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Rüstung
Panzer; Schutzkleidung; Harnisch; Aufrüstung; Bewaffnung; Mobilmachung

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Rüs|tung ['rʏstʊŋ], die; -, -en:
1. das Rüsten; das Verstärken der militärischen Mittel und Kräfte:
viel Geld für die Rüstung ausgeben.
2. (besonders im Mittelalter übliche) Schutzkleidung der Krieger aus Metall:
eine Rüstung tragen.
Syn.: Panzer.
Zus.: Ritterrüstung.

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Rụ̈s|tung 〈f. 20
I 〈unz.〉 das Rüsten, Kriegsvorbereitung, Ausstattung mit Waffen
II 〈zählb.; bes. im MA〉 Schutzbekleidung der Krieger aus Metallplatten od. -ringen

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Rụ̈s|tung , die; -, -en [16. Jh.; schon ahd. rustunga = Werkzeug]:
1. (bes. im Mittelalter) den Körperformen eines Kriegers angepasster Schutz [aus Metall] gegen Verwundungen, der ähnlich wie eine Uniform getragen wird:
eine schwere, glänzende, metallene R.;
eine R. anlegen, tragen, ablegen;
ein Ritter in voller R.
2. das Rüsten (1); Gesamtheit aller militärischen Maßnahmen u. Mittel zur Verteidigung eines Landes od. zur Vorbereitung eines kriegerischen Angriffs:
eine kostspielige, konventionelle, nukleare R.;
die R. verschlingt Milliarden.

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I
Rüstung,
 
politischer und ökonomischer Begriff, umfasst im weiteren Sinn alle Güter und Dienstleistungen, die militärischen Zwecken dienen beziehungsweise von militärischen Auftraggebern eines Landes oder Bündnisses nachgefragt werden, im engeren Sinn die militärische Beschaffung und Instandhaltung einschließlich der militärischen Forschung und Entwicklung. Man unterscheidet zwischen konventioneller, biologischer, chemischer und nuklearer Rüstung. Bei Gütern und Anlagen, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt (z. B. Lastkraftwagen, Beobachtungssatelliten oder Pestizidfabriken) oder in denen zivile (Insektenbekämpfungsmittel) wie auch militärische Produkte (Nervenkampfstoffe) hergestellt werden können, wird von »dual use« gesprochen. Dies erschwert es, präzise Daten über den Umfang der Rüstungsproduktion zu ermitteln.
 
Rüstungspolitik ist ein Teilbereich nationaler und internationaler Sicherheitspolitik. Sozialwissenschaftliche Arbeiten zur Rüstungspolitik befassen sich mit den weltpolitischen Rahmenbedingungen, innergesellschaftlichen und internationalen Triebkräften, Strukturen, Prozessen und Entscheidungen sowie den Rüstungswettläufen zwischen zwei oder mehreren Staaten oder Bündnissen. Sie versuchen, trotz begrenzter Information (Geheimhaltung), Ursachen und Wirkungen der Rüstungsdynamik auf nationaler und internationaler Ebene zu erfassen, Wechselwirkungen zu erklären und Schlussfolgerungen für die Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu ziehen. Im Mittelpunkt standen bis zum Ende des Ost-West-Konflikts v.a. die Beziehungsmuster zwischen den nationalen Rüstungspolitiken der USA und der Sowjetunion beziehungsweise der beiden Militärallianzen NATO und Warschauer Pakt mit besonderem Schwerpunkt auf der Nuklearrüstung. Das darauf folgende Jahrzehmt schien zunächst zu einer Abrüstungsdekade zu werden. Bald jedoch traten neue Probleme in den Vordergrund: Die Kontrolle der Nuklearwaffen in den Nachfolgestaaten der UdSSR und damit in unmittelbarem Zusammenhang die Gefahr der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen und ihrer Technologie v. a. in einigen Ländern der Dritten Welt und die Bemühungen der USA, diesen Gefahren durch ein neues, weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem zu begegnen. Weiterhin die zunehmende Gefahr biologischer Rüstung, die in den USA zur Erforschung biologischer Abwehrmaßnahmen geführt hat. Darüber hinaus haben die Erfahrungen der NATO-Staaten im 2. Golf- (1991) und im Kosovokrieg (1999), eigene Verluste durch eine hohe Präzision der Kampfmittel zu minimieren, das Pentagon und andere Verteidigungsminister darin bestärkt, unter dem Namen »Revolution in Military Affairs« (RMA) Waffensysteme zu entwickeln, die die eigenen Verluste minimieren und zugleich einen schnell kriegsentscheidend wirkenden Präzisionsgrad erreichen. Bedeutsam ist auch die gegenläufige Entwicklung von Abrüstung im Norden und Aufrüstung in einigen Regionen des Südens. So wird Rüstung auch im neuen Jahrhundert ein zentraler Faktor der Weltpolitik bleiben.
 
Rüstungspolitik als auf Kriegführung vorbereitende Politik ist zumindest seit Beginn des organisierten Pazifismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts (Bertha von Suttner »Die Waffen nieder!«, 1889) einer lebhaften Kritik ausgesetzt. Nach den 1945 in Hiroshima und Nagasaki sichtbar gewordenen Folgen des Einsatzes von Kernwaffen rückte v. a. die Nuklearrüstung in das Zentrum der Diskussion. In der Bundesrepublik Deutschland waren die Frage der Wiederbewaffnung (ab 1954) sowie Phasen nuklearer Rüstungsschübe und -innovationen - z. B. Ende der 1950er-Jahre (»Kampf dem Atomtod«), 1977 Auseinandersetzungen um die Neutronenwaffe (»Perversion des Denkens«, E. Bahr), 1980-86 Diskussion um den NATO-Doppelbeschluss - Höhepunkte der politischen Auseinandersetzung, wobei besonders innerhalb der Friedensbewegung die moralische Vertretbarkeit von Rüstung und nuklearer Abschreckung als Mittel der Politik debattiert wurde. In Phasen der Entspannung sank das öffentliche Interesse am Thema Rüstung - oft trotz steigender Rüstungsausgaben. Schwerpunkte der Diskussion seit dem weltpolitischen Umbruch Anfang der 1990er-Jahre sind Fragen der Rüstungskonversion und (damit verbunden) der häufig übertrieben hoch erwarteten »Friedensdividende«, sowie der nuklearen Rüstungsweitergabe (Proliferation) und der Rüstungsexporte und deren Kontrollmöglichkeiten.
 
 Rüstungsausgaben
 
Im engeren Sinn sind Rüstungsausgaben Aufwendungen für Rüstungsinvestitionen (Forschung, Entwicklung, Erprobung; Beschaffung und Instandhaltung; Infrastruktur), im weiteren Sinn alle Ausgaben, die direkt oder indirekt mit der äußeren Sicherheitsvorsorge und dem Unterhalt der Streitkräfte eines Staates zusammenhängen. Nach der NATO-Definition sind es alle Ausgaben für die regulären Streitkräfte (einschließlich der Pensionen), Ausgaben für die Stationierung fremder Truppen, Kosten der Infrastruktur, für zivile Bedienstete der Streitkräfte, die Militärhilfe an Bündnispartner und gleichgestellte Staaten (einschließlich Ausrüstung und Ausbildung) sowie die Kosten für Manöverschäden, z. B. in der Landwirtschaft; in der Bundesrepublik Deutschland zählten in der Zeit des Kalten Krieges hierzu auch die Aufwendungen für das damals mitten im gegnerischen Machtbereich liegende West-Berlin. Andere Definitionen rechnen die Kosten für die Deckung von Kriegsschulden oder für den Unterhalt paramilitärischer Kräfte zu den Rüstungsausgaben, sogar für sowohl zivil wie militärisch nutzbare Infrastrukturinvestitionen wie Straßen und Flughäfen.
 
Statistiken zu den Rüstungsausgaben werden jährlich v. a. vom International Institute for Strategic Studies (IISS; seit 1959), von der amerikanischen Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde (ACDA; seit 1966), vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI; seit 1969) sowie vom Bonn International Center for Conversion (BICC, seit 1994) vorgelegt. Obwohl die Übersichten hinsichtlich der globalen Trends übereinstimmen, sind sie untereinander nur schwer zu vergleichen, da sie jeweils von verschiedenen Definitionen ausgehen. Darüber hinaus werden sie von Wechselkursschwankungen und unterschiedlichen Preisentwicklungen in den Ländern beeinflusst. Dies erschwert besonders, die Entwicklung der Rüstungsausgaben der Nachfolgestaaten der UdSSR sowie einiger Entwicklungsländer nachzuzeichnen, obwohl z. B. Russland sich um Transparenz bemüht.
 
Erst seit Ende der 1980er-Jahre gibt es von der UNO ein standardisiertes Berichtssystem für Rüstungsausgaben. Aufbauend auf den Verhandlungen über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa verpflichteten sich die KSZE-Staaten im Wiener Dokument 1990 überdies, jeweils für das bevorstehende Haushaltsjahr nach UN-Kriterien Daten über ihre Rüstungsausgaben auszutauschen.
 
Die Rüstungsausgaben der wichtigsten Staaten der Erde nahmen im 20. Jahrhundert bis Ende der 1980er-Jahre beständig zu. Zwischen 1904 und 1914 lagen die Weltrüstungsausgaben jährlich durchschnittlich bei 4 Mrd. US-$; 1945 bis 1955 bei knapp über 100 Mrd. US-$. Nach SIPRI (1981) stiegen sie (in konstanten Preisen von 1978) von 120 Mrd. (1949) über 230 Mrd. (1960) auf 450 Mrd. US-$ (1980). Sie erreichten ihren Höhepunkt 1987 mit rd. 1 200 Mrd. US-$. Der Hauptteil der Rüstungsausgaben (rd. 80%) entfiel zwischen 1945 und 1989 auf die Staaten der NATO (rd. 45%) und des Warschauer Paktes (rd. 35%). Mit dem Ende des Kalten Krieges verminderten sich die Rüstungsausgaben zunächst kontinuierlich. 1998 umfassten die Weltrüstungsausgaben in realen Größen nur noch 65 % der Ausgaben des Jahres 1987. Nach rapiden Reduzierungen Anfang der 1990er-Jahre (durchschnittlich 11,9 % jährlich) hat sich der Abschwung jedoch stark abgeschwächt (2,0 % jährlich) und in einigen Staaten, besonders der Dritten Welt, sogar umgekehrt. Die hohen Reduzierungsquoten gehen v. a. von den NATO-Staaten und Russland aus. Während die Ausgaben sich 1998 in Russland auf dem niedrigeren Niveau stabilisert hatten, steigen sie in den USA seit 1999 wieder an. In den europäischen NATO-Staaten ist ein kontinuierlicher Abwärtstrend zu verzeichnen. Besonders in der Bundesrepublik Deutschland wurde dadurch der Handlungsspielraum für Ersatzteile und Neubeschaffungen so stark eingeengt, dass von einer Materialüberalterung die Rede ist. Die ASEAN-Staaten, die in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre höhere Wachstumsraten im Rüstungsbereich hatten, mussten diese wegen der asiatischen Fianzkrise zurückfahren, sodass ihre Ausgaben 1998 wieder auf dem Niveau von 1993 lagen. In Zentralamerika gab es über die gesamte Dekade hinweg einen Abwärtstrend, während in Südamerika bis 1997 Zuwächse zu verzeichnen waren und erst danach eine Trendwende sichtbar wurde.
 
 Funktionen und Rahmenbedingungen
 
In einer Welt souveräner Staaten dient Rüstung den einzelnen Mitgliedern des internationalen Systems zunächst als ein Mittel zur Selbstbehauptung (Kriegsverhütung durch Abschreckung oder Führung eines Verteidigungskrieges) gegen gewaltsame Einflussnahme von außen. Rüstung ermöglicht einem Staat indes gegebenenfalls auch, auf andere Staaten indirekt (Drohung, Pression) oder direkt (Intervention) Gewalt auszuüben. Die Angst, sich solcher Einflussnahme unterwerfen zu müssen, ist ein Motiv des Rüstungswettlaufs zwischen Staaten. Auf nationale Ebene dient der Machtfaktor Rüstung besonders in (Militär-)Diktaturen der Sicherung der Herrschaft im Inneren.
 
In der ersten Phase des Ost-West-Konflikts wurde von den USA wie auch von der UdSSR die wesentliche Funktion von Rüstung darin gesehen, militärische Überlegenheit über das gegnerische Bündnis zu erlangen. Erst infolge der Kuba-Krise (1962) wurde angestrebt, ein politisches und strategisches Gleichgewicht auf globaler Ebene wie auch in bestimmten Regionen herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Tatsächliches wie auch vermeintliches Versuchen einer Seite, insgesamt oder in Teilbereichen zu einer militärischen Überlegenheit zu gelangen, wirkte die Gegenseite mit qualitativ und/oder quantitativ verstärkten Rüstungsanstrengungen entgegen. Rüstungswettläufe sind nicht zuletzt dadurch bedingt, dass die Konfliktparteien selbst nicht in der Lage sind, ein stabiles Gleichgewicht objektiv zu bestimmen und daher aufgrund des »Sicherheitsdilemmas« und um des Sicherheitsgefühls willen nach wenigstens leichter Überlegenheit streben. Inwieweit die Hochrüstung letztlich dazu beitrug, die beiden Konfliktparteien vor einem militärischen Angriff abzuschrecken, wird deshalb auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts von der Forschung nicht eindeutig geklärt werden können.
 
Die Bemühungen der beiden Blockführungsmächte (wie auch einiger anderer unmittelbar in den Ost-West-Konflikt verwobener Staaten), den eigenen Einfluss global auszudehnen und den der Gegenseite einzugrenzen, schlugen sich in Rüstungsexporten insbesondere in Länder der Dritten Welt nieder. Rüstungsexporte (aber auch Leistungen der Militärhilfe) erfüllen verschiedene Funktionen: 1) verbilligen größere Serien eines Rüstungsproduktes den Preis für die eigenen Beschaffungen; 2) führen sie in einem hochsensiblen Bereich zu einer Abhängigkeit der Empfängerländer von Nachlieferungen und vom Know-how der Geberländer, die sich auch auf andere Wirtschaftsbereiche ausdehnen lässt, zumal viele international tätige Rüstungsunternehmen auch im Zivilbereich engagierte industrielle Mischkonzerne sind (z. B. Boeing oder Daimler-Chrysler); 3) ermöglichen sie dem Herstellerland, neue (konventionelle wie auch chemische) Rüstungsprodukte und -techniken unter Kriegsbedingungen auszuprobieren, ohne selbst davon beeinträchtigt zu werden; 4) erhöht die so nachgewiesene Effektivität eines militärischen Produkts dessen Abschreckungswirkung generell.
 
Häufig wird die These vertreten, die Rüstung sei als Teil der öffentlichen Nachfrage ein wichtiges Instrument staatlicher Struktur- und Konjunkturpolitik, d. h., sie belebe die Wirtschaft und schaffe Arbeitsplätze. Belegt wird diese Sichtweise mit dem Vergleich der Entwicklung der USA und Deutschlands in den 1930er-Jahren nach der Weltwirtschaftskrise: Während es in den USA der Politik des zivil ausgerichteten New Deal unter Präsident F. D. Roosevelt nicht gelang, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen, sondern dies erst mit der Ankurbelung der Rüstungsproduktion bei Eintritt in den Zweiten Weltkrieg möglich wurde, beruhte die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung im nationalsozialistischen Deutschland darauf, dass der Rüstungssektor bis 1938 auf 19 % des Bruttosozialprodukts angestiegen war.
 
Eine Analyse der Nachkriegsentwicklung führt jedoch zu einer anderen Einschätzung: Abgesehen von dem nicht quantifizierbaren Wert »Sicherheit« sind die von der Rüstungsindustrie und dem Militär produzierten Waren und Dienstleistungen weitestgehend ohne volkswirtschaftlichen Nutzen, da z. B. Panzer bis zu ihrem militärischen Einsatz lediglich unproduktiv Betriebsstoffe, Ersatzteile und Arbeitszeit verbrauchen, im Einsatzfall aber möglicherweise auch im eigenen Land Zerstörungen bewirken.
 
Auch der früher oft behauptete volkswirtschaftliche Nebennutzen militärischer Erfindungen wird zunehmend bezweifelt. Da Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie meist teurer sind als in anderen hochtechnologischen Industriesektoren, macht sich der Umweg, zivil nutzbare technologische Innovationen über militärische Erfindungen und Entwicklungen zu fördern, volkswirtschaftlich nicht einmal indirekt bezahlt. Betriebswirtschaftlich kann die Rechnung insofern anders aussehen, als die Kosten für Forschung und Entwicklung im Rahmen der Rüstungsproduktion vom Staat getragen werden, während die Gewinne aus dem zivilen Nachfolgeprodukt von den jeweiligen (nichtstaatlichen) Unternehmen realisiert werden. Der geringe volkswirtschaftliche Nutzen der Rüstung zeigt sich besonders deutlich am Vergleich des wirtschaftlichen Leistungs- und Innovationsvermögens der beiden Länder, deren Rüstungsindustrien nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht wieder aufgebaut werden durften, nämlich Japans und Deutschlands die einigen Staaten mit einer umfangreichen Rüstungsindustrie wie USA, Großbritannien oder Frankreich technologisch und hinsichtlich ihrer Exportfähigkeit davoneilten. Ebenso lässt eine Analyse des Konjunkturverlaufs in den USA während der 1980er- und 1990er-Jahre erkennen, wie eng im Verlauf der Reagan-Ära eine über lange Zeit fortgesetzte Hochrüstung, ein dramatisch anwachsendes Haushaltsdefizit und der zivilwirtschaftliche Niedergang miteinander zusammenhingen, während die Phase der drastisch sinkenden Rüstungsausgaben in den 1990er-Jahren mit einem lang anhaltenden Aufschwung der Zivilwirtschaft einherging, sodass durchaus von einer »Friedensdividende« gesprochen werden kann. Der für den Untergang der UdSSR mitverantwortliche zivilwirtschaftliche Rückstand dieses an Ressourcen reichen Landes ist allerdings nicht nur deren Kommandowirtschaft und ihrer einseitigen Förderung der Rüstungsindustrie, sondern zusätzlich dem noch von Stalin verordneten und erst von Gorbatschow aufgehobenen Transferverbot von Innovationen aus dem Rüstungssektor auf die zivile Güterproduktion zuzuschreiben.
 
Weitere Beispiele bieten Länder der Dritten Welt, die eigene Rüstungsindustrien aufgebaut hatten, um für sich und für den Export in andere Drittweltstaaten zu produzieren, und sich davon Impulse für ihre nachholende Entwicklung versprachen, die jedoch mit der sinkenden Rüstungsnachfrage in den 1980er-Jahren in eine Stagnation gerieten. Dies lässt den Schluss zu, dass Rüstungsproduktion zwar Hochkonjunkturen zusätzlich anzutreiben vermag, jedoch Krisenentwicklungen in diesen Ländern ebenfalls verschärft, wenn außenwirtschaftlich die Möglichkeit des antizyklischen Ausgleichs durch vermehrte Rüstungsexporte weitgehend wegfällt.
 
 Triebkräfte
 
Zu den aus dem Ost-West-Konflikt abgeleiteten Rahmenbedingungen traten Triebkräfte der Rüstungspolitik hinzu, die die Prozesse bei Planung, Entwicklung und Beschaffung einzelner Waffensysteme beeinflussten; dabei lassen sich v. a. drei Ansätze unterscheiden:
 
1) Traditionelle Ansätze sehen in der Rüstungskonkurrenz einen Aktions-Reaktions-Prozess. Diese Außenleitungstheorie eignete sich zur Analyse des deutschen-britischen Rüstungswettlaufs bei der Seerüstung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bei der Erklärung der Rüstungskonkurrenz USA - UdSSR konnte sie die zwischen ihnen abgelaufenen Prozesse jedoch empirisch nur teilweise erfassen: Einerseits lagen keine zuverlässigen Angaben zu den Rüstungsausgaben der UdSSR vor, andererseits umfassen die Produktionszyklen für ein hochtechnologisches Waffensystem von der ersten Planskizze bis zu seiner Einführung bei den Streitkräften 10-15 Jahre, sodass die häufig nur wenig später erfolgte Einführung eines ähnlichen oder eines auf dessen Abwehr gerichteten Waffensystems der Gegenseite kaum als Reaktion gedeutet werden kann.
 
2) Die hierzu als Gegenposition formulierten Innenleitungstheorien (revisionistische Ansätze) sehen in innergesellschaftlichen Kräften die Triebfedern für Rüstung. Ausgangspunkt hierfür waren historische und sozialwissenschaftliche Untersuchungen der amerikanischen Rüstungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, die ein teils offenes, teils verdecktes Zusammenspiel von Militär, rüstungsbezogener Forschung, Industrie und Politik in Friedenszeiten feststellten und hieraus das Erklärungsmodell des militärisch-industriellen Komplexes (MIK) entwickelten. Mit diesem Modell konnte zwar die Struktur und Interessenverflechtung der aus Rüstungsausgaben je spezifischen Nutzen ziehenden sozialen Kräfte und Institutionen herausgearbeitet, die Frage seiner Wirksamkeit bei Waffeninnovation und Beschaffung jedoch nur unzulänglich beantwortet werden. Darüber hinaus war das MIK-Konzept nicht ohne weiteres auf andere westliche Industrieländer wie die Bundesrepublik Deutschland übertragbar, geschweige denn auf die sowjetische Rüstungspolitik, für die sich zwar das Wirken eines militärisch-bürokratischen-Komplexes nachweisen lässt, der jedoch offensichtlich von anderen Triebkräften als dem beim MIK sehr wichtigen Gewinnmaximierungsstreben kapitalistischer Einzelinteressen angetrieben wurde. Die von D. Senghaas entwickelte Innenleitungstheorie der autistischen Feindschaft zwischen den beiden atomaren Großmächten erklärt deren Rüstungsverhalten nur für die Hoch-Zeiten des Kalten Krieges.
 
3) Die postrevisionistische Schule hat in Fallstudien den Anteil außen- und innenpolitischer Faktoren für den Verlauf der amerikanischen Rüstungsausgaben herausgearbeitet. Neben den genannten innergesellschaftlichen Faktoren sind auch die Entwicklung der Weltpolitik und der Zustand der Beziehungen zur UdSSR (als objektive Faktoren) sowie die Bedrohungswahrnehmung und die durch gesellschaftliche Gruppen und Medien mitgeprägte öffentliche Stimmungslage (als subjektive Faktoren) zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichem Umfang maßgeblich.
 
Es lassen sich zumindest vier Faktoren ausmachen, die als Triebkräfte die Rüstungspolitik beeinflussen und deren Wirkung auf verschiedene Konfliktkonstellationen übertragbar ist: der politische Wille der Entscheidungsträger, das militärstrategische Kalkül, das ökonomische Interesse und die technologische Eigendynamik. Zur Wechselwirkung von Politik, Strategie, Wirtschaft und Rüstungstechnik gibt es folgende Erklärungen: 1) Nach dem politischen Ansatz werden strategische Zielsetzungen von politisch dazu legitimierten Entscheidungsträgern vorgegeben. Dadurch werden technologische Prozesse in Gang gesetzt; diese laufen auf die Beschaffung eines Waffensystems hinaus, dessen Kosten von den Politikern meist als Antwort auf eine militärische Bedrohungswahrnehmung gerechtfertigt werden. 2) Nach dem strategischen Ansatz bieten militärstrategische Entscheidungen den Rahmen für die technologische Schwerpunktsetzung und die Auswahl der zu beschaffenden Waffensysteme. 3) Der ökonomische Ansatz wird v. a. von Kritikern der Rüstungspolitik marktwirtschaftlich orientierter Staaten vertreten, die auf die Interessen der Rüstungsindustrie an Nachfolgeprojekten und Gewinnen und das Interesse politischer Akteure an Arbeitsplätzen im oder Industriespenden aus dem eigenen Wahlkreis verweisen. 4) Nach dem technologischen Ansatz gibt es eine Eigendynamik oder einen technologischen Imperativ, dem zufolge naturwissenschaftliche Erkenntnisprozesse, technologische Innovationen und ihre waffentechnische Anwendung eigenen Gesetzen folgen, deren Geschwindigkeit durch die Höhe der Mittelzuweisung und politischen Vorgaben beeinflusst werden kann. Darüber hinaus gibt es Erklärungsmodelle, die einen sich abwechselnden Vorrang von Politik und Technologie erkennen.
 
 Neben- und Wechselwirkungen
 
Aus Sicht eines nachfrageorientierten Standpunktes zum Verhältnis von Rüstung und Wirtschaftssystem sind Rüstungsausgaben ein notwendiger Teil der öffentlichen Nachfrage und damit auch ein wichtiges Instrument staatlicher Struktur- und Konjunkturpolitik. Nach Ansicht angebotsorientierter Theoretiker werden aber durch Rüstungsausgaben Ressourcen verschwendet, das Wirtschaftswachstum gebremst und so Arbeitsplätze vernichtet, die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben, die Investitionstätigkeit, die Forschungs- und Entwicklungskapazität im zivilen Bereich gehemmt und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt geschwächt.
 
Auch die Auswirkungen von Rüstung auf die Entwicklung von Ländern der Dritten Welt werden kontrovers diskutiert. Während E. Benoit 1973 noch einen positiven Zusammenhang zwischen Rüstung und Wachstum feststellte, verwiesen Arbeiten aus den 80er-Jahren auf die negativen Wirkungen v. a. bei den ärmsten Entwicklungsländern, wie die zunehmende Verschuldung durch Rüstungsbeschaffung, die Abhängigkeit von der Rüstungsbranche der Industrieländer und die Minderung von Mitteln zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Seit 1990/91 weist auch die Weltbank auf diese Probleme hin.
 
Zunehmend rücken die ökologischen Folgen der Rüstung in den Blickpunkt: Knappe, nicht erneuerbare Rohstoffe (z. B. Titan, Germanium) werden verbraucht. Die bei der Produktion von ABC-Waffen verwendeten Schwermetalle und anderen Substanzen werden zu dem Zeitpunkt, zu dem solche Waffen in der Folge von Abrüstungsvereinbarungen vernichtet werden sollen, zu einem erheblichen Entsorgungsproblem. Dies trifft besonders auf das hochgiftige Plutonium zu. Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefährdung, die von militärischen Standorten ausgehen (z. B. Bodenverseuchung durch Benzin und Kerosin, Tieffluglärm) sind ebenso zu nennen wie Landschaftszerstörung durch Manöver und Truppenübungsplätze.
 
 Ausblick
 
Das Ende des Ost-West-Konflikts hat nur zum Teil zu der erwarteten Abrüstungsdekade geführt. Zwar haben zahlreiche Länder ihre Rüstungsausgaben deutlich verringert. Parallel dazu haben jedoch Regionalkonflikte und Bürgerkriege an Bedeutung gewonnen, weshalb die Aufrüstung einiger Regionalmächte (z. B. Irak, Nord-Korea, aber auch die indischen und pakistanischen Kernwaffenversuche 1998) als Bedrohungen für den Weltfrieden wahrgenommen wird. Dies und die Erfahrung der Einsätze im 2. Golf- und im Kosovokrieg veranlasste u. a. die NATO-Staaten in den 1990er-Jahren zu Umrüstungsprozessen, in denen die Abschreckungsarsenale des Kalten Krieges wenigstens teilweise durch mobile und flexibel einsatzfähige Streitkräftegruppierungen ersetzt wurden oder aber das Prinzip multinationaler Streitkräfte verstärkt verwirklicht wurde. Hochtechnologische Waffensysteme wie Raketenabwehr, Satellitenaufklärung, Präzisionswaffen, Gefechtsleitsysteme werden in den Industrieländern unter Hinweis auf die stärker werdenden Regionalmächte weiterentwickelt. Auch die so genannten Entwicklungsländer rüsten um. Obwohl die Hochtechnologierüstung für viele Länder nicht bezahlbar und sicherheitspolitisch auch nicht erforderlich ist, gilt sie immer noch als aus Prestigegründen erstrebenswert. Es fällt auf, dass die Kosten für Forschung und Entwicklung im Rüstungsbereich in der NATO und z. B. in Asien einem entgegengesetzten Trend folgen.
 
Rüstung wird außerdem aus politischen und finanziellen Gründen teilweise »virtualisiert«, d.h. an die Stelle realer Waffenbestände tritt das Potenzial, diese Waffen kurzfristig zu produzieren. Insofern bleiben die Haushaltsmittel für Forschung und Entwicklung hoch oder werden sogar erhöht, die für die tatsächliche Beschaffung von Rüstung können hingegen gekürzt werden. Ebenso können Militärstützpunkte geschlossen, aber vorgeschobene logistische Basen errichtet, Streitkräfte verringert und die mobilisierbaren Reserven ausgebaut werden. Diese Virtualisierung bedeutet nicht den Verzicht auf militärische Gewalt. Die Veränderung der Risikofaktoren, denen Staaten ausgesetzt sind (zum Beispiel durch Terrorismus, gezielte Umweltveränderungen, Währungsspekulationen), Angriffe auf militärische und zivile Datenbanken und -leitungen, für die der neue Begriff »Cyberwar« steht) wirft jedoch die Frage auf, ob und inwieweit nationale und internationale Sicherheit im neuen Jahrhundert noch durch Rüstung gewährleistet werden kann.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Abrüstung · biologische Waffen · chemische Waffen · Friedensbewegung · Friedensforschung · Kernwaffen · Krieg · Konfliktregelung · Massenvernichtungsmittel · Militär · Nuklearstrategie · Ost-West-Konflikt · Pazifismus · Rüstungsexporte · Rüstungskonversion · Rüstungsproduktion · Sicherheitspolitik
 
Literatur:
 
The military balance, hg. vom Institute for Strategic Studies (London 1959 ff.);
 C. S. Gray: The Soviet-American arms race (Farnborough 1976, Nachdr. ebd. 1978);
 M. Brzoska: R. u. Dritte Welt. Zum Stand der Forschung (1981);
 D. Senghaas: R. u. Militarismus (21982);
 Erwin Müller: R.-Politik u. R.-Dynamik. Fall USA (1985);
 M. Thee: Military technology, military strategy and the arms race (New York 1986);
 
Friedensgutachten, hg. v. der Hessischen Stiftung Friedens- u. Konfliktforschung u. a. (1987 ff., jährlich);
 
SIPRI-Yearbook, world armament and disarmament, hg. vom Stockholm International Peace Research Institute (Oxford 1987 ff., früher unter anderen Titeln);
 
Conversion survey, hg. v. Bonn International Center for Conversion (1998 ff., jährl.)
 M. Evangelista: Innovation and the arms race (Ithaca, N. Y., 1988);
 U. Albrecht u. R. Nikutta: Die sowjet. R.-Industrie (1989);
 J. Attali: Strahlende Geschäfte. Gefahren des internat. Atomschmuggels (a. d. Frz., 1996);
 J. F. Dunnigan: Digital soldiers. The evolution of high-tech weaponry and tomorrow's brave new battlefield (New York 1996);
 T. Peterman u. a.: Präventive Rüstungskontrolle bei neuen Technologien. Utopie oder Notwendigkeit? (1997);
 M. O'Hanlon: Technological Change and the Future of Warfare (2000).
 
II
Rüstung,
 
1) Bautechnik: Hilfskonstruktion aus Holz oder Stahlrohr, besonders bei Schalungen. (Gerüst)
 
 2) Waffenwesen: früher die Schutzbekleidung gegen Waffeneinwirkung, seit dem Altertum bestehend aus Panzer und Beinschienen (beides im Spätmittelalter vom Harnisch abgelöst) sowie dem Helm. Im weiteren Sinn gehörte zur Rüstung auch der Schild.
 
 

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Rụ̈s|tung, die; -, -en [16. Jh.; schon ahd. rustunga = Werkzeug]: 1. (bes. im MA.) den Körperformen eines Kriegers angepasster Schutz [aus Metall] gegen Verwundungen, der ähnlich wie eine Uniform getragen wird: eine schwere, glänzende, metallene R.; eine R. anlegen, tragen, ablegen; Sie lockerten ihre -en und lagerten sich (Hagelstange, Spielball 121); jmdn. in eine R. stecken; ein Ritter in voller R. 2. das Rüsten (1), Gesamtheit aller militärischen Maßnahmen u. Mittel zur Verteidigung eines Landes od. zur Vorbereitung eines kriegerischen Angriffs: eine kostspielige, konventionelle, nukleare R.; die R. verschlingt Millionen; Gespräche über die Begrenzung der strategischen R.; Und die verwendeten Kriegsmilliarden fließen in die R., anstatt eine präventive, Frieden bringende Aufbaupolitik zu finanzieren (taz 1. 6. 99, 6). 3. (Bauw.) Gerüst (a): die R. entfernen.

Universal-Lexikon. 2012.