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Rechtsstaat
Rẹchts|staat 〈m. 23Staat, in dem die Regierungsgewalt durch eine Rechtsordnung begrenzt u. die rechtl. Stellung des Bürgers gesichert ist

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Rẹchts|staat, der (Politik):
Staat, der [gemäß seiner Verfassung] das von seiner Volksvertretung gesetzte Recht verwirklicht u. sich der Kontrolle unabhängiger Richter unterwirft.

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Rechts|staat,
 
ein Staat, dessen Tätigkeit vom Recht bestimmt und begrenzt wird. Als Programm zur Begrenzung der Staatsgewalt zum Schutz individueller Freiheit an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstanden, findet der Begriff in anderen Sprachen keine genaue Entsprechung, ist jedoch dem englischen »rule of law« und dem »limited government« der USA verwandt. Er zielt auf eine Friedensordnung durch das vom Staat gewährleistete Recht. Wenngleich der Gedanke der Sicherung der Bürgerfreiheit durch Mäßigung der Staatsgewalt mittels Gewaltenteilung, Achtung der Menschen- und Bürgerrechte (Grundrechte) und mittels Gesetzesvorbehalt im Vordergrund steht, erschöpft sich der Rechtsstaatsgedanke nicht in der Abwehr staatlicher Eingriffe, der Begrenzung der Staatsgewalt und gesetzlicher Durchordnung des Staates, er hat auch zum Inhalt, dass das Recht dem staatlichen und gesellschaftlichen Leben Maß und Form gibt. Der Rechtsstaat bezeichnet damit einen Staat, der »zugleich im Recht steht und durch das Recht legitimiert wird« (G. Leibholz). Er ist nicht bloß »ein System rechtstechnischer Kunstgriffe zur Gewährleistung gesetzlicher Freiheit« (E. Forsthoff) oder eine »Defensivveranstaltung des deutschen Bürgertums zur Garantie seiner Eigentümerinteressen« (R. Bäumlin, H. Ridder), sondern ein das politische System wie die politische Kultur konstituierendes Gestaltungsprinzip. Je nach den geschichtlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Erfordernissen werden die Akzente zwischen Sicherheit, Frieden, Schutz vor staatlicher Willkür, gerechtem Ausgleich und rechtlich geordneten Verfahren unterschiedlich gesetzt (E. Schmidt-Assmann).
 
 Geschichte
 
Der Gedanke, dass es besser sei, wenn die Gesetze herrschten als die Willkür einzelner Personen, spielt schon in der griechischen Staatsphilosophie eine wichtige Rolle. Der Nomos ist Prinzip der Polis, denn »wo nicht die Gesetze (nomoi) regieren, da ist auch keine Verfassung (politeia)«, wie es in der »Politik« des Aristoteles heißt. Anders als die Moderne kannte die antike »Nomokratie« jedoch keine persönlichen Rechte des Einzelnen, sondern lebte aus der ungeschiedenen Einheit von Bürgern und politischer Gemeinschaft.
 
Im Mittelalter waren Staat und Herrscher abhängig vom Recht, das sie zu bewahren und zu beschützen hatten. Frieden und Sicherheit waren mit dem Recht und dessen Institutionen verknüpft. Als in der Zeit der Fehden Unrechtserfahrungen alltäglich wurden, proklamierte der Reichsabschied von 1495 den Ewigen Landfrieden und errichtete über die vorhandenen Rechtswege hinaus zum Austrag von Kontroversen das Reichskammergericht. Ständische Rechte wirkten in der Folgezeit dem absoluten Machtstreben der Landesfürsten entgegen. Als äußerstes Mittel gegen den rechtlos und damit treuwidrig handelnden Herrscher galt das Widerstandsrecht. Das Bedürfnis, Rechte des Einzelnen herauszuarbeiten und schriftlich festzuhalten, wurde erst nach der Bildung des modernen Staates unter Ablösung vom mittelalterlichen Denken akut.
 
Im England des 17. Jahrhunderts entwickelte sich die Idee des Rule of Law auf der Grundlage der Common-Law-Tradition. Damals griff die Parlamentspartei in ihrem Konflikt mit den absolutistischen, auf die königlichen Prärogative gestützten Bestrebungen der Stuartkönige zur Legitimierung ihres Standpunkts auf die Magna Charta Libertatum von 1215 zurück, die ihres feudalen Charakters entkleidet und als Freiheitsbrief nicht nur für bestimmte Stände, sondern für das ganze Volk aufgefasst wurde. Weitere Dokumente dieser Konzeption, die auf der Durchdringung der neuen gesellschaftlichen Realität mit dem Vergangenen beruhte, sind die Petition of Right (1628), die Habeas-Corpus-Akte (1679), die Bill of Rights (1689) und der Act of Settlement (1701). Charakteristisch für die Einbindung dieser Variante des Rechtsstaatdenkens in die Common-Law-Tradition ist das Abstellen auf verfahrensrechtliche Regelungen, durch die das Handeln der staatlichen Organe bestimmt und begrenzt wurde. Geschriebene oder gar katalogmäßig aufgeführte Menschen- und Bürgerrechte kennt Großbritannien bis heute nicht. Die individuellen Freiheitsrechte werden vielmehr in enger Verbindung zum politischen Willensbildungsprozess gesehen, sodass die Rechtsstaatlichkeit der Parlamentssouveränität nachgeordnet ist.
 
In den britischen Kolonien in Amerika, die sich 1776 für unabhängig erklärten und die Vereinigten Staaten von Amerika bildeten, ist die Entwicklung unter dem Einfluss naturrechtlicher Aufklärungsphilosophien - v. a. von J. Locke und Montesquieu - einen anderen Weg gegangen. Die Konzeption naturrechtlich begründeter, als vorstaatlich verstandener Menschenrechte (Virginia Bill of Rights, 1776) verband sich mit der Idee einer geschriebenen Verfassung, einer strikt durchgeführten Gewaltenteilung und einer an den Menschenrechten und der Verfassung orientierten Normenkontrolle durch die Gerichte. Einig ist sich die amerikanische Rule of Law mit der englischen in der Wertschätzung der traditionellen, in die Obhut der Gerichte gegebenen Verfahrensgarantien zum Schutz des Einzelnen, wie sie im Ausbau der Formel vom »due process of law« (ordnungsgemäßes Verfahren) zum Ausdruck kommt. Wiederholt hat das oberste Gericht der USA (Supreme Court) ausgeführt, dass sich die Geschichte der Freiheit weitgehend in der Einhaltung verfahrensrechtlicher Garantien offenbart. Im Sinne des »substantive (das heißt wirksamen) due process of law« interpretiert, ermächtigt die Klausel auch dazu, die Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen der Gesetzgebung und der Verwaltung in Freiheitsrechte zu prüfen. Rule of Law führt so gleichsam zur richterlichen Oberhoheit über die Legislative.
 
 Die Entwicklung in Deutschland
 
Die Eigentümlichkeiten der rechtsstaatlichen Entwicklung in Deutschland, die den Begriff des Rechtsstaats in der Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts zum zentralen Kampfbegriff in der Auseinandersetzung der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Staat machten, erklären sich aus den Besonderheiten der geschichtlichen Entwicklung. Schon bei den Vertretern des frühen deutschen Naturrechtsdenkens - S. Pufendorf, C. Thomasius, C. Wolff - fehlt die Schärfe der Frontstellung zum Staat, wie sie dem Aufklärungsdenken in England und Frankreich eigen war. Die preußischen Rechts- und Justizreformer des 18. Jahrhunderts (Johann Heinrich Casimir Graf von Carmer, * 1720, ✝ 1801, C. G. Svarez) begnügten sich, zur Sicherung der Rechte des Einzelnen die Macht des absoluten Herrschers in rechtliche Schranken zu fassen sowie ein unparteiliches und unbestechliches Beamtenkorps zu schaffen. Im Zusammenhang mit der Französischen Revolution, die die Entfaltung und Verbreitung liberaler Ideen in Deutschland beförderte, kam jedoch I. Kant zu der Erkenntnis, dass der Staat des aufgeklärten Absolutismus, der die Beförderung der Glückseligkeit seiner Untertanen als Ziel sah, der »größte denkbare Despotismus« sei, weil er die Untertanen als unmündige Kinder behandle. Kant stellte, von der Autonomie des bürgerlichen Subjekts ausgehend, das Prinzip der Freiheit in den Mittelpunkt seiner politischen Philosophie. Dem Recht wies er die Vermittlung der Freiheit des einen mit der des anderen zu, indem er es als »Inbegriff der Bestimmungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann«, definierte. Im Staat sah er eine »Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen«, deren primärer Zweck darin bestehe, »jedem seine Freiheit durch Gesetze zu sichern, wobei es ihm (das heißt jedem) unbenommen bleibt, seine (individuelle, private) Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer Untertanen, Abbruch tut«.
 
Die damit vorgenommene, dem liberalen Zeitgeist entsprechende Reduzierung der Staatsaufgaben auf Rechtswahrung und Rechtsschutz prägte die rechtsstaatlichen Bestrebungen im 19. Jahrhundert. Im Vormärz verstärkte sich unter dem Eindruck der metternichschen Reaktion nach den Befreiungskriegen die Forderung nach persönlichen Freiheitsrechten, geschriebener Verfassung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Unabhängigkeit der Gerichte. Unter den deutschen Theoretikern des Rechtsstaats neigten C. von Rotteck und C. T. Welcker dem französischen Konstitutionalismus zu. R. von Mohl räumte, über Ansätze bei Welcker hinausgehend, demgegenüber ein, dass der Staat neben dem Rechtszweck auch der Förderung der Ziele seiner Bürger verpflichtet sei, allerdings auf das Notwendige beschränkt und nach dem Subsidiaritätsprinzip nur dort, wo die eigene Kraft der Bürger zur Entfernung äußerer Hindernisse nicht ausreiche. Mohl, der den Begriff des Rechtsstaats in Deutschland heimisch machte, forderte die rechtliche Durchdringung und Überformung der Verwaltung, deren gesamtes Handeln durch Einkleidung in rechtliche Formen rechtlich fassbar gemacht werden müsse. Als aufeinander bezogene Komponenten eines Gesamtkonzepts für die politische Ordnung der Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts war dabei die Forderung nach einem Rechtsstaat von der nach der Verfassung nicht zu trennen. Das liberale Bürgertum kämpfte für einen Staat, der die Wahrung von Freiheit und Eigentum als Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft als sein Ziel ansah und in der Verfassung die Sicherung der individuellen Bürgerfreiheiten garantierte.
 
Die weitere Entwicklung des Rechtsstaats wird durch den historischen Kompromiss nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 bestimmt, der zwischen dem nun politisch resignierenden Bürgertum und einem Staat zustande kam, der zwar dem liberalen Bürgertum die Konstitution und eine begrenzte Mitwirkung an der Politik in den Parlamenten zugestehen musste, aber seine Machtfülle im Wesentlichen behielt. In dieser Lage erwies sich die rechtsstaatliche Ausgestaltung des Staatswesens als konsensfähiges Mittel des Ausgleichs. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung wurden voneinander getrennt, Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers dem Vorbehalt des Gesetzes und damit der Mitwirkung der Parlamente unterstellt, ebenso der Staatshaushalt. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit band die Verwaltung an die Gesetze und schränkte deren Ermessen ein. Zur Kontrolle der Verwaltung wurden in den deutschen Bundesstaaten Verwaltungsgerichte geschaffen, die zugleich die Rechte des Bürgers gegen die Verwaltung schützten. Unabhängige Gerichte, die nur dem Gesetz unterworfen waren, übten die Rechtsprechung aus (ordentliche Gerichtsbarkeit). Liberale Reichsjustizgesetze verbürgten ein hohes Maß an Rechtssicherheit. Auch im Strafrecht galt das Prinzip rechtsförmlicher Bestimmtheit.
 
Negativ fiel allerdings die Formalisierung und die damit einhergehende Verengung des Rechtsstaatsverständnisses ins Gewicht, durch die der Zusammenhang mit der Idee der politischen Selbstbestimmung verloren ging. Charakteristisch dafür war die Definition F. J. Stahls, wonach der Rechtsstaat »nicht Ziel und Inhalt des Staates« bedeute, sondern nur »Art und Charakter, denselben zu verwirklichen«. Die sich durchsetzende Entpolitisierung des Rechtsstaatsbegriffs öffnete sich einem Rechtspositivismus, der nicht nur darauf verzichtete, die Frage nach dem richtigen, gerechten Recht zu stellen, sondern auch die Möglichkeit »gesetzlichen Unrechts« wegen der Unvereinbarkeit formell ordnungsmäßig erlassener Rechtsnormen mit überzeitlichem Recht verkannte.
 
Die Weimarer Republik war bemüht, die rechtsstaatlichen Prinzipien und die sie schützenden Einrichtungen zu erhalten und auszubauen. Mit dem Grundrechtskatalog ergänzte die Reichs-Verfassung von 1919 die rechtsstaatlichen Errungenschaften in einem wichtigen Punkt, versäumte aber, ihnen unmittelbare Geltung zu verleihen. Ihre Wirksamkeit als Garanten der bürgerlichen Freiheit war infolgedessen dadurch geschwächt, dass sie der Umsetzung durch den Gesetzgeber bedurften und nur nach Maßgabe der Gesetze galten. Zudem konnten sie durch den Gesetzgeber und - unter den Voraussetzungen des Artikels 48 Weimarer Reichs-Verfassung (WRV) - durch Notverordnungen des Reichspräsidenten außer Kraft gesetzt werden. Zukunftweisend wurden soziale Grundrechte (z. B. das Recht, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu erwerben) als programmatische Verheißungen in den Grundrechtskatalog aufgenommen und soziale Verantwortlichkeit (»Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste«, Artikel 153 WRV) proklamiert. Unter den prekären sozialen und politischen Bedingungen, die die Weimarer Republik belasteten, traten jedoch Spannungen zwischen der demokratischen und der rechtsstaatlichen Komponente der Verfassung zutage, die sich namentlich in Kontroversen über das richterliche Recht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen niederschlugen. Da die Verfassung nicht über der Legislative, sondern zu deren Disposition stand, galt die Maxime, dass der selbstherrliche Gesetzgeber bei Beachtung der erforderlichen Mehrheiten jedes Vorhaben ohne Unterschied des Inhalts und der politischen Tragweite beschließen konnte, auch die Aufhebung der Verfassung selbst.
 
Das nationalsozialistische Regime zerstörte den Rechtsstaat in Deutschland, ohne die Verfassung formell außer Kraft zu setzen. Nachdem die »Reichstagsbrand-Notverordnung« vom 28. 2. 1933 die wichtigsten Grundrechte aufgehoben hatte, beseitigte das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933 die Gewaltenteilung und die Garantie der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Die Zuständigkeit der Gerichte, die nach der nationalsozialistischen Ideologie eine »vom Führer verliehene Gerichtsmacht« (E. R. Huber) wahrnahmen, wurde zugunsten von Polizei und SS ausgehöhlt, Willkür und Terror traten an die Stelle von Rechtssicherheit.
 
Nach dem Sieg der Alliierten über das Deutsche Reich wurde in den westlichen Besatzungszonen der Rechtsstaat wieder aufgebaut, während in der sowjetischen Besatzungszone auf dem Wege über die »antifaschistisch-demokratische Ordnung« eine sozialistische Diktatur mit dem Führungsanspruch der SED als »führender Kraft der Arbeiterklasse« errichtet wurde.
 
 Der Rechtsstaat des Grundgesetzes
 
Die Bundesrepublik Deutschland ist durch das GG als Staat gesetzmäßiger Freiheit verfasst und unter den Primat des Rechts und der sittlichen Idee der Gerechtigkeit gestellt. Die Entscheidung für den Rechtsstaat als elementares Verfassungsprinzip ergibt sich aus der Gesamtschau der Normen und v. a. aus der Bestimmung, dass die Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung ausgeübt wird und die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind (Artikel 20 Absatz 2, 3). Der Rechtsstaat gewährleistet einmal, liberaler Tradition gemäß, die Form staatlicher Machtausübung, zum anderen aber auch die inhaltliche Ausrichtung an einer Wertordnung, die in den Grundrechten - besonders in der Menschenwürde (Artikel 1 Absatz 1) - und in den Staatszielbestimmungen (Artikel 20) zum Ausdruck kommt; insofern kann man vom materiellen, wertgebundenen Rechtsstaat sprechen, der sich nicht in der Beachtung von Rechtstechniken erschöpft, sondern formelle und materielle Elemente des Rechts vereinigt.
 
Im Gegensatz zur WRV sind die Grundrechte unmittelbar geltendes, Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung bindendes Recht (Artikel 1 Absatz 3), aus dem sich subjektive Rechte für den einzelnen Bürger ergeben. Die Bindungswirkung betrifft die Grundrechte nicht nur insoweit, als sie - wie zumeist - Abwehrrecht gegen den Staat sind. Die Staatstätigkeit findet in den Grundrechten auch Gewährleistungsinhalte vor, die Auftrag und Richtschnur für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung sind. Dass die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen der Gegenwart vielfach auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, hat dazu geführt, dass aus den Grundrechten namentlich die Pflicht des Staates zur Gewährleistung grundrechtlicher Freiheit durch Organisation und Verfahren hergeleitet wird, z. B. durch die Sicherung wirksamen Rechtsschutzes.
 
Als Kernstück rechtsstaatlicher Verfassung hat das GG die Gewaltenteilung so gestaltet, dass keine Gewalt die anderen Gewalten beherrscht. Das vom Volk gewählte Parlament hat demokratischen Vorrang, aber kein Zugriffsrecht auf Regierung und Rechtsprechung. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit sichert die Verwirklichung des Rechtsstaats bei der Tätigkeit der Verwaltung. Ist eine Regelung dem Gesetz vorbehalten, muss in dem Gesetz alles Wesentliche bestimmt werden, damit der Verwaltung kein im Gesetz nicht vorgesehener Handlungsraum zufällt. Anstelle des Gesetzgebers darf die Verwaltung im Verordnungswege nur dann Recht setzen, wenn das Gesetz dazu ausdrücklich ermächtigt und Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmt.
 
Der Rechtsprechung ist die Wahrung des Rechts und die Durchsetzung der Rechte des Einzelnen anvertraut. Die Bindung an »Gesetz und Recht« (die Formel drückt aus, dass Recht und Gerechtigkeit nicht notwendig mit den jeweils geltenden Gesetzesrechten im Einklang stehen) schließt eine die Gesetzgebung ergänzende richterliche Rechtsbildung (»Richterrecht«) nicht aus. Als »Krönung des Rechtsstaats« eröffnet das GG über das früher bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt geltende Enumerationsprinzip hinausgehend den Rechtsweg für jeden, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Bei Grundrechtsverletzungen kann der Bürger mit der Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anrufen. Dessen ausgedehnte Zuständigkeit macht dieses primär über die Verfassungsbindung der Gesetzgebung wachende Gericht zu einem machtvollen »Hüter der Verfassung«, der als mäßigendes Element gegenüber der parlamentarischen Parteiendemokratie wirkt.
 
Aus dem Rechtsstaatsprinzip wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip abgeleitet, wonach ein Eingriff in die Grundrechte nur gestattet ist, wenn dieser zur Durchsetzung eines überwiegenden, im Licht der Verfassung legitimen öffentlichen Interesses geeignet und erforderlich ist. Auch die Rechtssicherheit ist ein Element des Rechtsstaats.
 
Eine Weiterentwicklung über die dem liberalen Rechtsstaat gezogenen Grenzen hinaus bedeutet die Sozialstaatsklausel (Artikel 20 Absatz 1), die den Gesetzgeber zur Gesellschaftsgestaltung - besonders zum Schutz sozial und wirtschaftlich Schwächerer - legitimiert, aber auch Richtschnur und verbindliche Auslegungsregel für die beiden anderen Staatsgewalten ist.
 
Schließlich sichert das GG seinen Bestand durch ein System des Verfassungsschutzes, das vom Änderungsverbot für bestimmte Regelungen (Artikel 79 Absatz 3) über das Verbot verfassungswidriger Parteien und die Verwirkung von Grundrechten wegen Missbrauchs (Artikel 18, 21 Absatz 2) bis zum Treuegebot für Beamte reicht. Dieses Bekenntnis zur streitbaren Demokratie soll die formal legale Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unmöglich machen.
 
Die in der DDR errichtete sozialistische Ordnung lehnte den Rechtsstaat als Verschleierung der bürgerlichen Klassenherrschaft ab und verwarf die rechtsstaatlichen Prinzipien wie Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Verfassungsgerichtsbarkeit. Es gab keine gerichtliche Kontrolle des Staatsapparats. Die sozialistische Rechtspflege, die Bestandteil des einheitlichen Staatsapparats war, unterlag der Steuerung durch die SED gemäß den Prinzipien der sozialistischen Gesetzlichkeit und Parteilichkeit. Das sozialistische Recht diente dem Schutz der SED-Herrschaft und der Weiterentwicklung der sozialistischen Ordnung; seine Auslegung musste parteilich sein, weil es selbst parteilich gestaltet war.
 
Bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 ließen die tief greifenden Unterschiede zwischen den Rechtsverständnissen den Gedanken einer Verschmelzung der Rechtsordnungen nicht aufkommen. Für die neuen Länder wurde daher die rechtsstaatliche Ordnung der Bundesrepublik übernommen. Erleichtert wurde die Transformation durch Übergangsvorschriften und die zeitlich begrenzte Abordnung rechtsstaatlich geschulten Personals aus dem alten Bundesgebiet. Es war daher möglich, in wenigen Jahren funktionsfähige rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen.
 
 Rechtsstaat und Europäische Union
 
Die Bindung der EU an rechtsstaatliche Grundsätze, nach Artikel 23 Absatz 1 GG Voraussetzung für die deutsche Mitwirkung an der Verwirklichung des vereinten Europas, ist in Artikel 6 Absatz 1 des Vertrages über die EU vom 7. 2. 1992 festgelegt. Schon vorher hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) für die Europäischen Gemeinschaften auf Gemeinschaftsebene Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts entwickelt und rechtsstaatliche Anforderungen wie Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit und effektiven Rechtsschutz konkretisiert. Daran anknüpfend bestimmt der EU-Vertrag, dass die EU die Grundrechte zu achten hat, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.
 
Dieser Grundrechtsschutz, der institutionell durch den EuGH gewährleistet ist, gilt als dem des GG im Wesentlichen vergleichbar. Der Bürger muss daher Grundrechtsschutz gegen Akte von Gemeinschaftsorganen zunächst beim EuGH suchen. Das mit dem EuGH im »Kooperationsverhältnis« stehende BVerfG kann er anrufen, wenn er vom EuGH keinen dem GG vergleichbaren Rechtsschutz erhält.
 
 Aktuelle Gefährdungen
 
Aktuelle Gefährdungen des Rechtsstaats ergeben sich weniger aus internen Spannungen, wie etwa aus dem Gegensatz zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit oder zwischen Abwehrrecht und Schutzpflicht. Die Kontrolle der Legislative durch die Verfassungsgerichtsbarkeit (Richterstaat) sowie Eingriffe des BVerfG in die Rechtsprechung der Fachgerichtsbarkeiten, die u. a. den strafgerichtlichen Ehrenschutz aushöhlten, haben zu Konflikten geführt, die jedoch dank des grundsätzlichen Bekenntnisses des BVerfG zur richterlichen Selbstbeschränkung zumeist entschärft werden konnten.
 
Sorge bereitet allerdings die weit getriebene Verrechtlichung des sozialen Lebens, die sich in einer alle Bereiche des sozialen Lebens ergreifenden Gesetzesflut und einem komplizierten, nach Perfektionismus strebenden rechtlichen Regelwerk äußert. Mangelnde Überschaubarkeit und Verständlichkeit des Rechts haben zum Ruf nach größerer Transparenz geführt, die in manchen Bereichen als freiheitsbeschränkend empfundene Reglementierung insbesondere durch sozialstaatliche Rechtsnormen zu der Forderung nach »Deregulierung«. Das hoch entwickelte System an Einspruchsmöglichkeiten und Rechtsbehelfen verzögert zudem den Entscheidungsablauf.
 
In der rechtspolitischen Diskussion ist auch die Sorge laut geworden, dass der Rechtsstaat durch eine zunehmende Erosion des Rechtsbewusstseins Einbußen an Kraft und Substanz erfährt. Einmal sei die Bereitschaft, das Recht für sich selbst (und nicht nur für andere) als verpflichtend anzuerkennen, in erheblichem Umfang geschwunden, zum anderen nehme bei den Funktionseliten in Politik, Verwaltung und Justiz die Willenskraft ab, die Normen des Rechts gegen Ungehorsam durchzusetzen oder die Nichtbefolgung mit wirksamen Sanktionen zu versehen. Beispielhaft dafür sei v. a. das zwiespältige Verhalten gegenüber politisch motivierter Gewalt und bestimmten Erscheinungen der Wirtschaftskriminalität sowie die steigende Bereitschaft, ein hohes Verbrechensniveau als Kehrseite und Preis der Freiheit zu akzeptieren.
 
Bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts wird dem Rechtsstaat die Schonung der Straftäter ebenso angelastet wie der Restitutionsausschluss bei Enteignungen in der SBZ. Bezeichnend für das Unbehagen ist das der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley zugeschriebene Diktum: »Wir haben Gerechtigkeit erwartet und den Rechtsstaat bekommen«.
 
War es in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland notwendig, den Sinn für den Rechtsstaat als Instrument des freiheitsverbürgenden Individual- und Minderheitenschutzes zu fördern, so tritt jetzt die Aufgabe, das Recht gegen diejenigen zu behaupten, die es für nur relativ verbindlich erachten, in den Vordergrund. Der staatsbürgerlichen Erziehung und Bildung stellt sich die Aufgabe, das Bewusstsein dafür zu wecken oder zu festigen, dass die rechtsstaatliche Ordnung zur Gänze als verbindlich anzuerkennen ist und nicht nur, soweit sie dem Bürger persönlichen Nutzen bringt.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Gerechtigkeit · Gesetz · Gesetzesvorbehalt · Gesetzmäßigkeit der Verwaltung · Gewaltenteilung · Grundrechte · Menschenrechte · Parlament · Recht · Rechtspositivismus · Rechtsprechung · Richter · Richterstaat · Sozialstaat · Verfassung · Verfassungsgerichtsbarkeit · Verhältnismäßigkeitsprinzip · Verwaltung · Wesensgehaltsgarantie · Widerstandsrecht
 
Literatur:
 
F. J. Stahl: Die Philosophie des Rechts, 2 Bde. (51878, Nachdr. 1963);
 R. von Gneist: Der R. u. die Verwaltungsgerichte in Dtl. (21879, Nachdr. 1966);
 H. Heller: R. oder Diktatur? (1930);
 L. Gruchmann: Natsoz. Herrschaftssystem u. demokrat. R. (1962);
 
Rechtsstaatlichkeit u. Sozialstaatlichkeit, hg. v. E. Forsthoff (1968);
 E. W. Böckenförde: Entstehung u. Wandel des R.-Begriffs, in: Festschrift für Adolf Arndt, hg. v. H. Ehmke u. a. (1969);
 G. Leibholz: Strukturprobleme der modernen Demokratie (Neuausg. 1974);
 K. Michaelis: Die Deutschen u. ihr R. (1980);
 U. Karpen: Die geschichtl. Entwicklung des liberalen R. vom Vormärz bis zum Grundgesetz (1985);
 P. Kunig: Das R.-Prinzip (1986);
 G. Brunner: Das Staatsrecht der DDR, in: Hb. des Staatsrechts der Bundesrep. Dtl., hg. v. J. Isensee u. a., Bd. 1 (1987);
 E. Schmidt-Assmann: Der R., in: Hb. des Staatsrechts der Bundesrep. Dtl., hg. v. J. Isensee u. a., Bd. 1 (1987);
 R. Wassermann: R. ohne Rechtsbewußtsein? (1988);
 R. Bäumlin u. H. Ridder: Art. 20 Abs. 1-3, III R., in: Komm. zum GG für die Bundesrep. Dtl. (21989);
 Carl Schmitt: Verfassungslehre (81993);
 R. Wassermann: Rechtssystem, in: Hb. zur dt. Einheit, hg. v. W. Weidenfeld u. K.-R. Korte (1993);
 M. Sachs: Art. 20. Das R.-Prinzip, in: GG. Kommentar, hg. v. M. Sachs: (1996);
 R. Streinz: Art. 23, in: GG. Kommentar, hg. v. M. Sachs (1996);
 M. Sachs: Europarecht (31996);
 S. Mampel: Die sozialist. Verf. der Dt. Demokrat. Rep. (31997);
 Rechtseinheit im Übergang, in: Hb. des Staatsrechts der Bundesrep. Dtl., hg. v. J. Isensee u. a., Bd. 9 (1997);
 
Fünfzig Jahre freiheitlich- demokrat. R. hg. v. B. Rill (1999).
 

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Rẹchts|staat, der (Politik): Staat, der [gemäß seiner Verfassung] das von seiner Volksvertretung gesetzte Recht verwirklicht u. sich der Kontrolle unabhängiger Richter unterwirft.

Universal-Lexikon. 2012.