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Germanen
I
Germanen
 
Die Bezeichnung Germanen wird auf eine Vielzahl von Völkern und Stämmen in Nord- und Mitteleuropa, die der indogermanischen Sprachfamilie angehören, angewendet. Der Name, dessen Bedeutung unklar ist, wurde ursprünglich von den Kelten für benachbarte nicht keltische Stämme gebraucht und von den Römern aus Caesars Berichten übernommen. Er bezieht sich im Wesentlichen auf rechtsrheinisch wohnende Völker und Stämme, die sich in ihrer Sprache, ihrer Religion, ihren Sitten und Gebräuchen von den benachbarten Kultur- und Sprachgruppen unterschieden.
 
Im südlichen Teil Skandinaviens einschließlich Dänemarks sowie im anschließenden norddeutschen Gebiet bildete sich seit Beginn der Bronzezeit (um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr.) ein zusammenhängender Kulturkreis, der sich, wohl bedingt durch eine Klimaverschlechterung, bis etwa 450 v. Chr. nach Süden bis an die deutsche Mittelgebirgsschwelle, nach Westen bis in die nördlichen Niederlande und nach Osten bis zur unteren Weichsel ausbreitete. Im 2. Jahrhundert v. Chr. setzte eine neue Wanderbewegung ein, in deren Verlauf die Germanen immer häufiger mit den Römern in Berührung kamen (siehe auch Germanen und Römisches Reich).
 
Die Bildung von Stämmen bei den Germanen ist ein sehr schwieriges Forschungsproblem. Heute ist man der Ansicht, dass es schon früh Siedlungsverbände gab, die sich durch gemeinsame Sprache, Abstammung, Königssippe, Götterverehrung, Sitten und Traditionen einander zugehörig und von ihren Nachbarn unterschieden fühlten, dass sie jedoch großen Veränderungen unterworfen waren. Diese Instabilität zeigt sich gerade in den Wanderungen bis hin zur Völkerwanderung des 4. bis 6. Jahrhunderts, bei denen keine geschlossenen Stammesverbände, sondern kleinere Gruppen unterschiedlicher Zusammensetzung zu neuen Siedlungsgebieten aufbrachen (siehe auch Völkerwanderung).
 
Die Geschichtswissenschaft hat die Germanen in die Großgruppen der West-, Ost- und Nordgermanen eingeteilt. Westgermanen nennt man alle jene Völkerschaften, die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung zwischen Rhein und Elbe, zwischen Nordseeküste und Donau wohnten. Sie sind wieder nach ihren Siedlungsgebieten eingeteilt worden in die a) Rhein-Weser-Germanen, zu denen u. a. die Bataver, Ubier, Tenkterer, Brukterer und Sugambrer gehörten; im wesentlichen aus diesen Stämmen hat sich im 3. Jahrhundert der Großverband der Franken gebildet; b) die Nordsee-Germanen, zu denen die Angeln, Friesen und Sachsen zählten. Teile der Sachsen, Angeln und Jüten haben im 5. Jahrhundert Britannien erobert; c) die Elb-Germanen, unter denen die Cherusker, Chatten, Markomannen, Sweben und Semnonen die bekanntesten Stämme waren. Während die Cherusker später zusammen mit anderen Stämmen in dem Großverband der Sachsen aufgingen, wurden die Chatten vermutlich die Vorväter der späteren Hessen. Aus den Hermunduren entstand im Wesentlichen der Stamm der Thüringer. Aus Sweben und anderen Gruppen bildete sich der Großstamm der Alemannen heraus, der vornehmlich im südwestdeutschen Raum und auch linksrheinisch im heutigen Elsass siedelte.
 
Zu den Ostgermanen gehörten u. a. die Goten, deren Urheimat Skandinavien war. Sie waren weichselaufwärts bis nach Südrussland gezogen und teilten sich dort in zwei später als Ost- und Westgoten bezeichnete Hauptgruppen (siehe auch Völkerwanderung). Die um 100 v. Chr. im Gebiet zwischen Oder, Warthe und Weichsel ansässigen Burgunder, die im 4. Jahrhundert am Mittelrhein erschienen, und die Vandalen, die hauptsächlich in Schlesien siedelten, werden ebenfalls zu den Ostgermanen gerechnet, ferner die Langobarden, die im 2. Jahrhundert in Ungarn siedelten, vorher aber weiter nördlich mit den Markomannen und den Cheruskern in Fühlung gestanden hatten und deshalb oft auch den Elb-Germanen zugerechnet werden.
 
Nordgermanen sind im Wesentlichen die in Skandinavien und Dänemark gebliebenen Völker, von denen einige erst Jahrhunderte später als Normannen oder Wikinger im mitteleuropäischen Raum auftauchten.
 
Die gesellschaftliche Gliederung der Germanen lässt als Grundprinzip eine starke patriarchalische Autorität und als wichtigste gesellschaftliche Einheit den Sippenverband erkennen, der zugleich Siedlungsgemeinschaft war. Die Bedeutung der Sippe ging jedoch seit der Völkerwanderungszeit zurück. Soziale Unterschiede sind schon in Tacitus' »Germania« (siehe auch Tacitus) bezeugt. Neben den Freien, die die wehrfähige Bevölkerung der Bauern und Handwerker bildeten, gab es Halbfreie (Unterworfene und Freigelassene) und Sklaven (Kriegsgefangene, unfrei Geborene und in Schuldknechtschaft Geratene). Viele Stämme hatten auch Könige, die die mit dem Götterkult zusammenhängenden Aufgaben zu erfüllen hatten. Dieses »Sakralkönigtum« wurde wahrscheinlich im Zuge der Wanderungen von einem oft erblich werdenden Heerkönigtum erfolgreicher Heerführer abgelöst, die eine persönliche Gefolgschaft um sich scharten. Auf dem Gefolgschaftswesen beruhte später die Vasallität, ein wichtiges Element des mittelalterlichen Lehnswesens.
 
II
Germanen,
 
Sammelname für verschiedene Völker und Stämme in Mitteleuropa und im südlichen Skandinavien, die einen Teil der indogermanischen Sprachfamilie (Indogermanen, indogermanische Sprachen) bilden, aus der sie sich seit der ersten (germanischen) Lautverschiebung herausheben (germanische Sprachen).
 
 Siedlungsraum und Entstehung
 
Der Name Germanen (lateinisch Germani) bezog sich ursprünglich auf eine Gruppe kleinerer Stämme im heutigen Belgien, die »Germani Cisrhenani« (später Tungrer), die von Osten über den Rhein eingewandert sein sollen; sie wurden erstmals von Poseidonios um 80 v. Chr., später von Caesar 57/53 v. Chr. genannt. Von Galliern und Römern wurde dieser Name ohne Unterschied auf sämtliche rechtsrheinische Völkerschaften übertragen. Die Germanen selbst kannten keine für ihre Gesamtheit geltende einheimische Bezeichnung. Nach Tacitus gab es drei germanische Stammesgruppen: Ingwäonen, Herminonen und Istwäonen. Von der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts ging die Einteilung in Westgermanen, Ostgermanen und Nordgermanen aus.
 
Für die ersten Jahrhunderte n. Chr. lassen sich mehrere, archäologisch bezeugte germanische Fundgruppen nachweisen, denen bei aller Vorsicht eventuell bestimmte, von den Römern erstmals genannte Stämme zugeordnet werden können: Nordseegermanen (Friesen, Chauken, Sachsen), Rhein-Weser-Germanen (Tenkterer, Sugambrer, Brukterer, Cherusker, Chatten), Elbgermanen oder Elbsweben (Langobarden, Semnonen, Hermunduren, Markomannen, Quaden), Oder-Warthe-Germanen (Lugier, Wandalen), Weichselgermanen (Rugier, Burgunder, Goten), Ostseegermanen (kleinere südskandinavische Stämme).
 
Die neuere archäologisch-historische Forschung lehnt die Vorstellung von einer Urheimat der Germanen zwischen Südskandinavien und Mittelelbegebiet, die angeblich seit der Bronzezeit (2. Jahrtausend v. Chr.) nachzuweisen sei, und von einer aus diesen Gebieten erfolgten stetig fortschreitenden »Germanisierung« südlich und westlich anschließender Landschaften weitgehend ab. Vielmehr gilt die Entstehung (Ethnogenese) und Ausbreitung der Germanen als ein außerordentlich vielschichtiger, bislang nicht völlig geklärter Vorgang. Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass offenbar eine Vielzahl eisenzeitlichen Bevölkerungsgruppen unterschiedlichen Ursprungs und Kulturniveaus im Gebiet zwischen norddeutschem Flachland und der Mittelgebirgszone an der Entstehung der germanischen Stämme beteiligt waren. In jenem Raum, der annähernd vom Verlauf von Nieder- und Mittelrhein, Main, Sudeten und Weichsel umschrieben wird, lassen sich in den letzten Jahrhunderten v. Chr. mehrere regionale eisenzeitliche Kulturgruppen nachweisen, die sich teilweise kontinuierlich aus bronzezeitlichen Wurzeln gebildet hatten. Diese waren einer mehr oder minder intensiven Beeinflussung seitens der höher entwickelten Zivilisation keltischer Stämme ausgesetzt, deren Siedlungsgebiete sich von Gallien über Süddeutschland und Böhmen bis nach Südpolen erstreckten. Die Aufgeschlossenheit gegenüber keltischer Kulturvermittlung (Oppidum, Münzprägung, Schmuckformen und höher entwickelte Produktionsmöglichkeiten wie Drehbank und Töpferscheibe) führte in der unmittelbaren Kontaktzone (Oberlauf von Oder und Weichsel, ferner im Gebiet zwischen Main und Nordrand der deutschen Mittelgebirge) zu einer erheblichen Angleichung an den keltischen Süden.
 
Bei allen regionalen, meist traditionsbedingten Unterschieden war die Zugehörigkeit zur Randzone der keltischen La-Tène-Zivilisation für sämtliche Bevölkerungsgruppen im nördlichen Mitteleuropa das verbindende Element. So darf die Ethnogenese der Germanen verstanden werden als ein Ausgleichsprozess verschiedenartiger ethnischer Gruppen, die jeweils starkem keltischem Einfluss unterlagen, ohne selbst Kelten zu werden, ein Prozess, der in einigen Gebieten wohl schon im 3. Jahrhundert v. Chr. einsetzte und in der Zeit um Christi Geburt teilweise noch andauerte. Dafür spricht die große Mobilität einzelner damals historisch bezeugter Stämme, die sich noch unter den Römern in diesem Gebiet bildeten oder neu formierten.
 
Die Ausbildung einer sich vom Keltischen immer weiter unterscheidenden Sprachgruppe dürfte wesentlich zur Entstehung des Germanentums beigetragen haben.
 
Einen wichtigen, aber wohl nicht ausschlaggebenden Anteil an diesem Vorgang hatten die Träger der sich kontinuierlich aus der jüngeren Bronzezeit entwickelnden Kultur der Jastorfgruppe (seit dem 6./5. Jahrhundert v. Chr., Jastorfkultur), die von der jütischen Halbinsel über Mecklenburg und Brandenburg bis nach Nordböhmen verbreitet waren. Sie gelten als die Vorläufer der späteren Elbgermanen. Einzelne Vorstöße im 2./1. Jahrhundert v. Chr. nach Süden und Westen mögen den genannten Ausgleichsprozess gefördert haben. Zur gleichen Zeit bildete sich im stark keltisch geprägten Raum zwischen Oder und Warthe die germanische Przeworskkultur heraus, die sich durch die Übernahme keltischer Waffen - und damit verbunden der Sitte, verstorbenen Kriegern bei der Bestattung Waffen beizugeben - auszeichnete, vielleicht ein Zeugnis für die Rezeption des keltischen Gefolgschaftswesens. Schon bald einsetzende Vorstöße aus diesem Raum ins Elbe-Saale-Gebiet vermittelten dem südlichen Jastorfkreis die Sitte des Waffenbeigebens als Ausdruck eines neu entstehenden, wohl gefolgschaftlich organisierten Kriegertums. So hat spätestens im letzten Jahrhundert v. Chr. der schon seit längerem wirkende keltische Einfluss nicht nur die materielle Kultur, sondern offenbar auch die Gesellschaftsstruktur der weiter nördlich siedelnden Bevölkerungsgruppen entscheidend verändert und damit zur Ethnogenese der Germanen beigetragen.
 
Nach frühen Ansätzen zu Stammesbünden unter Ariovist, Arminius und Marbod kam es erst seit dem 3. Jahrhundert zum Zusammenschluss der historisch bekannten Großstämme (Alemannen, Franken, Sachsen, Goten), die seit dem 4. Jahrhundert das Siedlungsgebiet der Germanen durch Wanderungen weit nach Westen und Süden ausdehnten bei gleichzeitiger Aufgabe der Oder-Weichsel-Gebiete.
 
Das Aussehen der Germanen wird von den antiken Autoren mit hohem Wuchs, blondem Haar und blauen Augen beschrieben. In der römischen Kunst finden sich viele Darstellungen von Germanen (Steindenkmäler, Kleinplastik), die einen antiken Idealtypus verkörpern. Der spezifisch germanische Swebenknoten des Haares kommt häufig vor.
 
Die Tracht der Germanen ist durch Moorleichen- und Grabfunde sowie bildliche Darstellungen der Römer überliefert. Kittel, Mantel und Hose (selten Mütze) waren bei den Männern, Rock, Bluse und Umhang bei den Frauen üblich. Lederschuhe wurden von beiden getragen. Verwendet wurden meist hochwertige Wollstoffe (Thorsberger Prachtmantel) unterschiedlichster Textiltechnik, seltener Leinen. Zur Bekleidung gehörte vielfältiger Schmuck (Fibeln, Gürtelhaken, Schnallen, Nadeln, Perlen) aus Silber, Bronze, Eisen und Glas.
 
 Siedlung und Hausbau
 
Die Germanen wohnten meist in flussnahen Dörfern, Weilern oder Einzelhöfen, die teilweise befestigt waren. Die langrechteckigen Wohn-Stall-Häuser (4-7 m breit, 10-30 m lang), die besonders im Nordseeküstengebiet und in Westfalen verbreitet waren, hatten lehmverstrichene Holzflecht- oder Grassodenwände, besaßen meist drei Schiffe und trugen ein Giebeldach (Feddersen Wierde). In den anderen Siedlungsgebieten der Germanen herrschten zumeist kleinere, rechteckige Firstpfostenhäuser vor, die teils zweischiffig, teils - unter Zuhilfenahme »abgefangener« Firststiele - einschiffig waren und als reine Wohnbauten dienten. Im Elbe-Oder-Gebiet sind mittelgroße Wohnhäuser mit ovalem Abschluss an einer Schmalseite nachgewiesen. Daneben gab es, regional variierend, verschiedene Haustypen unterschiedlicher Funktion (u. a. Grubenhäuser zum Weben und als Werkstätten, Speicher und Ställe). Die häufige Verlegung der Siedlungen innerhalb eines größeren Areals hing von wirtschaftlichen Gegebenheiten ab. Die Siedlungsdichte war, auch landschaftlich bedingt, recht ungleichmäßig: Intensiver genutzte »Siedlungskammern« waren vielfach durch größere Waldungen oder unbebautes Ödland voneinander getrennt. Eigentliche Befestigungen lassen sich - wohl infolge keltischen Einflusses - erstmals seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. belegen, wurden aber erst im 4./5. Jahrhundert, besonders bei den Alemannen, häufiger (Glauberg, Runder Berg).
 
 Wirtschaftliche Grundlage
 
Die germanische Landwirtschaft war eine Kombination von Ackerbau und Viehzucht, wobei der Getreideanbau im Laufe der Jahrhunderte zunahm. Angebaut wurden besonders Weizen und Gerste, seltener Hafer, Roggen, Hirse, Flachs, Erbsen, Bohnen u. a. Die breitrechteckigen, blockförmigen Ackerfluren der vorrömischen Eisenzeit waren von Wällen (Hochrainen) eingefasst, erst später kamen streifenförmige Ackerbeete (Langstreifenflur) auf; gedüngt wurde mit Mergel und Grassoden. Anfangs wurde der Ritzpflug (Ard), seit der Zeitenwende auch der Wendepflug benutzt. Die Zucht von Rind, Schaf und Schwein (seltener von Ziege und Pferd) hatte eine noch größere Bedeutung als der Ackerbau. Die Jagd und der Fischfang spielten dagegen eine geringere Rolle.
 
Die Gewinnung und Verarbeitung von Holz, Salz und Metallen wurde besonders seit der römischen Kaiserzeit von berufsmäßigen Handwerkern ausgeübt. Da Glasherstellung unbekannt war, mussten Glasgefäße aus den römischen Provinzen, besonders aus Gallien, eingeführt werden. Weberei und Töpferei wurden vielfach noch als Hausgewerbe betrieben.
 
Handel und Verkehr sind schon für die früheste Zeit bezeugt. Hölzerne Bohlenwege und vierrädrige Wagen waren bekannt. Verbindungen zum Römischen Reich sind durch reiche Importe von Glas- und Metallgefäßen belegt. Dem Handelsaustausch dienten Bernstein, Pelze, Überschüsse landwirtschaftliche Produktion u. a., auch Sklaven. Die Schifffahrt der Germanen war frühzeitig entwickelt. Neben langen Einbäumen gab es genähte (Fund von Hjortspring) und genagelte oder genietete Ruderboote von 13-23 m Länge mit Klinkerbeplankung (Fund von Nydam). Segelboote sind erst seit der Wikingerzeit (8. Jahrhundert) bezeugt.
 
 Gesellschaft und Recht
 
Die Auswertung archäologischer Grab- und Siedlungsfunde erlaubt, eine stärkere soziale Gliederung bereits im letzten Jahrhundert v. Chr. festzustellen. Doch erst der direkte Kontakt mit der höher entwickelten römischen Welt (seit Christi Geburt) führte zu größeren Differenzierungen im Gesellschaftsaufbau (reiche, separierte Gräber vom Typ Lübsow im 1. Jahrhundert; Entstehung eines bevorzugten Herrenhofes auf der Feddersen Wierde seit dem 2. Jahrhundert). Römischer Militärdienst, vermehrter Grundbesitz und Beginn des Gefolgschaftswesens begünstigten die Entwicklung und Absonderung einer aristrokratischen Führungsschicht (Anlage von Fürstengräbern im 3./4. und 5./7. Jahrhundert). Erst im Lauf der Merowingerzeit entstand aus ihr durch rechtliche Sonderstellung (Steuer- und Gerichtsfreiheit, Frauenerbrecht) ein wirklicher germanischer Adel. Bei Tacitus werden im 1. Jahrhundert n. Chr. dementsprechend drei Stände genannt: Freie, Halbfreie und Sklaven. Einige Stämme hatten Könige (östlich der Oder, Elbgermanen), überall kannte man »Nobiles« oder »Principes« (Aristokratie).
 
Die auf gemeinsamer Abstammung beruhende Sippe, nach der laut Tacitus auch das Heer geordnet war, stellte das wichtigste soziale Gebilde dar. Über ihr stand der in Gaue unterteilte Stamm. Die unterschiedlich großen Stammesgebiete waren durch breite Streifen von Wald oder Ödland getrennt.
 
Das ursprünglich auf Einzelkampf mit Lanze und Schild (seltener mit Schwert) gerichtete Kriegswesen wandelte sich unter römischem Einfluss; so sind geschlossene Kampfesweise und vermehrte Reiterei erst in der Kaiserzeit festzustellen. Große Waffenopfer in Mooren (Nydam) seit dem 2./3. Jahrhundert verdeutlichen die zunehmende Bedeutung des religiös gebundenen Kriegertums. Seit dem 1. Jahrhundert drängten germanische Krieger und ihre Führer in den römischen Heeresdienst; dies erreichte im 4./5. Jahrhundert einen Höhepunkt (Foederaten) und war von entscheidender Bedeutung für die Verteidigung des Römischen Reiches einerseits und für die Akkulturation der Germanen andererseits.
 
Die Rechtsprechung beruhte auf mündlich tradiertem Recht. Die von der Gesamtheit gewählten Richter verhandelten auf dem Thing (Ding) besonders die das Gemeinwesen betreffenden Streitfälle. Private Rechtsfälle wurden häufig durch Fehden zwischen den Sippen ausgetragen. Durch Geldbußen (Wergeld) sollte dem Fehderecht gesteuert werden. (germanische Volksrechte)
 
 Geschichte
 
Erstmals berichtete über germanische Stämme an der Nordseeküste Pytheas von Massalia (2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr.), doch erst Poseidonios unterschied im 1. Jahrhundert v. Chr. Germanen von Kelten und Skythen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. drangen Bastarnen aus Mitteleuropa an die Schwarzmeerküste vor, während andere frühgermanische Stämme Mitteldeutschlands in Böhmen siedelten. Große Unruhe in der Mittelmeerwelt rief der (möglicherweise durch die Auswirkungen einer Sturmflut in Nordwestjütland und auf den Nordfriesischen Inseln oder durch die Auszehrung der heimischen Böden verursachte) Vorstoß der Kimbern, Teutonen und Ambronen (113-101 v. Chr.) nach Süden hervor (nach römischen Niederlagen, u. a. bei Noreia 113 v. Chr. und Arausio [der heutigen südfranzösischen Stadt Orange] 105 v. Chr., Vernichtung der Teutonen und der Ambronen 102 v. Chr. bei Aquae Sextiae [Aix-en-Provence] und der Kimbern bei [?] Vercellae [Vercelli, Piemont] 101 v. Chr. durch G. Marius). Um 71 v. Chr. zogen elbsweb. Stämme unter Ariovist an den Oberrhein, wo sich einige niederließen (Wangionen, Triboker, Nemeter, Neckarsweben), während andere den Fluss überquerten. Nach ihrer Niederlage gegen Caesar (wahrscheinlich beim heutigen Mülhausen) 58 v. Chr. wurden die von Ariovist geführten Germanen über den Rhein zurückgedrängt und mussten sich neues Siedelland suchen. Die ihnen ausweichenden Usipeter und Tenkterer überschritten 55 v. Chr. den Niederrhein, wurden aber von Caesar vertrieben. 38 v. Chr. wurden die Ubier links des Rheins bei Colonia Agrippinensis (auch Ara Ubiorum, heute Köln) angesiedelt, den Chatten ein Gebiet nördlich des Mains zugewiesen. Die vernichtende Niederlage des römischen Statthalters Marcus Lollius gegen Sugambrer und Tenkterer (16 v. Chr.) leitete die Phase römische Offensivkriege gegen die germanischen Stämme östlich des Rheins ein. Ziel von Kaiser Augustus war die Einbeziehung Germaniens in das Römische Reich bis zur Elbe-March-Linie, was durch die erfolgreichen Kriegszüge von Drusus und Tiberius (12 v. Chr. bis 5 n. Chr.) weitgehend gelang und u. a. zum Abzug der Markomannen des Marbod vom Main nach Böhmen führte. Dort entwickelte sich bald ein bedeutendes politisches und kulturelles Machtzentrum, das besonders die Kunstentfaltung und Sozialstruktur bei den Germanen stark beeinflusste. Nach dem Sturz des Marbod zogen 19/20 n. Chr. markomannisch-quadische Gefolgschaften nach Südosten (Mähren, Slowakei), wo unter Vannius das mächtige Quadenreich gegründet wurde. Der Sieg des Cheruskerfürsten Arminius über den römischen Statthalter P. Quinctilius Varus (9 n. Chr.) bewirkte die Aufgabe der römischen Stützpunkte rechts des Rheins und (nach Rachefeldzügen des Germanicus 14-16 n. Chr.) der römischen Expansionspolitik insgesamt.
 
Während die linksrheinischen, teilweise von Germanen besiedelten Gebiete unter dem Schutz von Legionslagern rasch romanisiert wurden und sich zu städtisch geprägten Reichsprovinzen entwickelten (Germanien), verblieb das »freie« (oder »große«) Germanien weiterhin unter der Herrschaft germanischer Stämme, die sich durch ständigen römischen Einfluss (u. a. durch Handel, Militärdienst) langsam zu wandeln begannen. Die Niederschlagung des von Gaius Iulius Civilis geführten Bataveraufstandes (69/70 n. Chr.) verhinderte die Schaffung eines germanischen Staatsgebildes beiderseits des Niederrheins. Der Chattenkrieg Kaiser Domitians (83 n. Chr.) führte zur Errichtung des obergermanischen Limes, der unter Antoninus Pius (Mitte des 2. Jahrhunderts) ausgebaut wurde und das Dekumatland ins Römische Reich einbezog (90-259/260; gleichzeitig mit diesem Gebietszuwachs Einrichtung der Provinzen »Germania inferior« und »Germania superior«).
 
Völkerbewegungen des 2. Jahrhunderts im Innern Germaniens führten u. a. zum Einfall von Langobarden, Markomannen und Quaden ins Römische Reich, was die Markomannenkriege (166-180) auslöste und die Grenzsituation an der Donau veränderte. Politische und soziale Umgruppierungen bei den Germanen während des 2./3. Jahrhunderts gelten als Ursachen für die Bildung von nur noch wenigen Großstämmen, die nun in der Folgezeit stärker in Erscheinung traten (Sachsen, Franken, Alemannen).
 
Seit 213 standen Alemannen am Limes, den sie 260 durchbrachen. Das Dekumatland wurde seitdem von ihnen besiedelt. Fränkische Vorstöße in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts gefährdeten die Niederrheingrenze und bedrohten Gallien. Von der Weichselmündung wanderten die Goten (in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts Aufspaltung in Westgoten und Ostgoten) zur Schwarzmeerküste (Südrussland) ab, fielen 248 in Mösien ein, besiegten die Römer unter Kaiser Decius 251 bei Abritus (Rasgrad), besetzten danach Dakien (nach 270 von den Römern aufgegeben) und drangen mehrfach bis zu den Küstengebieten Griechenlands und Kleinasiens sowie nach Thrakien vor. Zur gleichen Zeit zogen die Gepiden von der Weichsel über die Karpaten und besiedelten nach 275 das obere Theißgebiet. Um 350 durchbrachen erneut Alemannen und Franken die Rheingrenze, die von den Römern nur mühsam zurückgewonnen werden konnte (Sieg über die Alemannen bei Argentorate, heute Straßburg, 357). Die Neuorganisation der spätantiken römischen Armee hatte eine ständige Zunahme angeworbener germanischer Söldner zur Folge, führte aber gleichzeitig zur Stabilisierung der militärischen Lage, besonders in Gallien. Germanische Gefolgschaftsführer stiegen in der Folgezeit zum Teil zu den höchsten Kommandostellen auf (Stilicho, Ricimer, Childerich I.).
 
Der Vorstoß der Hunnen aus Asien nach Südrussland verursachte den Untergang des Ostgotenreiches (375) und löste in den folgenden Jahrzehnten eine Völkerbewegung großen Ausmaßes aus (Völkerwanderung). Die Westgoten verließen 376 Siebenbürgen, fielen ins Oströmische Reich ein (Niederlage von Kaiser Valens bei Adrianopel, 378) und zogen nach Italien (Eroberung Roms durch Alarich, 410). 418 wurden sie als Foederaten in Aquitanien ansässig gemacht, dehnten ihre Herrschaft im späteren 5. Jahrhundert auch nach Spanien aus.
 
Das Vordringen der Hunnen ins Karpatenbecken brachte Ostgoten, Heruler, Skiren u. a. an die mittlere Donau und ließ Sweben (Quaden), Wandalen und die iranischen Alanen 406 über Gallien nach Spanien abwandern, wo sie ihre Königreiche auf römischem Reichsboden gründeten. 429 verlagerten die Wandalen ihr Machtzentrum nach Nordafrika. Bereits 413 ließen sich die von der mittleren Oder zum Main vorgedrungenen Burgunder als römische Foederaten in Rheinhessen (um Borbetomagus, heute Worms) nieder, von wo sie 443 - nach einer Niederlage gegen die im Auftrag Roms kämpfenden Hunnen - in die Landschaft Sapaudia (um den Genfer See) umgesiedelt wurden. Im 5. Jahrhundert beendeten ursprünglich als Söldner ins Land gerufene Angeln und Sachsen sowie Jüten u. a. ostseegermanische Stämme die Römerherrschaft in Britannien und gründeten eigene Königreiche auf der Insel (Angelsachsen). Die einheimischen Briten wurden nach Westen abgedrängt (Wales, Cornwall, Bretagne).
 
Nachdem das Hunnenreich in Mitteleuropa, das unter Attila (434-453) den Höhepunkt seiner Macht erreichte, durch die Gepiden u. a. germanische Stämme (Schlacht am Nedao, 454 oder 455) vernichtet worden war, besetzten Ostgoten unter Thiudemir, Valamir und Vidimir 456 als Foederaten die pannonischen Provinzen des Reiches, bis sie 473 unter Theoderich dem Großen nach Mösien zogen. 476 beseitigten die unter dem Befehl des Skiren Odoaker stehenden Ostgermanen das weströmische Kaisertum und ersetzten es durch eine eigene Herrschaft. Diese fand 493 durch die nach Italien eingefallenen Ostgoten des Theoderich ihr Ende.
 
Bereits kurze Zeit zuvor hatte der Franke Chlodwig in der Schlacht bei Soissons (486) die letzten Reste römischer Herrschaft zwischen Somme und Loire zerschlagen und ein sich ständig erweiterndes Königreich geschaffen, das um 510 fast ganz Gallien umfasste (Fränkisches Reich). Zur gleichen Zeit (510) drangen die nördlich der mittleren Donau siedelnden Langobarden nach Pannonien vor und besetzten bis 546 das Land bis zur Save. Nach Auseinandersetzungen mit den Awaren verließen die Langobarden das heutige Ungarn und zogen 568 nach Italien, wo sie ein bis 774 bestehendes Reich errichteten.
 
Die vielfach auf dem Boden des Imperium Romanum neu gegründeten Reiche bestimmten in der nun völlig veränderten spätantiken Mittelmeerwelt weitgehend die politische Geschicke und prägten so das Gesicht Europas im frühen Mittelalter.
 
Literatur:
 
Allgemeines:
 
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Universal-Lexikon. 2012.