Blues 〈[ blu:z] m.; -, -〉
1. 〈Mus.〉
1.1 schwermütiges Tanzlied der nordamerikanischen Schwarzen
1.2 aus (1.1) hervorgegangener langsamer Gesellschaftstanz im 4/4-Takt
1.3 aus (1.1) hervorgegangene Stilrichtung des Jazz
2. 〈fig.; umg.〉 Anfall von Depression
● den \Blues kriegen 〈fig.; umg.〉 depressiv werden; er hat den \Blues im Blut [engl., verkürzt <blue devils „Anfall von Schwermut“]
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Blues [blu:s , engl.: blu:z ], der; -, - [engl. blues, aus: the blues (für: the blue devils =die blauen Teufel) = Anfall von Depression, Schwermut, zu: blue = bedrückend, deprimierend]:
1.
a) zur Kunstform entwickeltes, schwermütiges Volkslied der nordamerikanischen Schwarzen;
b) <o. Pl.> aus dem Blues (1 a) entstandene ältere Form des Jazz.
2. zu den nordamerikanischen Tänzen gehörender Gesellschaftstanz in langsamem 4/4 -Takt.
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I Blues
[amerikanisch, blu:z], eine der Hauptformen der afroamerikanischen Musik, die zu den wichtigsten Traditionen der populären Musik gehört und seit den Fünfzigerjahren, mit der Herausbildung von Rock 'n' Roll und Rockmusik, zu einem der Fundamente ihrer Entwicklung geworden ist. Auch der Jazz hat seine Wurzeln im Blues, der hier als musikalisches Formmodell eine bedeutende Rolle spielt.
Blues ist eine poetisch-musikalische Ausdrucksform der Afroamerikaner, die durch einen charakteristischen textlichen, melodischen, harmonischen und formalen Aufbau gekennzeichnet ist. In seiner Entwicklung ist er bis in die Gegenwart hinein eng mit dem Schicksal der afroamerikanischen Bevölkerungsminderheit in den USA und ihren Lebensverhältnissen verbunden. Diese enge Bindung an die jeweiligen Lebensverhältnisse der Farbigen in den USA führte zu einer kaum überschaubaren Vielfalt an regionalen Bluesspielweisen und -stilen, sowohl vokaler als auch instrumentaler Art.
Die Grundform des Blues ist musikalisch auf einer kurzen harmonischen Folge von acht, zwölf oder sechzehn Takten aufgebaut, die in Gruppen zu jeweils vier Takten zusammengefasst sind. Zugrunde liegt ihr die auf europäische Wurzeln zurückgehende einfache harmonische Kadenz mit den Akkorden der ersten, vierten und fünften Stufe der Tonleiter (Kadenz). Den Viertaktgruppen entsprechen in der Melodiestruktur jeweils viertaktige Phrasen, die auf der Basis eines melodischen Variationsverfahrens entwickelt werden. Ihnen sind zweizeilige Textverse zugeordnet. Im Verlauf seiner Entwicklung hat sich als Standardform des Blues ein zwölftaktiger Formtyp herauskristallisiert, der oft auch als Bluesschema oder Bluesformel bezeichnet wird. Abgeleitet ist dieser musikalische Aufbau aus der poetischen Struktur der Bluestexte, deren Eigentümlichkeiten sich aus einer inhaltlichen Besonderheit des Blues ergeben. Im Unterschied zu anderen Vokalgattungen ist er nicht erzählenden, sondern reflektierenden Charakters, bezieht sich nicht auf eine Geschichte als zeitlichen Ablauf von Ereignissen, sondern konstatiert ein Ereignis, schildert eine Situation (Statement), zu der sich der Sänger dann reflektierend in Beziehung setzt, seine Antwort darauf formuliert (Response). Damit gliedert sich die Bluesstrophe inhaltlich in Statement (Aussage) und Response (Antwort), wobei in der zwölftaktigen Standardform dem Statement durch seine Wiederholung noch ein besonderer Nachdruck verliehen wird:
I received a letter
Ich bekam einen Brief,
that my man was dyin',
dass mein Mann im Sterben liege.
I received a letter
Ich bekam einen Brief,
that my man was dyin',
dass mein Mann im Sterben liege,
I caught a plane
Ich nahm ein Flugzeug,
and went home flyin'.
und flog nach Hause.
(Ida Cox, »Death Letter Blues«)
Diesem inhaltlichen Aufbau der Bluesstrophe folgt die Vertonung, sodass sich daraus organisch das musikalische Formmodell des Blues ergibt. Ein in seiner Art charakteristisches Beispiel für diese zwölftaktige Standardform ist der »Canned Heat Blues« (1928) von Tommy Johnson (1896-1956):
Obwohl mit diesem formalen Schema durchaus eine besonders häufig gebrauchte Form vor allem des komponierten Blues beschrieben ist, geht die Identifizierung des Blues mit einer solchen Standardformel auf den Einfluss der Musikindustrie seit den frühen Zwanzigerjahren zurück, die eine Normierung und Standardisierung auf diesen Formtyp mit sich brachte. Die Bluestradition selbst ist weitaus reicher, wovon nicht nur die Überlieferung des Countryblues durch Musiker wie etwa John Lee Hooker (1917-2001) oder auch Robert Pete Williams (1914-1980) Zeugnis ablegt. Deren Songs weisen oft keine klare Strophengliederung auf und werden nicht selten im Sprechgesang und nur über einen einzigen Akkord vorgetragen. Auch die zwölftaktige Standardform selbst ist reich an textlichen, melodischen, harmonischen und formalen Varianten. So gibt es Bluesstrophen, die nur aus dem zweimal wiederholten Statement bestehen (z. B. Jelly Roll Morton, »See See Rider Blues«). Es gibt Textvarianten, die statt des Statements die Antwortphrase wiederholen (z. B. Howlin' Wolf, »Cryin' at Daybreak«) oder aber einen durchlaufenden Text aufweisen (z. B. Josh White, »Frankie and Johnny«). Unter den melodischen Varianten ist die durchgehende Gestaltung der Melodik statt der variierten Wiederholung der ersten Viertaktgruppe häufig anzutreffen (z. B. Bukka White, »Sleepy Man Blues«). Ebenso folgt auch der harmonische Aufbau keinesfalls immer dem Stereotyp der Bluesformel (z. B. Lightnin' Hopkins, »Trouble Blues«). Ein auch in der Rockmusik verbreiteter Ableger der zwölftaktigen Bluesform behält die Antwortphrase durch alle Textstrophen hindurch bei, sodass eine Art Refrain entsteht (z. B. Muddy Waters, »You Can't Lose What You Ain't Never Had«). Neben solchen Varianten der dreiteiligen zwölftaktigen Standardform sind aber auch die zweiteiligen, acht- oder sechzehntaktigen Bluestypen als Grundformen dieser afroamerikanischen Vokalgattung anzusehen. Davon zeugen etwa die in ihren unzähligen regionalen und individuellen Versionen regelrechte Liedfamilien bildenden achttaktigen volksmusikalischen Prototypen wie »Baby, Please Don't Go«, »Sittin' on Top of the World«, »Someday Baby«, »Slidin' Delta« oder »Jim Crow«. Ein charakteristischer sechzehntaktiger Blues ist demgegenüber beispielsweise »Careless Love«, der sich in einer Bearbeitung durch William Christopher Handy (1873-1958) sowohl im Repertoire von Bessie Smith (1895-1937) als auch, in einer Variante mit dem Titel »Oh My Babe Blues«, im Repertoire von Ma Rainey (1886-1939) befand:
Diese sechzehntaktige Form hat vor allem im Bereich des Vaudeville-Blues eine besondere Ausprägung erfahren-, die mit der nochmaligen Wiederholung des Statements nach der Antwortphrase (A A B A) im Aufbau der Songform des populären Liedes folgt (Song) und bis heute sehr verbreitet ist (z. B. Bessie Smith, »Nobody Knows You When You're Down and Out«).
Von nicht minder großer Bedeutung sind neben diesen Grundformen auch die irregulären und kombinierten Bluestypen. Die irregulären Bluesformen entstehen durch Einschübe von oft nur einem, einem halben oder anderthalb Takten in die Grundformen (z. B. Blind Lemon Jefferson, »Bad Luck Blues«) oder durch Erweiterung der Viertaktgruppen auf fünf und mehr Takte (z. B. Blind Lemon Jeffersons »Crawling Baby Blues« mit drei Fünftaktgruppen). Kombinierte Formen sind besonders im Vaudeville-Blues, aber auch als musikalische Grundlage im Rock 'n' Roll und in der Rockmusik anzutreffen und verbinden die Grundformen von acht, zwölf oder sechzehn Takten zu größeren mehrteiligen Gebilden. Beispiele dafür sind etwa der »St. Louis Blues« (1914) und der »Memphis Blues« (1911) von William Christopher Handy, die auf der Kombination von zwölf-und sechzehntaktiger Grundform aufgebaut sind, oder auch Chuck Berrys (* 1931) »Johnny B. Goode« (1958) und Bill Haleys (1925-1981) »See You Later, Alligator« (1955). Insgesamt ist der Blues also von einem außerordentlichen Formenreichtum und keinesfalls, wie das die meisten einschlägigen Definitionen nahe legen, auf seine zwölftaktige Standardform festzuschreiben.
Ähnlich problematisch ist auch ein anderer Punkt in den gebräuchlichen Blues-Definitionen, nämlich seine Beschreibung in Inhalt und Ausdruck als »melancholisch«, »klagend«, als Zeugnis der »Niedergeschlagenheit darüber..., abseits zu stehen« (T. Palmer, All You Need Is Love, München/Zürich 1977, 68). Hinter einer solchen Deutung verbergen sich jedoch eher die europäischen Hörgewohnheiten, die die charakteristischen Blue Notes als Moll wahrnehmen und mit einem auch in der Romanliteratur verbreiteten rührselig romantisierten Bild des Afroamerikaners verbinden. Die Blue Notes mit ihrer schwebenden Intonation der dritten und siebenten Stufe der Tonleiter sind aber vielmehr ein Mittel des gesteigerten Ausdrucks, seiner Intensivierung, und keineswegs ein Moment der Darstellung von Melancholie oder Klage. Zwar bedeutet »to be blue« in der englischen Umgangssprache so viel wie »betrübt, melancholisch, schwermütig sein«, aber in der Sprache der schwarzen Amerikaner hat das einen weit vielschichtigeren Sinn bekommen. Der Blues ist kein Klagelied, sondern eine poetisch-musikalische Form des Ausdrucks sozialer Erfahrungen im Spiegel der Subjektivität des Musikers, ein Moment der Selbstverständigung und des Selbstbewusstwerdens, und das umfasst die Auseinandersetzung mit der unmenschlichen Härte der Lebensbedingungen auf den Plantagen der Südstaaten und in den Gettos der Großstädte des Nordens der USA ebenso wie die Lebensfreude, den Witz, die Unterhaltung bei Feiern und Festen. Die Bluestexte mit ihrer oft hintergründigen Doppeldeutigkeit (Doubletalk) spiegeln das Leben der Afroamerikaner in seiner ganzen Breite, mit allen Hoffnungen, Wünschen, Sehnsüchten wie auch den vielen leidvollen Erfahrungen.
Entstanden ist der Blues als unbegleiteter Sologesang, dessen Wurzeln nicht nur weit in die Sklavenzeit auf die Worksongs, Fieldhollers, Shouts und Moans zurückreichen, sondern Vorformen schon in den alten afrikanischen Spottgesängen, in den zu afrikanischen Begräbnisriten auf Trinidad verwendeten Bele-Tänzen und in weltlichen Tanzliedern verschiedener Herkunft besitzen. So findet sich als Bezeichnung für den Blues anfangs auch noch der Begriff Reel, ursprünglich ein englisch-irischer Tanz, dessen Name im 19. Jahrhundert zugleich als Synonym für die weltliche Volksmusik der Schwarzen insgesamt gebraucht wurde. Wirklich rekonstruierbar ist die Entstehung des Blues heute jedoch nur noch schwer, zumal auch die ersten Sammlungen der Musik der Afroamerikaner (z. B. W. F. Allen/Ch. P. Ware/L. McKim, Slave Songs of the United States, New York 1867) allein auf ihre geistlichen Gesänge (Spiritual) konzentriert waren, denn die galten, aus religiösen Vorurteilen heraus und weil einem von der bürgerlichen Gesellschaft akzeptierten sozialen Erfahrungs- und Ausdrucksbereich — der Kirche — entstammend, für kulturell wertvoller als die verschiedenen Formen ihrer weltlichen Volksmusik. Worksongs, Fieldhollers, Shouts und Moans haben jedoch in mehrfacher Hinsicht dem Blues vergleichbare stilistische Merkmale, sodass darin zweifellos einer seiner Ursprünge zu sehen ist. Der Übergang von der vorwiegend kollektiven Musikpraxis der Sklavengemeinschaften zur solistischen Ausdrucksform des Blues kann sich erst nach der formellen Aufhebung der Sklaverei mit dem Ende des Sezessionskrieges 1865 vollzogen haben, denn erst das schuf die sozialen und ökonomischen Voraussetzungen für die Entstehung und Entfaltung einer afroamerikanischen Kultur auf nationaler Ebene und führte damit zum Bewusstsein einer eigenen Identität der Schwarzen. Unter den Bedingungen der Sklaverei auf den Plantagen der Südstaaten war für die Massen der Feldsklaven ihre Kommunikation auf die unmittelbare persönliche Umgebung beschränkt. Mit der Freisetzung der Sklaven zur Lohnarbeit wurde eine größere Mobilität nicht nur ermöglicht, sondern geradezu erzwungen, was den Afroamerikanern ihr individuelles Schicksal in seinen sozialen Dimensionen erfahrbar werden ließ und zugleich ihre verschiedenen lokalen kulturellen Traditionen in Kontakt miteinander brachte. Schließlich war auch erst unter diesen Bedingungen die Existenz schwarzer Wandermusikanten möglich, die zum Träger dieser Entwicklung wurden. Auf der anderen Seite hat die restriktive Gesetzgebung mit ihrem militanten Rassismus gegenüber den Farbigen und deren Isolation von einer Gesellschaft »nur für Weiße« die Herausbildung einer eigenständigen, schwarzen Kultur unfreiwillig noch unterstützt (afroamerikanische Musik). Geprägt wurde die Entwicklung des Blues nicht zuletzt durch den Umstand, dass sich mit der Aufhebung der Sklaverei die unmittelbaren Lebensbedingungen der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA faktisch nicht veränderten. Der größte Teil von ihnen lebte noch immer auf den Plantagen und war dort auf die Arbeitsmöglichkeiten beschränkt, die für Schwarze akzeptiert waren. So entwickelte sich der Blues dann in der Tradition der hier gebräuchlichen Worksongs und Fieldhollers.
Zur instrumentalen Begleitung wurden zuerst Banjo und Gitarre, später Piano und auch ganze Instrumentenkombinationen eingesetzt. Geographisch ist die Entwicklung des Blues in einigen Regionen des Südens der USA lokalisierbar, die den hier entstandenen Bluesspielweisen und -formen ihre Namen gaben. Als das wichtigste Gebiet für die Herausbildung dieses Liedtyps gilt das Mississippi-Delta mit dem Mississippi-Blues. Im Südwesten der USA entwickelte sich der Texas-Blues, im Südosten dagegen ein Bluesstil, der durch die ausgefeilte Gitarrentechnik und den melodischen Erfindungsreichtum von Musikern wie Joshua Barnes Howell (1888-1967), Robert Hicks (1902-1930) und Blind Willie McTell (1898-1960) gekennzeichnet war und von Johnny Ace (1929-1954) und Junior Parker (* 1927) um eine differenziert entwickelte Harmonik bereichert wurde. Da dieser Blues von der Ostküste kaum eine nennenswerte überregionale Verbreitung erfuhr, fehlt ihm auch ein seine Herkunft identifizierender spezieller Name.
Alle diese ursprünglichen Entwicklungsformen des Blues sind allerdings erst nachträglich dokumentiert worden, in den Zwanzigerjahren hauptsächlich durch die dabei auf kommerzielles Material orientierte Schallplattenindustrie, weshalb sie nur bedingt Rückschlüsse auf den Entwicklungsprozess dieser Musik zulassen. Zunächst war es die Plattenfirma Paramount Records, die etwa ab 1923 auch die ländlichen Blues-Sänger in ihre Racerecord-Serie (Racerecords) aufnahm. Danach begann Gennet Records mit der Produktion von Blues-Sängern durch mobile Aufnahmestudios gleich an Ort und Stelle im Süden des Landes (Field-Records). Der erste schwarze Volksmusiker, der im Musikgeschäft dann richtiggehend aufgebaut wurde, war der 1933 im Staatsgefängnis von Louisiana entdeckte Huddie Ledbetter, genannt Leadbelly (1885-1949). Auch als ab 1933 die Volksliedforscher John A. Lomax (1875-1948) und dessen Sohn Alan Lomax (* 1915) im Auftrag der Washington Library of Congress mit der systematischen Sammlung des Liedgutes der Schwarzen im Süden der USA begannen, lag bereits mehr als ein halbes Jahrhundert Entwicklung, Anpassung an die sich verändernden Lebensverhältnisse, Verschmelzung lokaler Traditionen und die ständige Integration neuer musikalischer Einflüsse hinter dem Blues. Die Entwicklungsphase bis etwa zur Jahrhundertwende, die auch als archaischer Blues bezeichnet wird, ist daher heute nur noch indirekt rekonstruierbar. Oft wird deshalb auch auf eine solche zeitliche Einteilung verzichtet — zumal sie den Abbruch von Entwicklungen suggeriert, die tatsächlich bis in die Gegenwart fortdauern — und stattdessen vielmehr die Verwurzelung in den ländlichen Lebensverhältnissen, die stark volksmusikalische Prägung des Blues, als einheitlicher Entwicklungszusammenhang mit regional unterschiedlichen Traditionen (Mississippi-Blues, Texas-Blues, Piedmont-Blues, Blues der Ostküste) unter der Bezeichnung Countryblues zusammengefasst. Für die Renaissance dieser volksmusikalischen Bluestradition im Rahmen des amerikanischen Folkrevival Anfang der Sechzigerjahre, die zugleich mit einer musikalischen und technischen Perfektionierung einherging, bürgerte sich die Bezeichnung Folkblues ein. Als diese Tradition in den Achtzigerjahren erneut eine Renaissance erfuhr, wurde dafür dann die Bezeichnung Modern Acoustic Blues geprägt.
Eine ganz andere Entwicklungslinie des Blues, der City-Blues, ist an die Lebensbedingungen in den Großstädten des industriellen Nordens der USA gebunden. Hier erlaubten die Organisation der Arbeit und die Bedingungen des sozialen Lebens kaum mehr das Selbstmusizieren, das von musikalischen Bühnenveranstaltungen und später durch die Massenmedien Schallplatte bzw. Rundfunk abgelöst wurde. Das aber ebnete auch einer kommerziellen Verwertung des Blues den Weg. Die Musikverlage nahmen sich seiner an. Der erste gedruckte Blues wird William Christopher Handy zugeschrieben, dessen »Memphis Blues« 1912 erschien, was ihn dazu veranlasste, sich als »Vater des Blues« zu bezeichnen (W. C. Handy, Father of the Blues. An Autobiografy, London 1961). Allerdings war schon zuvor der »Dallas Blues« von dem weißen Musiker Lloyd Garrett (1885-1939) im Druck erschienen, ein später oft gespielter Bluesstandard. Für den Blues bedeutete diese Entwicklung seine Unterwerfung unter die kommerziellen Gesetze der Verlagsproduktion und damit eine wachsende Standardisierung auf das zwölftaktige Formmodell als Gestaltungsschema. Er wurde zum Betätigungsfeld professioneller Komponisten.
Mit der Umwandlung der volksmusikalischen Bluestradition in eine komponierte Form von Bühnenunterhaltung, dem Vaudeville-Blues oder auch klassischen Blues, verlagerte sich der Schwerpunkt seiner weiteren Entwicklung mehr und mehr auf die Verlagszentren in den Großstädten. Vorausgegangen war dem schon während des ersten Weltkrieges eine bis dahin beispiellose Bevölkerungswanderung aus den Südstaaten der USA in den industriellen Norden. Der hier mit der anlaufenden Rüstungsproduktion und der Einführung der Fließbandarbeit ständig wachsende Arbeitskräftebedarf gab vor allem den Schwarzen die Hoffnung, ihren miserablen Lebensverhältnissen auf den Farmen des Südens zu entkommen, sodass sie zu Tausenden in die Industriestädte des Nordens strömten. Selbst wenn sie, eingepfercht in die Gettos der Großstädte, nun als Lohnarbeiter in der Regel unter dem sozialen Existenzminimum zu leben gezwungen waren, schuf ihre Kaufkraft trotzdem einen besonderen Markt auch für Schallplatten. Der Handel mit solchen »Racerecords« entwickelte sich schnell zu einem blühenden Geschäft. Hinter dieser Entwicklung stand letztlich nichts anderes als die kommerzielleVerwertung einer volksmusikalischen Tradition durch professionelle Musiker, Verleger und Schallplattenproduzenten. Die schwarzen Interpreten des klassischen Blues — hauptsächlich Frauen — blieben auch im Musikgeschäft nur die skrupellos ausgebeuteten Vertreter einer farbigen Minderheit, was sie die Ängste und Sorgen, die Enttäuschungen, Verzweiflungen und Hoffnungen, den leidvollen Alltag ihres Publikums, der ihr eigener war und oft genug trotz erfolgreicher Karriere auch blieb, nie vergessen ließ. Das macht die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft ihrer Interpretationen aus, die sich, trotz der inzwischen kommerziellen Produktionsbedingungen mit ihrer Tendenz zur musikalischen Standardisierung, auf die Erfahrungen und Bedürfnisse des afroamerikanischen Proletariats in den Gettos der Großstädte bezogen und in vielen Fällen das Attribut »klassisch« durchaus zu Recht tragen.
Hier in den Großstädten entwickelte sich mit dem instrumentalen Blues noch eine nicht unwichtige Sonderform, die aus der Gitarren- und Pianobegleitung der Sänger entstand. Neben dem Gitarren-Blues ist der Piano-Blues eine der am weitesten verbreiteten Formen der instrumentalen Version dieser Musik geworden. Schon in der Verwendung als Begleitinstrument hatte sich im Zusammenhang mit dem volksmusikalischen Barrelhouse-Piano eine charakteristische Klaviertechnik herausgebildet-, die durch ständig wiederholte Bassfiguren (Walking Bass), Bassläufe in triolischer Form oder offene (ohne Terzen) Oktaven und Quinten gekennzeichnet ist. Daraus entstand eine solistische Piano-Blues-Version, die solche Bässe als rhythmische Grundmuster pointiert der Melodiestimme entgegensetzte und etwa durch die Aufnahmen des Pianisten Henry Brown (1908-1981) verkörpert wird. Zu einem Zentrum dieser Spielweise entwickelte sich in den Zwanzigerjahren Chicago, wo daraus dann der Boogie-Woogie wurde. Sehr populär waren in den Zwanzigerjahren auch die Klavier-Gitarre-Duos des instrumentalen Blues, wie das Duo Scrapper Blackwell (1903-1965), Gitarre, und Leroy Carr (1906-1935), Klavier, die ab 1928 eine ganze Plattenserie einspielten.
Einschneidende Konsequenzen für die Entwicklung des Blues hatte die Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1933, denn sie bedeutete auch den völligen Zusammenbruch des Schallplattenmarktes. Von der Vielzahl der kleineren Firmen, die in den Zwanzigerjahren die Entwicklung des klassischen Blues getragen hatten, blieben danach nur noch zwei große Firmengruppen übrig — die RCA Victor (mit ihrem Blues-Label Bluebird) und die ARC-Brunswick-Balke-Collender-Gruppe (mit den Blues-Labels Vocalion und Okeh), die spätere CBS Columbia (Musikindustrie). Dazu kam ab 1934 noch die Decca als neu gegründete amerikanische Tochterfirma des gleichnamigen britischen Schallplattenkonzerns. Diese großen Plattenfirmen produzierten nun aber ausschließlich für den nationalen amerikanischen Markt, nahmen also auch nur noch solche Musiker unter Vertrag, die sich von den regionalen Traditionen des Blues und seinem jeweiligen sozialen Hintergrund weitgehend gelöst und ihn zu einer Form der Unterhaltungsmusik gemacht hatten, die sich tatsächlich »from coast to coast« an die Schwarzen verkaufen ließ. Die Konzentration der Bluesproduktion auf einige wenige große Plattenfirmen bedeutete auch, dass die kommerziell erfolgreichen Musiker jetzt mit einer Produktion nach der anderen systematisch zu Stars aufgebaut wurden. Zu den meistproduzierten Bluesmusikern der Dreißigerjahre gehörten etwa die Sänger und Pianisten Peetie Wheatstraw (1902-1941) und Leroy Carr sowie der Sänger Amos Easton (* 1905). Blieb schon das nicht ohne Folgen, so zeichnete für die hier einsetzende Verflachung und musikalische Standardisierung vor allem aber der Umstand verantwortlich, dass die Bluesproduktion im Wesentlichen in den Händen von nur zwei Männern lag, die zugleich auch als Verleger tätig gewesen sind: Mayo Williams (1894-1980) als Produzent für die Blues-Serien von Decca und Lester Melrose (1896-1971), der gleichzeitig für die RCA Victor und für die spätere Columbia arbeitete. Sie waren es auch, die in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre bei ihren Aufnahmen die Begleitbands um Bläser, vor allem Alt- und Tenorsaxophon sowie Klarinette, erweiterten und an den damals vorherrschenden Swing-Sound anzupassen suchten. Mit den Harlem Hamfats, einer 1936 gegründeten Band, hatten sie für ihre Studioproduktionen ab 1937 eine ständige Begleitband unter Vertrag, die dem Swing recht nahe kam. Damit war der Grundstein für eine Swing-Version des Blues gelegt, die sich dann besonders im Mittleren Westen der USA (Kansas City) entwickelte und auch als Jumpblues bezeichnet wird. Für den Jazz selbst war der Blues spätestens seit etwa 1915 zu einer unmittelbaren musikalischen Grundlage geworden, er spielte als Formmodell und dann vor allem als Riffthema (Riff) eine zentrale Rolle. Angeregt durch den Erfolg des klassischen Blues der Zwanzigerjahre setzte sich auch der Sologesang im Jazz durch.
Anfang der Vierzigerjahre führte der Zweite Weltkrieg und die rasch angekurbelte Rüstungsindustrie erneut zu einer Welle des Zustroms der afroamerikanischen Bevölkerung aus dem Süden in die Arbeitsplätze versprechenden Großstädte des Nordens. So verließen zwischen 1940 und 1950 rund 1,6 Millionen Schwarze die Südstaaten der USA. Mit ihnen kamen auch noch einmal Volksmusiker aus den Zentren der Entwicklung des Countryblues am Mississippi-Delta, aus Texas und von den südlichen Ostküsten-Staaten. Neben New York und den Großstädten an der Ostküste sammelten sich die Musiker vor allem in Chicago. Hier war nach der Aufhebung der Prohibition 1933 und damit der Legitimation jener Unzahl von Kneipen und Klubs des vorher verbotenen Alkoholausschanks eine Musikszene entstanden, deren Traditionen bis weit in die Zwanzigerjahre zurückreichten (Chicago-Stil). Chicago gehörte zu den Zentren der amerikanischen Musikindustrie. Auch das Imperium der Bluesproduktion von Mayo Williams und Lester Melrose war hier angesiedelt. Mit dem Zustrom von afroamerikanischen Volksmusikern gewannen die ländlichen Spielweisen des Countryblues wieder an Bedeutung, vollzog sich eine Rückkehr zu den expressiven Ausdrucksformen des volksmusikalischen Blues. Das wichtigste Kennzeichen für diesen Chicago-Blues der Vierzigerjahre aber wurde der Einsatz der elektrisch verstärkten Gitarre, die die volksmusikalischen Einflüsse in ein großstädtisches Bluesidiom umschmolz. Eine ganz ähnliche Entwicklung vollzog sich mit dem Westcoast-Blues auch an der Westküste der USA, nur dass hier durch Musiker aus Texas, Oklahoma und Arkansas der Texas-Blues zur Grundlage einer solchen durch die elektrisch verstärkte Gitarre geprägten großstädtischen Spielweise wurde. Regionale urbane Bluesformen von musikgeschichtlich herausragender Bedeutung bildeten sich ferner in New Orleans (New-Orleans-Blues, Louisiana-Blues) und Memphis (Memphis-Blues) heraus. In dieser Entwicklung hatte in der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre der Rhythm and Blues seinen Ausgangspunkt.
Danach hat die Bluestradition sowohl den Rock 'n' Roll als auch die Soulmusik gespeist, fand eine eigenständige Weiterentwicklung auch im Rahmen der angloamerikanischen Rockmusik, für die der Blues so etwas wie eine ständige Quelle der Inspiration geworden ist. Der erste überragende europäische Musiker des Blues in diesem Zusammenhang war Alexis Korner (1928-1984), dessen 1961 in London gegründete Formation Blues Incorporated durch die hier versammelten Musiker zur Keimzelle später führender Rockgruppen wie der Rolling Stones, der Animals oder der Band von Manfred Mann (* 1940) wurde. Überhaupt ist dann kaum eine Rockgruppe ohne den Blues ausgekommen. Die Rolling Stones hatten einen ihrer ersten Erfolge mit »Little Red Rooster« (1964), einem Blues von Howlin' Wolf; bei den Beatles ist die Blues-Struktur des Titels »Can't Buy Me Love« (1964) unverkennbar; die Animals hatten Titel des Sängers John Lee Hooker (1917-2001), dem wohl bekanntesten Vertreter von Detroits Bluesszene, im Repertoire — und so lassen sich überall in der Rockmusik derartige Bezüge aufweisen. Allerdings handelte es sich dabei eigentlich eher um eine Partizipation an der Bluestradition. Diese wirklich in Richtung eines eigenständigen »weißen« Blues (Blue-eyed Blues) weiterzuführen, darum ging es neben Alexis Korner dann vor allem dem Engländers John Mayall (* 1933). Aus seinen Bluesbreakers ging auch der Gitarrist Eric Clapton (* 1945) hervor, der großen Anteil an einer rockspezifischen Spielweise des Blues hatte, wie sie insbesondere der farbige Amerikaner Jimi Hendrix (1942-1970) repräsentierte. Für ihn war der Blues wieder weniger mit einem formalen Modell der musikalischen Organisation als vielmehr mit einer emotionalen Grundstimmung (Blues-Feeling), mit der subjektiven Aufarbeitung und Umsetzung sozialer Erfahrungen in Musik verbunden. In seinen Titeln ist dann auch häufig zugunsten des mit dem elektrisch verstärkten Instrumentariums der Rockmusik unmittelbar in Klang umsetzbaren Blues-Feeling die Regelhaftigkeit des musikalischen Aufbaus durchbrochen oder ganz darauf verzichtet. Stattdessen dominieren die klanglichen Möglichkeiten der E-Gitarre, die durch technische Effekte wie das Wah-Wah-Pedal, Feedback und Echohall einen nahezu grenzenlosen Ausdrucksreichtum erhalten hatte, mit dem musikalisch ein Klangbild erzeugt werden konnte, das an die Eigenheiten der Bluesintonation angelehnt ist. Damit hat der Blues zweifellos eine adäquate Weiterentwicklung in den neuen musikalischen und technischen Dimensionen der Rockmusik erfahren. Die weit verzweigten Traditionslinien des afroamerikanischen Blues laufen bis heute nach wie vor insbesondere in Chicago zusammen, wo sie ungebrochen durch die fünfziger, sechziger, Siebziger- und Achtzigerjahre hindurch weiterlebten und immer wieder neue exzellente Musiker hervorgebracht haben, auch wenn sich das weitgehend außerhalb der großen Medienöffentlichkeit vollzog (Modern Electric Blues).
II
Blues
[bluːz] der, -/-,
1) neben dem geistlichen Gospelsong eine der ältesten eigenständigen Musizierformen der afroamerikanischen Musik. Der Blues, eine weltliche Gesangsform, die als Stegreifausführung an standardisierte Modelle gebunden ist, wurde um 1900 in den Südstaaten der USA von ländlichen schwarzen Wandersängern verbreitet (Country Blues). Zunehmend von Instrumenten (besonders Gitarre) begleitet, erreichte der Blues (als City Blues) die Städte im Norden der USA und erschien später, in verselbstständigt instrumentaler Form, auch als Tanzmusik (z. B. Cakewalk, Foxtrott, Boogie-Woogie). Er wirkte durch formale und ausdruckshafte Elemente auf die Entwicklung des Jazz ein und erreichte (durch dessen Verbreitung) auch weiße Bevölkerungsschichten.
Schon früh entwickelte sich die klassische zwölftaktige, auf drei Grundakkorden (Tonika, Dominante, Subdominante) beruhende Bluesformel, die entsprechend dem dreiteiligen Strophenbau nach Art des Ruf-Antwort-Schemas (zwei Anrufungen, eine Beantwortung) in drei viertaktige Teile gegliedert ist. Das Spezifische des Blues ist jedoch das für die Schwarzen typische Bluesfeeling, jene melancholisch anmutende, häufig aber von Optimismus belebte Stimmungsqualität, die an feinen Klangfarben sowie in Ausdrucksnuancen, einer besonderen Harmonik und Melodik (Bluestonalität) durch die Bluenotes und charakteristischen Intonationstrübungen (Dirty Tones) erkennbar ist. Die Texte behandeln Lebenssituationen und -bedingungen der Bluessänger (soziale Missstände, Rassendiskriminierung u. a.). Klassische Bluessänger waren u. a. Bessie Smith, Blind Lemon Jefferson, Big Bill Broonzy, Muddy Waters, Bo Diddley.
Mit der Verbreitung der wesentlich auf den Formen des Blues basierenden Rockmusik setzte nach 1960 ein weltweites Interesse am Blues ein. Weiße Rocksänger wie A. Korner, J. Mayall, E. Clapton und Gruppen wie Blues Project, Rolling Stones und Animals übernahmen Strukturformen und Ausdrucksqualitäten des Blues (Bluesrock).
S. B. Charters: Die Story vom B. (a. d. Amerikan., 1962);
S. B. Charters: Der Country B. (a. d. Amerikan., 1982);
B. u. work songs, übers. u. hg. v. J. Jahn (1964);
J. E. Berendt: B. (1970);
D. Moll: Das Buch des B. (21994);
P. Oliver: Die Story des B. (a. d. Amerikan., Neuausg. St. Andrä-Wöldern 1994).
2) ursprünglich Tanz der amerikanischen Schwarzen, wurde um 1920 Gesellschaftstanz der Weißen in den USA, seit 1923 auch in Europa; langsamer Tanz im 4/4-Takt mit teils sentimentalem Charakter.
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Blues [blu:s; engl.: blu:z], der; -, - [engl. blues, aus: the blues (für: the blue devils =die blauen Teufel) = Anfall von Depression, Schwermut, zu: blue = bedrückend, deprimierend]: 1. a) zur Kunstform entwickeltes, schwermütiges Volkslied der nordamerikanischen Schwarzen; b) <o. Pl.> aus dem ↑Blues (a) entstandene ältere Form des Jazz. 2. zu den nordamerikanischen Tänzen gehörender Gesellschaftstanz in langsamem 4/4 -Takt.
Universal-Lexikon. 2012.