biotechnologisch anwendbaren Mikroorganismen zu einer breiteren Schichtung der untersuchten Arten geführt.
 
Die Bedeutung der Mikrobiologie liegt in der Taxonomie von natürlichen und genetisch veränderten Mikroorganismen, der Auswahl geeigneter Mikroorganismen und deren Stoffwechselaufklärung sowie der Risikobeurteilung bei tierpathogenen und phytopathogenen Arten. Zurzeit werden rund 1,5 Mio. verschiedene Mikroorganismen in Plattenkultur gezüchtet. Dabei erweist sich eine weltweite Kultursammlung (»Genpool«) als zunehmend erforderlich. Eingehende Untersuchungen über die Fermentation mit Mischkulturen werden für die weitere Entwicklung besonders bedeutsam sein, da durch geeignet zusammengesetzte Mischkulturen eine Erhöhung von Wachstumsrate (und damit Produktivität), Kulturstabilität und Wirkungsgrad (durch mögliche Mischsubstratverwendung) erreicht werden kann; außerdem besteht ein geringeres Kontaminationsrisiko.
 
Biochemie und Physiologie spielen eine wichtige Rolle bei der Aufklärung des Primär- und Sekundärstoffwechsels, des Verständnisses von Enzymstruktur (Membranbindungseigenschaften), -funktionen und -regulation sowie des Fremdstoffkatabolismus. Ferner ist die Bestimmung, Isolierung und Reinigung biologischer Moleküle unbedingte Voraussetzung für eine industrielle Anwendung.
 
Die auf langjährige Grundlagenforschung zurückzuführenden Fortschritte der Gentechnik leisteten den zweifellos größten Beitrag für die heutige Bedeutung der Biotechnologie. Die erhebliche Ausweitung des Methodenspektrums zur Manipulation des genetischen Materials (Genklonierung, Zelltransformation, Zellfusion, Polymerase-Kettenreaktion) und der Kenntnisse über dessen Funktionsweise erlauben heute die gezielte Veränderung der Genome von Mikroorganismen sowie der komplexeren pflanzlichen und tierischen Zellen. Dadurch sind Produkte zugänglich, die sonst von Zellen nur in Spuren gebildet werden. Außerdem können Zellen durch die Ausstattung mit in-vitro-rekombinierten Nukleinsäuren zur Bildung fremder Proteine veranlasst werden. Bakterien wurden so z. B. zu Produzenten menschlicher Blutgerinnungsproteine (Faktor VIII), Hormone (Insulin) oder Zytokinine (Interferon), Pflanzen resistent gegen Herbizide oder Insektenfraß und tierische Zellen zu effizienten Antikörperproduzenten (monoklonale Antikörper). Zunehmend werden auch Veränderungen an den zellulären Produkten selbst möglich, die ein freies Design von Biomolekülen erlauben, die in der Natur nicht vorkommen. So können die großen, mehrkettigen Antikörpermoleküle derart abgewandelt werden, dass sie nur die Antigenbindungsstelle auf einer einzigen Polypeptidkette enthalten oder sogar katalytisch aktiv und damit als Enzyme einsetzbar sind.
 
Aufgaben der Bioverfahrenstechnik sind die Entwicklung von speziellen Bioreaktoren (Fermenter) zur Kultivierung von biotechnisch genutzten Organismen und die Entwicklung von wirtschaftlichen biotechnischen Produktions- und Aufarbeitungsprozessen. Derzeit wird an der Lösung folgender Hauptprobleme gearbeitet: 1) Sterilität: Bei Fermentationen sind Infektionen der eingesetzten Kulturen oft nicht vermeidbar. Kontaminationsverluste in Höhe von 1 - 5% gelten bei biotechnischen Produktionsanlagen noch als tolerierbar. Sie führen zu Ausbeuteverlusten und können das ganze Produkt unbrauchbar machen (z.B. bei Toxinbildung durch die Kontamination). Derzeit laufen die meisten industriellen Fermentation noch in Batch-Verfahren (Produktbildung in einem einzigen vollständigen Arbeitsgang) ab, wobei alle Apparaturen und Rohrleitungen zwischen den einzelnen Produktionschargen sterilisiert werden. An Bedeutung gewinnen werden zukünftig die kontinuierlichen Verfahren, die allerdings aufgrund ihrer langen Fermentationsdauer einen noch höheren steriltechnischen Aufwand erfordern. - 2) Fermenterkonstruktionen müssen drei Forderungen erfüllen: gute Durchmischung, guter Sauerstoffaustausch und gesicherte Wärmezu- und abführung. Dabei wird v. a. an der Durchmischung (mit oder ohne Rührwerk, Wirbelbettprinzip u. a.) und an der Wärmezu- und -abfuhr gearbeitet, da die meisten biotechnisch genutzten Mikroorganismen ihr Temperaturoptimum bei 20 - 40 ºC haben. In diesem Zusammenhang ist auch der Einsatz thermophiler Mikroorganismen interessant, die bei höheren Temperaturen wachsen und bei denen das Kontaminationsrisiko deutlich verringert ist. Die Wärmezu- und -abfuhr spielt außerdem bei der Sterilisation von Bioreaktoren eine wichtige Rolle. - 3) Die Produktausbeute ist ein wesentlicher Kostenfaktor. Während in den in der Biotechnik zumeist eingesetzten Rührkesselreaktoren die unterschiedlichsten Fermentationen durchgeführt werden können, ist der anschließende Aufarbeitungsprozess für jedes einzelne Produkt sehr spezifisch. Die Entwicklung von universelleren und damit kostengünstigeren nachgeschalteten Aufarbeitungsprozessen ist dringend erforderlich. Dabei kann die richtige Auswahl der zu verwendenden Mikroorganismen von entscheidender Bedeutung sein. Gentechnologische Verfahren haben hier die Entwicklung von Mikroorganismen ermöglicht, die das gewünschte Produkt nicht in der Zelle speichern, sondern ins Fermentationsmedium ausscheiden (extrazelluläre Produkte). Durch die Abtrennung der Zellmasse wird die anschließende Aufkonzentrierung und Reinigung dieser Produkte wesentlich erleichtert. - 4) Die On-line- (gleichzeitige) oder Off-line- (zeitversetzte) Prozessüberwachung hat in den letzten Jahren aufgrund der erforderlichen Dokumentation des Prozessverlaufes erheblich an Bedeutung gewonnen. Dabei stellt das Fehlen geeigneter spezifischer und empfindlicher Messsonden und -verfahren, die darüber hinaus noch sterilisierbar sein müssen, das größte Problem dar.
 
 Praktische Anwendung
 
Biotechnisch genutzt werden Mikroorganismen, Zellkulturen, Viren und Enzyme. Es gibt vier Gruppen biotechnologisch wichtiger Produkte. Dies sind zum einen Mikroorganismen selbst, die zur Herstellung von Tierfutter (Einzellerprotein) genutzt werden. Des weiteren werden sie als Biokatalysatoren zur Stoffumwandlung (Biotransformation) eingesetzt, wobei eine Substanz durch ein von ihnen synthetisiertes Enzym in eine andere Verbindung umgewandelt wird. Diese mikrobiologische Stoffumwandlung (mikrobielle Transformation) weist gegenüber der rein chemischen Reaktion erhebliche Vorteile auf: geringerer Energieaufwand (kein Kühlen oder Erhitzen der Reaktionsgefäße), Wasser statt umweltbelastender organischer Lösungsmittel (geringere Verunreinigung, weniger unerwünschte Nebenprodukte), Auskommen ohne anorganische Katalysatoren, Möglichkeit von kontinuierlichen Verfahren durch Binden der Zellen an feste Trägersubstanzen (Immobilisierung), hohe Ausbeuten (bis zu 100 %) durch hochspezifischen Reaktionsverlauf, billige Ausgangsmaterialien (Nährmedien), unkomplizierte Testmethoden (Screeningverfahren). Beispiele sind die Essig- und Acetonherstellung sowie Teilschritte bei der Synthese von Vitamin C, Steroidhormonen und Penicillinen.
 
Eine weitere Produktgruppe sind die von den Mikroorganismen gebildeten Makromoleküle (z.B. Enzyme, Nukleinsäuren). Dabei müssen die physiologischen Regulationsmechanismen, die unter natürlichen Bedingungen den Aufbau des entsprechenden Moleküls limitieren, umgangen werden. So werden biotechnisch produzierte Enzyme beim Brauen und Backen (Amylasen), bei der Käseherstellung (Labenzym), der Lederverarbeitung (Proteasen) und als Waschmittelbestandteile (Proteasen, Amylasen) eingesetzt. Neben diesen klassischen Anwendungsgebieten von vor allem hydrolytisch wirkenden Enzymen, wurde in den letzten Jahren der Einsatzbereich biotechnologisch gewonnener Enzyme und Proteine sehr erweitert. In der medizinischen Diagnostik fanden Immuntests (Radioimmunotests, Enzymimmunotests) breite Anwendung, bei denen biotechnologische Produkte mit hoher Wertschöpfung (monoklonale Antikörper, Indikatorenzyme) eingesetzt werden. Auch spezifische Nukleinsäuren werden in der Medizin zu diagnostischen Zwecken als molekulare Sonden eingesetzt. Substitutionstherapien benutzen ebenfalls von Mikroorganismen gebildete Makromoleküle: Hormonmangelkrankheiten und Hämophilien werden mit gentechnisch gewonnenen Produkten therapiert. Dabei werden die erforderlichen Proteine nicht nur massenhaft verfügbar und preiswert, die biotechnologische Herstellung vermindert auch das Risiko der Übertragung von pathogenen Erregern, das bei aus Geweben isolierten Produkten besteht. Mitte der 1980er Jahre kam es nach der Gabe von aus menschlichen Hirnanhangdrüsen gewonnenem Wachstumshormon bei zahlreichen Patienten zur Ausbildung einer Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, sodass derartige Präparate verboten wurden. Das Wachstumshormon Somatotropin wird seit 1985 ausschließlich gentechnisch produziert. Polysaccharide, die früher hauptsächlich aus Seetang isoliert wurden, werden heute auch aus Mikroorganismen gewonnen. So synthetisiert das Bakterium Xanthomonas campestris den Mehrfachzucker Xanthan, der in der Nahrungsmittelindustrie als Stabilisierungs- und Dickungsmittel und in der Erdölindustrie als Bohrspülmitteladditiv verwendet wird.
 
Wesentliche Produktgruppen sind die Primär- und Sekundärmetabolite der Mikroorganismen. Zu den Ersteren gehören die Aminosäuren, Vitamine und organischen Säuren. Durch Veränderungen des Erbguts und des Umweltmilieus kann die »physiologische« Metabolitsynthese oft auf ein Vielfaches gesteigert werden: Vitamin B2 (Riboflavin) durch den Pilz Ashbya gossypii auf das 20 000fache und Vitamin B12 auf das 50 000fache. Neben Alkaloiden, Toxinen, Pflanzenwuchsstoffen und Impfstoffen ist die bekannteste Stoffgruppe der Sekundärmetabolite die der Antibiotika, deren natürliche Funktion die Überlebenssicherung des Organismus ist. Antibiotika werden u. a. eingesetzt bei der menschlichen und tierischen Chemotherapie und bei bakteriellen Pflanzenkrankheiten. Von den über 8 000 bekannten Antibiotika werden etwa 50 biotechnisch erzeugt, darunter als wichtigste Gruppe die Penicilline mit etwa 17 000 t pro Jahr. Jährlich kommen etwa 300 neue Antibiotika hinzu, von denen jedoch die meisten wegen zu hoher Toxizität oder Wirkungslosigkeit nicht nutzbar sind. - Vor den großen Fortschritten der mikrobiellen Genetik der letzten Jahre hatte man nur die Möglichkeit, genetisches Material mutativ zu verändern. Durch Behandlung mit mutationsauslösenden Substanzen (Mutagene) kann die Wahrscheinlichkeit für normale Genveränderungen um mehrere Größenordnungen erhöht werden. Obwohl Mutationen meist schädliche Auswirkungen auf den Organismus haben, konnten die veränderten Eigenschaften gelegentlich industriell genutzt werden. So produzieren die heutigen gentechnologisch modifizierten Formen von Penicillium chrysogenum das 10 000fache an Penicillin als die ursprünglich von Fleming verwendete Form. Während die Bildung neuer Antibiotika durch mutative Veränderungen zufallsbedingt ist, gibt es eine Technik zur gezielten Entwicklung neuer Antibiotika (Mutationsbiosynthese), die jedoch langwierig und aufwändig ist. Heute werden Sekundärmetabolite auch gegen nicht infektiöse (von Bakterien/Pilzen verursachte) Krankheiten eingesetzt.
 
Langfristig wird die Biotechnologie auch in der Landwirtschaft erheblich an Bedeutung gewinnen. So werden Pestizide und Fungizide mit zunehmend höherer Spezifität hergestellt (Verwendung von Bacillus-thuringensis-Produkten, Baculoviren, parasitische Nematoden, Protozoonpathogenen u. a.). Der synthetische Stickstoffdünger soll durch Stickstoff bindende Mikroben (z. B. Azotobacter vinelandii) über den Aufbau einer symbiotischen Beziehung zu den Nutzpflanzen ersetzt werden. Daneben wird das in der Landwirtschaft eingesetzte Saatgut zunehmend zum Produkt der Biotechnologie. Der Einsatz genetisch manipulierter Pflanzen mit Resistenzen gegen Herbizide, Viren und Insektenschädlinge und mit geringeren Ansprüchen an Umweltbedingungen erlaubt die Erwirtschaftung höherer Erträge und die Einsparung arbeits- und materialaufwändiger Pflegebehandlungen der landwirtschaftlichen Kulturen. Der Nährwert von Getreide lässt sich durch Erhöhung des Gehaltes an essenziellen Aminosäuren verbessern. Die Freisetzung genetisch manipulierter Pflanzen (Freisetzungsversuch) ist jedoch in der Öffentlichkeit heftig umstritten, da eine unbeherrschbare Ausbreitung der veränderten Gene befürchtet wird. Ein völlig neues Anwendungsgebiet der Biotechnologie in der Landwirtschaft ist die Bildung pharmazeutisch interessanter Produkte durch Pflanzen oder Tiere: Antikörper lassen sich in Pflanzen in großen Mengen produzieren, die Bildung humaner Proteine und deren Ausscheidung in die Milch ist bei transgenen Tieren schon erreicht worden (»pharming«).
 
Biotechnische Verfahren zur Aufbereitung von Trinkwasser, Reinigung von Abwasser, Sanierung kontaminierter Böden oder zur Abluftreinigung haben heute einen hohen technischen Stand erreicht. So werden Abwässer in kommunalen Kläranlagen zu mehr als 98% biologisch gereinigt und organisch hoch belastete Abwässer werden in anaeroben Bioreaktoren mit bis zu 10 000 m3 Volumen zu Biogas umgesetzt. Die mikrobiologische Sanierung von mit Kohlenwasserstoffen verunreinigten Böden ist heute Stand der Technik, ebenso wie die Reinigung von mit Geruchs- und Schadstoffen beladener Abluft in Biofiltern und Biowäschern. Zunehmend an Bedeutung gewinnen allerdings Verfahren, die Problemstoffe bei der Produktion erst gar nicht entstehen lassen (Produktionsintegrierter Umweltschutz): So verringert sich die anfallende Abwassermenge bei der Herstellung eines technisch interessanten Enzyms (α-Glucosidase) um mehr als 90 %, wenn eine gentechnisch veränderten Hefe, die eine erhöhte Enzymausbeute besitzt, als Produktionsstamm eingesetzt wird.
 
Bakterien (Thiobacillus spec.) werden auch im Bergbau zur Extraktion von Metallen wie Kupfer, Uran, Zink, Blei aus mageren Erzen eingesetzt (bakterielle Laugung oder Bioleaching). Bei diesen Auslaugungsprozessen sind pro Gramm Erz bis zu 1 Mio. Mikroorganismen beteiligt. In Recyclingprozessen dienen sie der Rückgewinnung dieser Metalle.
 
Auf dem Gebiet der biotechnischen Energiegewinnung aus Biomasse, Ethanol (Gasohol), Methan (Biogas) liegt eines der größten Entwicklungspotenziale. Ob Erdöl und Kohle oder Biomasse die zukünftige Energiebasis ist, wird von den Rohstoffen, der Leistungsfähigkeit der Verfahrenstechnologie und den Kosten abhängen.
 
Große Fortschritte hat es in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Kultivierung von Pflanzen- und Tierzellen gegeben. Säugerzellen erfordern im Gegensatz zu Bakterien die Anheftung an Oberflächen, was den Vorteil der höheren Packungsdichte hat, das heißt, die Fermenter sind kleiner und das Produkt konzentrierter. Als Trägermaterialien haben sich kleine Kügelchen (Mikrocarrier) aus Dextran, Gelatine oder Glas bewährt. Mit dieser Methode werden Impfstoffe gegen Kinderlähmung, Tollwut und Masern produziert. Aufgrund des ständig steigenden Bedarfs an Ersatzgeweben und -organen gewinnen die Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Zellkulturtechnik (»Tissue Engineering« und biologische Regeneration) immer mehr an Bedeutung. Erste Anwendungen gibt es bereits im Bereich resorbierbarer Implantate, Knochenersatzstoffe und Zell- und Organkulturen. Schließlich können zunehmend Untersuchungen an tierischen Zellkulturen Tierversuche ersetzen.
 
 Wirtschaftliche Aspekte
 
Ein rechtliches Problem mit großer wirtschaftlicher Bedeutung stellte lange Zeit die Patentierbarkeit biologischer Erfindungen dar. US-Gerichte hielten natürliche Organismen (»product of nature«) für nicht patentierbar, obwohl bereits 1873 L. Pasteur ein US-Patent für eine keimfreie Hefe erhielt. Auch im europäischen Patentübereinkommen aus dem Jahre 1973 wurden Pflanzensorten und Tierarten ausdrücklich von der Patentierung ausgenommen. Dagegen erklärte das Bundespatentgericht ein im grünen Knollenblätterpilz vorkommendes Peptid für patentierbar, weil die Erfindung sich gleichzeitig auf dessen technische Gewinnung und Nutzung bezog. Seitdem gelten in der Natur vorkommende Substanzen grundsätzlich als patentierbar. 1980 fällte das US-Supreme Court eine Grundsatzentscheidung, nach der auch ein gentechnisch veränderter Mikroorganismus patentiert werden kann (»Chakrabarty-Fall»). 1983 folgten die ersten Patente für gentechnisch veränderte Pflanzen, 1988 das erste Patent für ein gentechnisch verändertes Säugetier.
 
Seit den 1980er Jahren erfolgten die ersten Patentanmeldungen auch für Gene, die von den US-amerikanischen und europäischen Patentämtern wie natürliche Substanzen behandelt und damit als patentierbar anerkannt wurden. Inzwischen beziehen sich weltweit mehrere Tausend Patentanmeldungen auf DNA-Sequenzen. Seit 1981 wurden allein auf humane DNA-Sequenzen mehr als 1 200 Patente erteilt, u. a. auf DNA-Sequenzen, die für diagnostische oder therapeutische Zwecke Anwendung finden können (z.B. im Rahmen der somatischen Gentherapie oder der Gendiagnostik). 1991 wurden in den USA Patente für 3 421 kurze Gensequenzen angemeldet, die im Rahmen des Human-Genom-Projekts als partielle cDNA-Sequenzen, mit meist unaufgeklärter Funktion in der Zelle, gefunden wurden (sie werden als Marker bei der Entschlüsselung umfangreicherer Gensequenzen genutzt). 1997 entschied die US-Patentbehörde, auch solche kurzen Gensequenzen (EST genannt, Abkürzung von englisch expressed sequence tags), als Patent anzuerkennen.
 
Innerhalb der EU gilt seit dem 6.7.1998 die Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (Biotechnologierichtlinie), die 1999 vom Europäischen Patentamt (EPA) zum Teil der eigenen Ausführungsverordnung erklärt wurde. Mit dieser Richtlinie und deren Umsetzung in nationales Recht wurde erstmals rechtsverbindlich niedergelegt, dass Patente auch für Erfindungen erteilt werden können, die biologisches Material betreffen, und dass auch Naturstoffe unter bestimmten Voraussetzungen patentierbar sind. Damit wurde zugleich die langjährige Diskussion über den Unterschied von Erfindungen und Entdeckungen beendet: Die bloße Beschreibung eines Gens ohne Angabe einer Funktion ist eine Entdeckung und damit nicht patentierbar. Wird dagegen ein Gen durch ein technisches Verfahren entschlüsselt und die Codierung für ein bestimmtes Protein geklärt (Funktionsbeschreibung), so liegt eine patentierbare Erfindung vor. Damit stellt die europäische Biotechnologierichtlinie für die Patentierung von ESTs im Vergleich zur US-Rechtslage zusätzliche Hürden auf. Gleichzeitig wurden bestimmte Erfindungen, wie Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen und Eingriffe in die menschliche Keimbahn von der Patentierung ausgeschlossen.
 
Den Beginn des Biotechnologiebooms in den USA markiert die Gründung der Firma Genentech durch den amerikanischen Wissenschaftler Herbert W. Boyer im Jahre 1976, drei Jahre nach Veröffentlichung des ersten gentechnischen Experiments. Es folgten zahlreiche weitere, vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die in enger Kooperation mit akademischen Institutionen biotechnologische Forschung betrieben und deren Ergebnisse vermarkteten. Als 1987 in der BRD die erste Biotechnologieaktie eingeführt wurde, waren in den USA und Japan bereits etwa 200 Unternehmen an der Börse notiert. Allerdings holte Europa bei der Zahl der Biotechnologiefirmen in den 1990er Jahren stark auf: 2000 gab es in Europa bereits 1 570 biotechnologisch orientierten Firmen gegenüber 1 379 Unternehmen in den USA. Allerdings wiesen die amerikanischen Biotechnologiefirmen im gleichen Jahr einen Umsatz von 25 Mrd. US-$ im Vergleich zu 8,7 Mrd. Euro bei den europäischen Firmen auf. Viele der früher kleinen »Start-up Firmen« in den USA haben sich mittlerweile zu etablierten Biotech-Firmen mit insgesamt 174 000 Mitarbeitern (2000) entwickelt. In Deutschland bestimmte zunächst die Besorgnis über mögliche Risiken der Gentechnologie die öffentliche Diskussion, was dazu führte, dass die großen deutschen Chemie- und Pharmafirmen ihre bio- und gentechnologischen Aktivitäten in Forschung und Entwicklung ins Ausland, bevorzugt die USA, verlagerten. Erst mit der Novellierung des deutschen Gentechnikgesetzes 1993 und durch den 1995 erstmals ausgeschriebenen BioRegio-Wettbewerb, der zu zahlreichen Firmenneugründungen führte, änderte sich dies. Lag die Zahl der biotechnologisch orientierten Firmen 1995 in Deutschland noch bei 75, so bildete Deutschland 2000 mit 332 Unternehmen die führende Biotech-Nation in Europa. Die vorwiegend kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigten zusammen mehr als 10 000 Mitarbeiter, darunter 40 % im Bereich Forschung und Entwicklung tätig.
 
In der Schweiz sind die meisten der 92 Biotech-Unternehmen (1999) im Bereich der pharmazeutischen Produktion und des Engineerings tätig. Sie konzentrieren sich auf die Regionen um Basel mit seiner chemisch-pharmazeutischen Infrastruktur, Zürich mit enger Anbindung an die Eidgenössische Technische Hochschule und andere Forschungseinrichtungen sowie das Gebiet um Genf und Lausanne.
 
In Österreich setzte ähnlich wie in Deutschland die Entwicklung einer Biotechnologieindustrie erst spät ein. Die meisten der 57 Biotechnologie-Firmen (2000) konzentrieren sich auf den Standort Wien mit seinen universitären Forschungseinrichtungen. Den Schwerpunkt der österreichischen Biotechnologie-Unternehmen bildet die Produktion pharmazeutischer Produkte (Diagnostika, Therapeutika und Vakzine).
 
Schätzungen gehen davon aus, dass biotechnologische Methoden bis zum Jahr 2020 an etwa der Hälfte der 30 wichtigsten Innovationen beteiligt sein werden. Bereits heute sind bio- und gentechnologische Methoden in der Medizin und Pharmazie (neue Therapeutika und Diagnostika) unverzichtbar. Erst am Anfang steht der Einsatz der Biotechnologie in Bereichen wie der chemischen Produktion (Biochemikalien), der Rohstoff- und Energieversorgung (nachwachsende Rohstoffe, Biogas) und im Umweltbereich (produktionsintegrierter Umweltschutz). Weitere Entwicklungsmöglichkeiten zeichnen sich zukünftig durch Synergieeffekte der Biotechnologie mit anderen Technologien ab (Bioinformatik, Nanobiotechnologie).
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
bakterielle Erzlaugung · Bakterien · Biomasse · Biotechnik · Enzyme · Fermentation · Gene · Gentechnologie · Mikrobiologie · Nukleinsäuren · Schimmelpilze
 
Literatur:
 
Biotechnology. A multi volume comprehensive treatise, hg. v. H.-J. Rehm u. G. Reed, auf 12 Bde. ber. (Weinheim 1-21981 ff.);
 A. Einsele: Mikrobiolog. u. biochem. Verfahrenstechnik (1985);
 W. u. A. Crueger: B. Lb. der angewandten Mikrobiologie (31989);
 
Hb. der B., hg. v. P. Präve u. a. (41994);
 A. Leuchtenberger: Grundwissen zur mikrobiellen B.(1998);
 
Römpp-Lex. B. u. Gentechnik, hg. v. W.-D. Deckwer u.a., bearb. v. W. Ackermann (21999);
 
B. u. Gentechnik. Neue Technologien verstehen u. beurteilen, hg. v. K. D. Wachlin (1999);
 
Pharmazeut. B. Ein Kompendium für Forschung u. Praxis, hg. v. O. Kayser u. R. H. Müller (2000);
 W. Kreis u.a.: B. der Arzneistoffe (2001).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Bioverfahrenstechnik: Die Umwandlung von Stoffen
 
Medizin: Die Biotechnik eröffnet neue Wege
 

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Bio|tech|no|lo|gie [auch: —— ————], die: Wissenschaft von der technischen Nutzung u. wirtschaftlichen Bedeutung von Mikroorganismen, Zellkulturen, Enzymen.

Universal-Lexikon. 2012.