Universität im Mittelalter: Von der Klosterschule zur Alma Mater
Weiteste Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens kamen im Mittelalter ganz ohne Schrift aus. Ein an Schriftlichkeit und Literatur geformter Bildungsbegriff ist auf mittelalterliche Verhältnisse also nur bedingt anzuwenden. Karl der Große mühte sich bis ins hohe Alter vergeblich, seine schwertgeübte Hand an die Feder zu gewöhnen. Ungebildet war er deswegen nicht, der die besten Gelehrten an seinem Hof versammelte, um sich von ihnen belehren und beraten zu lassen. »Er pflegte die Wissenschaften mit großer Hingabe«, rühmte sein Biograph: der Kaiser, ein gebildeter Analphabet. Noch der gewiss wortgewaltige Wolfram von Eschenbach konnte (kurz nach 1200) ohne Peinlichkeit mit seinem Mangel an Buchgelehrsamkeit kokettieren: swaz an den buochen stet geschriben, des bin ich künstelos beliben. Die Bildung des adeligen Herrn, und sei er auch Dichter, war nicht aus Büchern zu holen.
Antike Bildung und Christentum
Dennoch gründete die christlich-mittelalterliche Kultur Europas ganz wesentlich auf Buchwissen und Schrifttradition. Denn die christliche Kirche als Hüterin einer Buch- und Offenbarungsreligion, deren Wahrheit allein durch die Schrift überliefert ist und im Ritual der heiligen Messe durch das gesprochene, aber natürlich schriftlich fixierte Wort immer wieder aufs Neue lebendig wird, benötigt schriftkundige Priester und Theologen. Die Sprache der Bibel und der Kirchenväter, das spätantike Latein, für die meisten Menschen im frühen Mittelalter eine Kunstsprache und fast nur auf den liturgischen Gebrauch reduziert, war zum hoch geachteten und unverzichtbaren Spezialwissen geworden. Mit der Sprache aber ist auch das Wissen der antiken Autoren weitergegeben worden. Cicero, Sallust, Martianus Capella, Boethius, selbst Komödienschreiber und Satiriker wie Terenz und Juvenal und sogar der »Liebesdichter« Ovid wurden ja nicht nur stumpfsinnig abgeschrieben, um ihre Sprache zu lernen; auch ihre Gedanken drangen in die Köpfe der mittelalterlichen Leser ein und forderten zur Auseinandersetzung auf. Die Kirche wurde zur Kulturvermittlerin zwischen der heidnischen, schriftlich gebildeten Antike und der christlichen, genuin schriftlosen Welt des Mittelalters.
Die entscheidenden Weichen hatte schon der Kirchenvater Augustinus gestellt. »Die Ägypter hatten nicht nur Götzenbilder und schwere Bürden, vor denen das Volk Israel mit Abscheu floh. Sie hatten auch Gefäße und Zierrat aus Gold und Silber, dazu Kleidung, die das Volk beim Auszug aus Ägypten zur besseren Nutzung heimlich für sich in Anspruch nahm«, so kommentierte er den biblischen Bericht (Exodus 12, 35—36), um dann grundsätzlich festzustellen: »Genauso enthalten sämtliche Lehren der Heiden nicht nur Einbildungen und abergläubische Wahnideen und die Last unnützer Mühen, die wir alle, von Christus geleitet, beim Aufbruch von der heidnischen Gemeinschaft verabscheuen und meiden müssen, sondern auch die freien Wissenschaften, die sich besser eignen zur Erkenntnis der Wahrheit.« Gewiss, die Ägypter waren verblendete Heiden, sie vergeudeten ihr Wissen für Unnützes. Aber die geistigen Schätze der Heiden können den Christen auf ihrem Weg zur Gotteserkenntnis hilfreich sein, so wie die Israeliten auf ihrem Marsch durch die Wüste die Schätze der Ägypter nutzten. Von dem Kölner Erzbischof Bruno I., dem Bruder und Kanzler Kaiser Ottos I., wissen wir, dass er in seiner Reisebibliothek stets auch heidnische Bücher mit sich führte, um an ihnen Sprache und Stil zu schulen. Die Gelehrten des frühen und hohen Mittelalters verhielten sich zur antiken Kultur weit weniger feindlich oder verkrampft, als spätere Jahrhunderte ihnen manchmal unterstellt haben. Berührungsängste waren ihnen fremd, aber auch zum Übermut hatten sie selten Anlass, zu bewusst war ihnen ihre geistige Abhängigkeit von den Vorleistungen der Alten. »Wir sind wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen«, soll Bernhard von Chartres (✝ um 1130) gesagt haben, und die Zeitgenossen haben dieses Bild gerne zitiert. Nur weil die Riesen des Altertums sie trugen, konnten sie schließlich doch in stolzer Bescheidenheit von sich behaupten, mehr und weiter zu sehen als diese.
Bildungskrise und karolingische Bildungsreform
In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters war geistige Bildung freilich kaum mehr als ein frommer Wunsch. »Wenn uns in den letzten Jahren von manchen Klöstern Briefe zugesandt wurden, so erkannten wir in den meisten von ihnen zwar den Sinn als richtig, die Sprache aber als ungepflegt. Denn was die fromme Andacht aufrichtig diktierte, vermochte die ungebildete Zunge nicht fehlerfrei auszudrücken, weil das Lernen vernachlässigt war. So begannen wir zu fürchten, dass vielleicht, wenn schon im Schreiben zu wenig Klugheit war, noch viel weniger, als nötig wäre, in ihrem Verständnis der heiligen Schriften sei.« Karl der Große, der in einem Rundschreiben (vor 800) an die Bischöfe und Äbte des Reiches so unverblümt die Bildungsdefizite seiner Geistlichen anprangerte, hat gewiss nicht übertrieben. Bonifatius hatte seine liebe Not mit einem Priester, der mit einer eigenwilligen Formel die Taufe spendete: »Im Namen das Vaterland und die Tochter. ..« (In nomine patria et filia, statt patris et filii). War da nicht zu befürchten, dass dieser Priester selbst nicht verstand, was er betete und predigte? Und er war kein Einzelfall: Die noch erhaltenen Handschriften aus dem 8. Jahrhundert verraten eine notorische Unkenntnis in Sprache und Schrift.
Es ging nicht um hohe Theologie, sondern um einfachste Grundlagen. Zunächst waren zuverlässige Texte zu beschaffen. Denn die Evangelien, Sakramentare, Messbücher, Kirchenrechtssammlungen, Grammatiken, die es gab, waren fehlerhaft, bis zur Unverständlichkeit verstümmelt und widersprüchlich. Geschulte Kopisten mussten die korrigierten Texte vervielfältigen, qualifizierte Lehrer für ihre inhaltliche Verbreitung und Aneignung sorgen. Auf Initiative des Königs und unter der Anleitung von Gelehrten, die aus allen Teilen der lateinischen Welt an den Karolingerhof gekommen waren, wie der Angelsachse Alkuin, der Ire Dungal, der Westgote Theodulf, der Langobarde Paulus Diaconus, wurden die Klöster zu Trägern einer erneuerten Schriftbildung. In manchen von ihnen entstanden berühmte Schreibschulen, so in Tours, Fulda und Sankt Gallen, deren Handschriften noch heute von ihrem geistigen und künstlerischen Rang zeugen. Große Klosterbibliotheken mit mehreren Hundert Bänden, wie in Lorsch, Reichenau, Sankt Gallen und Bobbio, bargen Schätze auch von hohem materiellem Wert. Die Bücher wurden unter den Klöstern zur Abschrift ausgeliehen und sorgten so für gelehrten Austausch und Breitenwirkung über das einzelne Kloster hinaus. Die geistige Kultur Europas wurde im frühen Mittelalter hinter Klostermauern geformt; selbst was die Antike beitrug, ist durch die Feder der Mönche vermittelt.
Altes Wissen in neuer Anwendung
Auch die Fächer, die an den Klosterschulen gelehrt wurden, waren an den antiken Schuldisziplinen ausgerichtet, den sieben Freien Künsten (artes liberales). Dazu gehörte das trivium: Grammatik, Rhetorik und Dialektik, d. h. die sprachliche Ausbildung im Lateinischen, das Einpauken der Formen und Stilfiguren, aber auch deren Anwendung in stilistisch versierter Rede und Argumentation. Originalität war nicht gefragt, sondern die möglichst perfekte Annäherung an die klassischen Vorbilder, an deren Schriften man sich übte. Dasselbe galt für die Fächer des quadrivium: Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik. Es wurde das Buchwissen der antiken Autoritäten rezipiert. Astronomie handelte selten vom beobachteten Sternenhimmel, vielmehr von den Planetenbahnen, wie sie in den Büchern standen, Musik nicht in erster Linie vom Musizieren, sondern von der Harmonielehre und den kosmischen Sphärenklängen, Arithmetik und Geometrie von Zahlentheorie und von perfekten Ordnungen nach Zahl und Maß.
Dennoch waren die Lehrer der Kloster- und Domschulen nicht nur Epigonen des Altertums, die sich im bloßen Nachvollzug des tradierten Lehrstoffes erschöpften. Was sie interessierte, war das intellektuelle Training, das formale Instrumentarium, an dem sie Sprachverständnis und Deutungsmethoden schulen konnten, um die offenbarte Wahrheit umso vollkommener zu verstehen. Gott hatte den Menschen das Wissen geschenkt — und sei es in den Büchern der Heiden —, sie mussten es nur erkennen und nutzen. Zuerst waren die biblischen Schriften Wort für Wort zu verstehen, die wörtlichen und spirituellen Bedeutungen jedes einzelnen Wortes auszuloten, bevor man im 12. Jahrhundert zu selbstständigeren, theologisch anspruchsvolleren Kommentaren schreiten konnte. Die biblische Exegese steht am Anfang der systematischen Wissenschaft im christlichen Europa. Bis in die Universitäten des späten Mittelalters wird die Theologie die Königin der Wissenschaften bleiben.
Karriere durch Gelehrsamkeit
Schulbildung im frühen und hohen Mittelalter war jedenfalls in der Zielsetzung geistliche Bildung. Mit sieben Jahren — dem zweiten Lebensabschnitt, pueritia, nach der üblichen Einteilung der Lebensalter — begann für die Jungen und Mädchen der Unterricht in der Klosterschule. Die Kinder waren von den Eltern als »Oblaten« in die Klosterobhut gegeben worden. Durch die Erziehung und Ausbildung im Kloster war der spätere Lebensweg meist vorgezeichnet; erwachsen geworden, legten die Oblaten in aller Regel die Gelübde ab und wurden Mönche und Nonnen. Dass jemand, nachdem er Kindheit und Jugend im Kloster verbracht hatte, eine weltliche Laufbahn anschloss, wie Einhard, der Baumeister und Biograph Karls des Großen, nach erster Ausbildung im Kloster Fulda, war die ganz seltene Ausnahme. Ansonsten war Geistlicher, wer schriftkundig und literarisch gebildet war (aber keineswegs jeder Geistliche war solchermaßen qualifiziert!), während die Laien allenfalls über rudimentäre Schriftkenntnis verfügten. Begabten Schülern konnte das Kloster einen geistigen Entfaltungsraum bieten, gerade wenn die sozialen oder persönlichen Bedingungen einer weltlichen Karriere entgegenstanden. Hermann, zwar aus adligem Hause, aber von Kindheit an spastisch gelähmt, hätte in der auf Selbstbehauptung und herrschaftlicher Gewalt beharrenden Adelswelt des 11. Jahrhunderts schwerlich eine würdige Existenz finden können. Im Schutz des Inselklosters Reichenau und gefördert von einfühlsamen Lehrern, wurde Hermann von Reichenau, auch Hermann der Lahme genannt, zum gefeierten Gelehrten, der von weit her Schüler an die Reichenauer Schule zog.
Bildung war zum gesellschaftlichen Wert geworden, der selbst das Manko minderer Herkunft kompensieren konnte. Die Bischofskarrieren des 10. und 11. Jahrhunderts bieten zahlreiche Beispiele für sozialen Aufstieg aufgrund intellektueller Qualifikation, und immer bildeten Kloster- und Kathedralschulen die entscheidenden Stufen auf der Karriereleiter. Gerbert aus unbekannter südfranzösischer Familie erhielt seine erste Erziehung im Kloster Aurillac in der Auvergne. Dort wurde man auf seine mathematische Begabung aufmerksam und schickte ihn in die weitere Ausbildung zu Bischof Hatto von Vich nach Katalonien; nach kurzer Lehrtätigkeit in Rom im Dienst des Kaisers ging er zum Studium der Logik nach Reims. Er wurde selbst Leiter der Domschule, später Erzbischof von Reims (991) und von Ravenna (998), Lehrer des jugendlichen Kaisers Otto III. und bestieg schließlich als Papst Silvester II. den Stuhl Petri (999—1003).
So außergewöhnlich Gerberts atemberaubender Aufstieg insgesamt verlief, bezeichnend ist der Radius seiner Bildungskarriere mit Stationen in Frankreich, Spanien und Italien. Eine fundierte akademische Lehre war nicht an einem Ort, von einer Schule zu vermitteln. Wer sich umfassend bilden und damit seine akademischen und kirchlichen Karrierechancen verbessern wollte, von dem war höchste Mobilität gefordert. Die Lehrer und Schüler des hohen Mittelalters führten ein Wanderleben, zum Teil umherziehend wie fahrendes Volk und ähnlichen Konflikten ausgesetzt wie dieses. Die Schulen der Bischofskirchen waren offener für solche Fluktuationen als die zu Ortsbeständigkeit und Weltabgeschiedenheit verpflichtenden Klöster. Daher überflügelten die Kathedralschulen zunehmend die älteren Klosterschulen. Die großen Lehrer des späten 11. und 12. Jahrhunderts wirkten an den Domschulen in Reims, Chartres, Laon und besonders in Paris, wo sich schon die ersten Konturen der werdenden Universität abzeichneten.
Selbstbewusste Wissenschaften und neue Schulen
Das 12. Jahrhundert war in vielerlei Hinsicht eine Umbruchzeit, in der sich die Gesellschaft neuen Horizonten öffnete. Das geistige Leben konnte davon nicht unberührt bleiben. Peter Abaelardus verkörperte den neuen selbstbewussten Gelehrtentyp, ohne Respekt vor den überlieferten Autoritäten, sofern sie nicht kritischer Vernunftprüfung standhielten. Seine Schrift Sic et non (»Ja und Nein«, um 1122) stellte die Unvereinbarkeiten in Kirchenlehre und Kirchenrecht gegeneinander und erhob den methodischen Zweifel zum Erkenntnisprinzip. Mehr als alles andere bereicherte der seit dem 12. Jahrhundert in verschiedenen Schüben wieder entdeckte und rezipierte Aristoteles — im Mittelalter schlicht »der Philosoph« genannt — Philosophie und Denkrichtung der westlichen Gelehrten. Aristoteles lieferte ein in sich geschlossenes Lehrgebäude unabhängig von der christlichen Überlieferung, das diese substanziell herausforderte und zugleich methodisch stützte. Ähnlich wie Abaelardus, aber mehr an praktischen juristischen Fragen interessiert, sortierte der Bologneser Magister Gratian die Widersprüche der kirchlichen Rechtstexte zu einer systematischen Kirchenrechtssammlung; das Decretum Gratiani (um 1140) bildete den Grundstock des seither fortgeschriebenen Rechts der katholischen Kirche. Um dieselbe Zeit und ebenfalls in Bologna erwachte das Interesse am gelehrten weltlichen Recht. Das spätantike römische Recht, das jetzt neu gelesen und kommentiert, in Teilen auch erst bekannt wurde, bot dem Kaiser die gesuchte Legitimationshilfe in seiner Auseinandersetzung mit dem Papst.
Die Lehrer und Schüler selbst sprengten die alten Formen. Wo Abaelardus und andere auftraten, scharten sie Massen von Schülern um sich. In Paris machten mehrere »Schulen« einander Konkurrenz, die Domschule von Notre-Dame, auf dem linken Seineufer bei Sainte-Geneviève der Kreis um Abaelardus und noch andere; um 1200 lebten hier etwa 5 000 Studenten. Wie sich Paris im Laufe des 12. Jahrhunderts zum Hauptsitz der gelehrten Theologie entwickelte, so wurde Bologna die führende Rechtsschule in Europa. Die Schulen in Paris und Bologna und auch schon Oxford waren auf dem Weg zu Universitäten; was ihnen noch fehlte, war eine rechtliche Verfassung ihrer Lehrenden und Lernenden.
Universitäten überziehen Europa
Universitas magistrorum et scholarium wurde die Pariser Schule seit 1221 genannt, »Genossenschaft der Magister und Studenten«. Einen eigentlichen Gründungsakt hatte diese »Universität« so wenig erlebt wie die anderen hohen Schulen des 12. Jahrhunderts. Sie alle sind in einem langen Gärungsprozess und unter günstigen lokalen Bedingungen entstanden. Die unklare Rechtssituation der vielen ortsfremden Magister und Scholaren war auf die Dauer unhaltbar. Päpstliche und königliche Privilegien regelten Lehrbefugnisse, Lehrangebote und rechtliche Zuständigkeiten und entzogen damit die Universität dem Recht des Bischofs, der das Monopol über seine Domschule gehabt hatte, stellten sie aber auch außerhalb der weltlichen städtischen Gerichtsbarkeit. Es wuchs ein neues, weitgehend autonomes Rechtsgebilde heran, eine Korporation der Lehrer und Schüler, vergleichbar einer handwerklichen Zunft, wo die qualifizierten Mitglieder ebenfalls Magister, »Meister« hießen. Erst im 13. und 14. Jahrhundert wurden nach den verehrten Vorbildern Paris und Bologna neue Universitäten förmlich gegründet: 1218 in Salamanca, 1224 in Neapel durch Friedrich II., 1229 in Toulouse, später in rascher Folge in Prag (1348), Florenz (1349), Pavia (1361), Krakau (1364), Wien (1365), Heidelberg (1386) und Köln (1388).
Die Lehre der Universität zielte, wie schon die Kloster- und Domschulen, auf mündlich reproduzierbares Wissen. In der Vorlesung (lectura) musste der Magister die vorgeschriebenen Bücher »Wort für Wort verständlich und vernehmbar den Studenten vorlesen« (so eine Bestimmung der Heidelberger Juristen am Ende des 14. Jahrhunderts); selbstständige Lektüre oder gar der Besitz eigener Bücher wurde nicht vorausgesetzt. Mittelalterliche Gelehrsamkeit blieb in erster Linie Gedächtnisleistung. Das Studium begann für alle Studenten mit den philosophischen Fächern (artes), d. h. vor allem mit Latein und Logik. Nur wer zum Magister artium promoviert war, mit etwa zwanzig Jahren, konnte das Studium an einer der »höheren Fakultäten«, Theologie, Jurisprudenz oder Medizin, fortsetzen.
Der Bedarf der Fürstenhöfe und Städte an akademisch, vor allem juristisch qualifizierten Beratern hatte im späten Mittelalter deutlich, aber noch nicht sprunghaft zugenommen. Ein Universitätsstudium allein war noch keine Garantie für den Aufstieg in eine soziale oder berufliche Spitzenposition. Die Bilderbuchkarriere des Konrad von Soest vom mittellosen Studenten, der 1387 in Heidelberg unentgeltlich immatrikuliert wurde, zum Rektor seiner Universität, Berater des Pfalzgrafen und Königs und zum Bischof von Regensburg zeigt zwar eindrucksvoll, welche Aufstiegschancen eine akademische Ausbildung eröffnen konnte, war aber gewiss eine Ausnahme. Eine satirische Aufzählung nennt am Ende des 15. Jahrhunderts als »Berufschancen« für Universitätsabgänger Glücksspieler, Zuhälter, Landsknecht, Narr, Henker, Abdecker, Schornsteinfeger, Wahrsager und immerhin noch den fahrenden Schüler. Der mittelalterliche Student gehörte so wenig wie sein heutiger Kommilitone automatisch zur geistigen Elite.
Ohnehin darf von der Vielzahl der neu gegründeten Universitäten im späten Mittelalter nicht auf eine allgemeine Akademisierung der Gesellschaft geschlossen werden. Sie waren ja nicht wie im 12. Jahrhundert aus dem lebendigen Diskurs der Gelehrten erwachsen, sondern eher fürstlicher Prestigesucht entsprungen. Manche Gründung hatte daher auch nicht lange Bestand, und keine erreichte die geistige und räumliche Ausstrahlung der alten Universitäten, auf die sie sich in ihren Urkunden feierlich beriefen. Kleinräumige Territorialisierung, nationale Gegensätze und das Abendländische Schisma des späten Mittelalters konnten und sollten die Universitäten nicht überbrücken, im Gegenteil. Von der landesherrlichen Politik in den Dienst genommen, trugen sie selbst zu ihrer Provinzialisierung bei. Die Aufgabe der spätmittelalterlichen Universität, »zwischen dem Anspruch der Gesellschaft und der politischen Autoritäten einerseits und dem geistigen Imperativ andererseits ihren eigenen Weg zu finden« (Peter Classen), bleibt aktuell, solange die Universität einen Rest ihrer mittelalterlichen Freiheit bewahren kann.
Dr. Arnold Bühler, Frankfurt
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
Gesellschaftsordnung des Mittelalters: Die geistigen Grundlagen mittelalterlicher Ordnung
Universal-Lexikon. 2012.