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Jugend
Sturm-und-Drang Zeit; wilde Jahre; junge Jahre

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Ju|gend ['ju:gn̩t], die; -:
1. Zeit des Jungseins /Ggs. Alter/: eine sorglose Jugend gehabt haben; sie verbrachte ihre Jugend auf dem Lande.
Syn.: Kindheit.
2. Gesamtheit junger Menschen; junge Leute:
die studentische, heutige Jugend; die Jugend tanzte bis in die Nacht.
Zus.: Arbeiterjugend, Dorfjugend, Landjugend.

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Ju|gend 〈f.; -; unz.〉
1. Wachstums- u. Entwicklungszeit des Menschen
2. jugendl. Wesen, Jugendlichkeit
3. junge Leute
Kindheit und \Jugend ● er starb in blühender \Jugend; in früher \Jugend; die reifere \Jugend nicht mehr junge, aber auch noch nicht alte Leute; eine schöne, sorglose, schwere, tragische \Jugend gehabt haben ● ich habe meine \Jugend in Nordirland verbracht; jung mit der \Jugend sein sich auch noch als älterer Mensch mit jungen Leuten gut verstehen; wir haben viel, wir sehen gern \Jugend um uns; \Jugend will unter sich sein; von \Jugend an, auf; die \Jugend von heute [<ahd. jugund, engl. youth <germ. jugundi- <idg. iuunti-; zu idg. iuun- „jung“]

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Ju|gend , die; - [mhd. jugent, ahd. jugend, Substantivbildung zu dem jung zugrunde liegenden idg. Adj.]:
1.
a) Zeit des Jungseins; Lebensabschnitt eines jungen Menschen:
eine sorglose J. gehabt haben;
seine J. genießen;
sie hat in ihrer J. viel Sport getrieben;
sie ist von J. an/auf (seit ihren Jugendjahren) daran gewöhnt;
b) (Biol., Med.) Entwicklungszeit, erste Wachstumsphase eines Lebewesens von der Entstehung, Geburt an bis zur vollen Entwicklung; Jugendstadium:
die Blätter sind beim Farn in der J. stark eingerollt.
2. Zustand des Jungseins; jugendliche Frische, Kraft:
ihn entschuldigt seine J.
3. Gesamtheit junger Menschen; die jungen Leute:
die studentische, heutige J.;
die J. von heute;
er spielt in der J. (Sportjargon; Jugendmannschaft);
R J. kennt keine Tugend (veraltend; junge Leute sind sehr schnell bereit, sich über moralische Bedenken hinwegzusetzen);
die reifere J. (oft scherzh., iron.; die nicht mehr jungen, aber noch nicht alten Leute).

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I
Jugend,
 
im alltäglichen Sprachgebrauch ein bestimmter Lebensabschnitt oder ein gruppenspezifisches Verhaltensmuster dieser Phase, auch die jeweilige Generation in diesem Lebensalter. Die einzelnen Wissenschaften, die sich mit der Jugend befassen, bemühen sich um engere, möglichst praktikable Begriffsbestimmungen. So gelten im Recht der Bundesrepublik Deutschland die 14- bis 17-Jährigen als Jugendliche im eigentlichen Sinn, die 18- bis 20-Jährigen als Heranwachsende. Außerdem gibt es den Begriff der Teilreife, so z. B. die eingeschränkte Religionsmündigkeit mit 12 Jahren oder die Möglichkeit der Anwendung des Jugendstrafrechts bis zum Alter von 24 Jahren.
 
In Medizin und Biologie bezeichnet Jugend entweder die Phase zwischen Geburt und Erwachsensein oder zwischen Pubertät und Erwachsensein. In der Psychologie wird das Jugendalter, das mit der Ausbildung einer spezifischen Identität seinen Abschluss findet, im Allgemeinen zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr, individuell auch bis ins 22. Lebensjahr angesetzt. Die Soziologie betrachtet Jugend als eine Lebensperiode, in welcher der Mensch zwar nicht mehr als Kind angesehen wird, den Status und die Rollen beziehungsweise Funktionen eines Erwachsenen aber auch noch nicht vollständig zuerkannt bekommt. In Marktforschung und Politik wird mit Jugend meist die Altersgruppe der bis 25-Jährigen bezeichnet.
 
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich in den industrialisierten Ländern in Europa und Nordamerika feststellen, dass der Beginn der biologischen Reifeprozesse immer früher einsetzt, mit der Folge, dass sich die Grenze des Jugendalters nach unten verschiebt; zugleich wird der Eintritt in die Berufs- und Erwachsenenwelt aufgrund verlängerter Bildungsgänge und Berufsvorbereitungszeiten, aber auch aufgrund der sich unter Umständen anschließenden Arbeitslosigkeit oder Umschulung verzögert, da sich die in Abhängigkeit (z. B. von den Eltern) verbrachte Lebensspanne verlängert.
 
Siehe auch: Adoleszenz, Akzeleration, Jugendalter, Pubertät.
II
Jugend,
 
im alltäglichen Sprachgebrauch ein bestimmter Lebensabschnitt beziehungsweise die Bezeichnung der Altersgruppe zwischen Kindheit und Erwachsensein. Üblicherweise werden dabei mit Jugend charakteristischer Verhaltensweisen, Einstellungen, Entwicklungsaufgaben und Lebenslagen verbunden.
 
 Begriffsentstehung und Begriffsinhalt
 
Geistesgeschichtlich nahm das heutige Verständnis von Jugend - wie auch der Begriff »Jugend« selbst - seinen Ausgang in der philosophischen und pädagogischen Diskussion des 18. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert wurde Jugend ein Forschungsfeld der sich herausbildenden Sozialwissenschaften. Wissenschaftlich ist der Begriff seither v. a. mit Arbeiten verbunden, die Jugend im Zusammenhang der jeweiligen historischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen beschreiben, unter denen sie aufwächst und die sie nachhaltig prägen. Insofern ist Jugend weder anthropologisch gegeben noch universal anzutreffen; historisch, sozial, ökonomisch und kulturell unterschiedlich geprägt als auch in ihrer Existenz selbst an bestimmte soziale Entwicklungsprozesse gebunden, ist es nicht möglich, von der Jugend zu sprechen. Dem breiten Spektrum jugendlicher Lebensformen, das sich besonders in den modernen hochindustrialisierten Gesellschaften herausgebildet hat, entsprechen auf der Seite der Wissenschaft, Politik und einzelnen gesellschaftlichen Teilbereiche (z. B. Schule, Recht, Gesundheitswesen, Wirtschaft) unterschiedliche Definitionen, Begriffe und Verständnisse von Jugend.
 
So gelten im deutschen Recht die 14- bis 17-Jährigen als Jugendliche im eigentlichen Sinn, die 18- bis 20-Jährigen als »Heranwachsende«. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) kennt neben dem Kind und dem Jugendlichen den »jungen Volljährigen« und erfasst damit alle jungen Menschen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. In medizinischer und biologischer Perspektive bezeichnet Jugend entweder die Phase zwischen Geburt und Erwachsensein oder zwischen Pubertät und Erwachsensein. In der Psychologie wird das Jugendalter im Allgemeinen zwischen das 14. und 18., immer häufiger auch bis ins 25. Lebensjahr angesetzt. Es findet mit der Ausbildung einer eigenen unverwechselbaren Identität seinen Abschluss. Soziologisch wird Jugend als Lebensperiode angesehen, in der der Mensch nicht mehr als Kind betrachtet wird, ihm aber der Status, die Rollen und Funktionen eines Erwachsenen noch nicht vollständig zuerkannt werden. Weil die Übergänge zwischen Kindheit und Jugend beziehungsweise zwischen Jugend und Erwachsensein immer unschärfer und fließender werden, spricht die sozialwissenschaftliche Fachdiskussion seit Beginn der 1980er-Jahre von der Entstrukturierung der Jugendphase. In der Forschung führt dies dazu, dass in einer Reihe von empirischen Studien Jugend bis zur Vollendung des 29. Lebensjahres, gelegentlich bis zu den 35-Jährigen verlängert wird. Da dies nicht immer zu begrifflicher Klarheit führt, wird diskutiert, ob man nicht eigene Bezeichnungen für die Zwischenphasen einführen sollte: »Kids« für den Zeitabschnitt zwischen Kindheit und Jugend; »junge Erwachsene« für den Lebensabschnitt zwischen Jugend und Erwachsensein.
 
Die Bandbreite der verschiedenen Definitionen ergibt sich zum einen daraus, dass Jugendliche heute in sehr unterschiedlicher Weise ihr Leben führen. Die noch bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts für viele selbstvertändliche Kennzeichen für das Ende von Jugend, wie der Auszug aus dem Elternhaus, die Heirat, die Gründung einer eigenen Familie, die Erlangung wirtschaftlicher Selbstständigkeit, die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit erweisen sich heute als Ereignisse, die - wenn überhaupt - zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden und wenig miteinander zu tun haben.
 
Zum anderen treffen im Begriff Jugend viele Aspekte zusammen: 1) bedeutet Jugend auf der Ebene des Individuums eine bestimmte Altersphase, die durch bestimmte, teils biologische, teils psychologische, teils soziale Erfahrungen und Aufgaben gekennzeichnet ist; 2) stellt Jugend als Erfahrung einer Altersgruppe eine Gruppenerfahrung dar, die durch die »gemeinsame Lagerung im sozialen Raum« (K. Mannheim) mit jeweils eigenen Ereignissen, Rahmenbedingungen, sozialen und historischen Erfahrungen konfrontiert ist und dadurch die Möglichkeit zu einer jeweils eigenen Reaktionsbildung und Handlungsweise hat; 3) ist Jugend auf der Ebene der Gesellschaft das »Ergebnis einer charakteristischen Gruppenbildung, die sich in einer komplexen Gesellschaft unvermeidlich einstellen muss« (F. H. Tenbruck); sie ist also Folge und Merkmal eines bestimmten Grades gesellschaftlicher Organisation; 4) ist Jugend in empirischer Hinsicht eine soziale Teilmenge, die durch verschiedene typische Verhaltensweisen charakterisiert ist und eigene kulturelle Sinndeutungen, Symbolsysteme und Lebenswelten ausbildet. In dieser Betrachtung erscheint Jugend als Subkultur und als kulturelle Praxis zur Aneignung und/oder Verteidigung einer jeweils spezifischen Lebenswelt; 5) stellt Jugend als gesellschaftliches Leitbild einen Wertbegriff dar, der je nach gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und kulturellen Werthaltungen Entwicklungschance, aber auch Fessel individueller und gesamtgesellschaftlicher Orientierungen sein kann.
 
 Jugendforschung
 
In wissenschaftshistorischer Perspektive tritt Jugend als gesellschaftliches Phänomen erstmals im Rahmen der bürgerlichen, pädagogischen und anthropologischen Diskussion des 18. Jahrhunderts auf, die am Leitbild der Emanzipation eines allseitig gebildeten, empfindsam strukturierten, aber rational handelnden (männlichen) Individuums orientiert war. Einen weiteren Impuls erhielt die Jugendforschung durch die »soziale Frage« des 19. Jahrhunderts (Kinderarbeit, Verwahrlosung, Hygienefragen, medizinische Versorgungsprobleme, Kriminalität, Aufruhr u. a.) und die damit verbundene Notwendigkeit, kritische Bestandsaufnahmen vorzunehmen und Vorschläge für die »Verbesserung« sozialer Kontrolle, aber auch soziale Reformen selbst auszuarbeiten. Jugend erscheint hier v. a. im Rahmen konservativer oder sozialreformerischer Betrachtungen. In der Jugendforschung des 20. Jahrhunderts dominierten vor dem Ersten Weltkrieg »erzieherische«, der »Verwahrlosung« der Jugend entgegensteuernde, sozialkritische, v. a. auch juristische und nicht zuletzt moralisch gefärbte Abhandlungen. Erst in der Zeit zwischen den Weltkriegen etablierten sich in der Psychologie und etwas später in der Soziologie eigene Forschungsansätze. Während sich in der Psychologie an S. Freuds Psychoanalyse orientierte, zum Teil vom Marxismus beeinflusste Konzepte (S. Bernfeld, W. Reich), entwicklungspsychologische (Charlotte Bühler) und gestaltpsychologische Forschungen (K. Lewin) entwickelten, konstituierte sich die sozialwissenschaftliche Jugendforschung aus drei unterschiedlichen Theoriemodellen. Dies sind der von K. Mannheim Ende der 20er-Jahre vorgelegte generationstypologische Ansatz, die durch Margaret Mead repräsentierten kulturvergleichenden, ethnologischen Studien über Jugend in nicht industrialisierten Gesellschaften und die von T. Parsons entworfene strukturfunktionalistische Theorie sozialer Prozesse, in deren Rahmen S. N. Eisenstadt in den 50er-Jahren die Aufgabe von Jugend darin sah, die Anpassung des »familial sozialisierten« Individuums an die Anforderungen moderner mobiler Industriegesellschaften durch die Organisation von Altersgruppen zu leisten. Seit den 70er-Jahren haben v. a. die verschiedenen Sozialisationstheorien (z. B. zur Moral von L. Kohlberg) und ein breites Spektrum sozial- und entwicklungspsychologische Ansätze die Diskussion geprägt. Vor allem im deutschsprachigen Raum hat darüber hinaus seit Mitte der 80er-Jahre die so genannte Individualisierungsthese von U. Beck an Bedeutung gewonnen, derzufolge in modernen Gesellschaften die individuelle Verbindlichkeit traditionell vorgegebener (»typischer«) Lebensformen in stetigem Abnehmen begriffen ist (Individualisierung). Innerhalb der Jugendforschung steht die Individualisierungsthese besonders für die Aussage, dass die bis weit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allgemein mit Jugend verbundenen Vorstellungen und Erwartungen gesellschaftlich an Verbindlichkeit verloren haben. Es gibt sie noch immer; es haben sich aber daneben - v. a. durch die Jugendlichen selbst - eine Vielzahl anderer Vorstellungen und Lebensstile in der Gesellschaft etabliert.
 
Schließlich ist die theoretische Diskussion über Jugend auch durch Ergebnisse der feministischen Forschung und der Geschlechterforschung, die verschiedenen Konflikttheorien (z. B. W. Heitmeyer) und - angesichts wachsender Zahlen in Deutschland lebender Kinder und Jugendlicher mit nicht deutschen Eltern - durch die Diskussion um Interkulturalität und Ethnizität geprägt worden.
 
Jugendforschung in Deutschland umfasst gegenwärtig eine große Breite von theoretischen und methodischen Ansätzen. Zum einen existieren zahlreiche empirisch fundierte Bestandsaufnahmen (EMNID-Umfragen, Shell-Studien, Jugendsurvey des Deutschen Jugendinstituts), die auf der Basis von Fragebogenuntersuchungen mit vielen Befragten Freizeitverhalten, Wertorientierungen, Zukunftserwartungen, Zugehörigkeit zu Gleichaltrigengruppen u. a. erheben. Die meisten dieser Studien sind Einmalerhebungen; Längsschnittuntersuchungen, Untersuchungen derselben Stichprobe zu verschiedenen Zeitpunkten, sind nach wie vor selten. Erheblich an Zahl und Bedeutung gewonnen haben Untersuchungen auf der Basis von qualitativen Verfahren. In vielen Studien werden dabei - im Vergleich zu den repräsentativ angelegten Fragebogenuntersuchungen - ausgewählte einzelne Jugendliche intensiv befragt, zum Teil auch teilnehmend beobachtet, um auf diese Weise biografische Erfahrungen, Wissensbestände und subkulturelle Strukturen (z. B. einer bestimmten Jugendszene) genauer untersuchen zu können. Im Zentrum dieser Studien stehen häufig die verschiedenen jugendkulturellen Szenen, z. B. Jugendklubs, Technoszene und andere. Verstärkt an Bedeutung gewonnen haben in den letzten Jahren Studien, die sich mit der gesundheitlichen Situation von Jugendlichen, jugendliches Risikoverhalten und jugendliche Delinquenz befassen.
 
 Kulturgeschichtliches
 
Jugend als Lebensphase und Altersgruppe mit eigenen Gesellungsformen und Symbolsystemen ist in Europa an die mit der Entstehung der Industriegesellschaft verbundene soziale Differenzierung sowie an die an diesem Prozess maßgeblich beteiligte Ausbildung eigenständiger Erziehungsräume und Bildungseinrichtungen, nicht zuletzt an die Entkoppelung von Arbeitssphäre und Lebenswelt in Familie und Altersgruppen gebunden. Frühere Formen von Jugend, so die der antiken griechischen und römischen Städtekulturen, stellen demgegenüber Ausnahmen dar, die an die besondere Situation der städtischen sozialen Differenzierung gebunden sind; diese Formen finden sich in Europa in den sich seit dem Mittelalter entwickelnden Städten wieder (Levi/Schmitt). In vorindustriellen Gesellschaften zeigt sich die Bedeutung von Jugend überwiegend im Zusammenhang mit Problemen hinsichtlich wirtschaftlicher Güterverteilung, Heiratschancen und sozialer Kontrolle; als gesellschaftliche Lösungsversuche finden sich u. a. frühe Weggabe der Kinder in fremde Dienste (Klientelsystem), Wanderschaft der Handwerksgesellen, aber auch die Selbstorganisation (Sociétés de Jeunesse, Bruderschaften, Compagnonnages) der Jugendlichen.
 
Für die Entstehung von Jugend im modernen Sinn als Teilkultur und Interaktionszusammenhang ist das Zusammenspiel mehrerer sehr unterschiedlicher Faktoren verantwortlich: 1) die sich seit dem 18. Jahrhundert in Europa etablierende bürgerliche Gesellschaft, deren Sozialisationsmodell durch (protestantische) Rationalität, eine aufklärerische Bildungskonzeption und ein auf das Individuum gerichtetes Persönlichkeitsbild bestimmt ist; 2) die durch die Industriegesellschaft in Gang gesetzten Veränderungen der Arbeitsstrukturen (Rückgang der Landwirtschaft) und der Wohnform (Auflösung des »ganzen Hauses«) sowie eine neue soziale Mobilität; 3) das Anwachsen entsprechender sozialer Gruppierungen durch Bevölkerungsvermehrung und Verstädterung; 4) die homogenisierenden Erfahrungsräume wie Schule (Verlängerung der schulischen Ausbildung und damit Aufschub des Berufseintritts und des Heiratsalters), Großstadt als Lebensraum und nicht zuletzt der Arbeitsplatz (Fabrik); 5) schließlich die Ausbildung differenzierter Gefühlslagen (v. a. in persönlichen Beziehungen), die seit dem 18. Jahrhundert verstärkt den Entwicklungsgang der Individuen mitbestimmten, wodurch den einzelnen Lebensphasen, somit auch der Jugend, eine zunehmende Bedeutung zuteil wurde (E. Shorter).
 
Einen ersten Ausdruck fand diese neue Konzeption des Menschen, für den Jugend ein Lebensabschnitt mit bestimmten Aufgaben in einem bestimmten, sozial zu organisierenden Lebenszusammenhang wurde, in J.-J. Rousseaus Erziehungsroman »Émile« (1762) und in der an ihn anschließenden pädagogischen Literatur (J. H. Pestalozzi, J. F. Herbart, Jean Paul) sowie in der mit dem Sturm und Drang und der Romantik verbundenen Gestalt des »Jünglings«, die im 19. Jahrhundert Generationen und Persönlichkeitsbilder prägte. In dieser Zeit werden Kindheit und Jugend von der sich entwickelnden Pädagogik und Erziehungswissenschaft entdeckt, wobei Jugend als Erfahrungsraum bis in das 20. Jahrhundert hinein in dieser pädagogisch begleiteten, sozial kontrollierten und mit Gefühlen aufgeladenen Konzeption zunächst den männlichen Angehörigen bürgerlicher Schichten vorbehalten bleibt, die ihrerseits auf bestimmte, seit dem Barock verbreitete höfische Sozialisationsmodelle zurückgreifen können. Junge Frauen, Land- und Arbeiterjugend sowie die jungen Leute anderer, von Europa dominierter Kulturen bleiben zunächst außerhalb dieser pädagogischen Jugendkonzeption. Für die Jugend bestehen die Folgen dieser sozialen Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert in zwei gegenläufigen, aber auch miteinander korrespondierenden Tendenzen. Zum einen ergreift ein vereinheitlichender Formierungsprozess über die Ausweitung der Ausbildung, die Ausbreitung der Massenmedien und die Verrechtlichung der Sozialbeziehungen Jugendlicher immer größere Gruppen junger Leute aus unterschiedlichen Schichten und regionalen Lebensräumen und prägt somit z. B. Verhaltensstil und Moden. Zum anderen findet eine zunehmende Überhöhung von Jugend statt, die gleichsam als symbolische Kompensation parallel zur Ausdehnung der Kontroll- und Regulierungsprozesse verläuft und Jugend zum Mythos, zum Träger von Kultur und Konsum erhebt. Vereint traten diese beiden Tendenzen von Jugend bereits mit dem »Wandervogel« (um 1895) in Erscheinung. Die begeisterte Aufnahme der Leitidee »Mit uns zieht die neue Zeit« trug in der Folge zur Aufwertung der Jugend bei, so in der pädagogischen Diskussion der 20er-Jahre (E. Spranger), hatte aber auch im »Mythos« von Langemark, d. h. in der Ideologisierung des »Schützengrabenerlebnisses«, und später in der Hitler-Jugend menschenverachtende Aspekte.
 
Heute gilt Jugendlichkeit v. a. in der Werbung, aber auch im beruflichen und teilweise auch im privaten Alltag als ein hoher Wert.
 
 Jugend in westlichen Industriegesellschaften
 
Der heutige Alltag der Jugendlichen in den westlichen Industriegesellschaften wird, wie der Lebensabschnitt Jugend insgesamt, durch eine ganze Reihe von Faktoren beeinflusst, die auf diesen einwirken. Von zentraler Bedeutung ist dabei zunächst, dass sich der Prozess des Aufwachsens der jungen Menschen unter sehr unterschiedlichen und ungleichen Bedingungen vollzieht. So gibt es nicht nur zwischen den hochindustrialisierten europäischen Ländern, sondern auch innerhalb Deutschlands nach wie vor erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Einkommensverteilung, der zur Verfügung stehenden schulischen und beruflichen Ausbildungsangebote, der Arbeitsmarktsituation und der individuellen Entwicklungschancen von Jungen und Mädchen, Jugendlichen aus städtischen und ländlichen Heimatorten, deutschen Jugendlichen und Jugendlichen mit nicht deutschen Eltern. Das oft allgemeine Sprechen über »Jugend« kann dann beispielsweise verdecken, dass die Lebenssituation 16-jähriger Mädchen in strukturschwachen ländlichen Regionen der neuen Bundesländer nur wenig Gemeinsamkeiten aufweist mit der gleichaltriger männlicher Jugendlicher in einer prosperierenden Großstadt in den alten Ländern.
 
Die Lebenslagen Jugendlicher werden darüber hinaus - was erst in den letzten Jahren in das allgemeine Bewusstsein gedrungen ist - durch die demographischen Entwicklungen beeinflusst. Der deutliche Rückgang der Geburtenzahlen in Deutschland führt dazu, dass sich das zahlenmäßige Verhältnis von Jung und Alt bis zum Jahr 2020 genau umdreht: So wird der Anteil der jungen Menschen unter 20 Jahren an der Gesamtbevölkerung etwa 17 % betragen (2000: rd. 21 %), der Anteil der älteren Menschen über 65 Jahre etwa 22 % (2000: rd. 16 %). Es ist absehbar, dass diese Entwicklung vielfältige Folgen, u. a. für die gesellschaftliche Bedeutung von Jugend, haben wird. Von Bedeutung für das Aufwachsen ist schließlich auch, dass Jugend nicht allein eine Lebensphase und Lebenslage mit spezifischen Formen der Lebensführung darstellt, sondern immer auch »Objekt« der Integrationsbemühungen der Erwachsenen ist. Nicht nur familiale Erziehung, Kindertagesbetreuung, Schule und Ausbildung, sondern auch eine Vielzahl weiterer öffentlicher Angebote und Maßnahmen verfolgen das Ziel der gesellschaftlichen Integration der nachwachsenden Generation. Das Spektrum reicht dabei von den verschiedenen pädagogischen Angeboten, wie beispielsweise den vielfältigen Angeboten der Jugendarbeit, über den Jugendschutz bis hin zu fürsorglichen, kontrollierenden, strafenden und freiheitsentziehenden Maßnahmen wie z. B. der Heimunterbringung oder Maßnahmen der Justiz. Das öffentliche und politische Interesse an Jugend ist vor diesem Hintergrund deshalb immer auch als Nachfrage zu verstehen, ob und in welchem Umfang die nachwachsende Generation bereit zu sein scheint, sich gesellschaftlich zu integrieren. Dem entspricht, dass v. a. solche Jugendprobleme schnell an öffentlicher Aufmerksamkeit gewinnen, bei denen diese Integration offensichtlich gefährdet scheint. In den letzten Jahren gehörten hierzu die in großer Breite diskutierten Themen Jugendarbeitslosigkeit, auf die die Bundesregierung mit einem aufwändigen Sonderprogramm geantwortet hat, Jugendkriminalität, wobei v. a. Jugendgewalt und jugendlicher Rechtsextremismus im Zentrum standen und das Thema der Integration Jugendlicher mit nicht deutschen Eltern. In der öffentlichen Diskussion werden dabei allerdings oft allgemein bestehende gesellschaftliche Probleme so diskutiert, als handele es sich allein um Probleme von Jugendlichen, wie beispielsweise in jüngerer Zeit im Fall des Rechtsextremismus. Außerhalb solcher Debatten um die gefährdete Integration einzelner Gruppen von Jugendlichen und die entsprechenden politischen Antworten, eint die Gesellschaft der Erwachsenen in Bezug auf die Jugend insgesamt die Erwartung, dass alle Jugendlichen bestimmte alterstypische Entwicklungsaufgaben bewältigen. Hierzu gehören v. a. die Entwicklung einer eigenen stabilen Identität, eines eigen- und selbstständigen moralischen Bewusstseins (Verinnerlichung von Werten) und eines Selbstverständnisses als Bürger beziehungsweise Bürgerin eines demokratischen Staates, die Erprobung von Partnerschaft und Sexualität und die Entwicklung partnerschaftlicher Geschlechtsrollenbilder, die soziale Ablösung vom Elternhaus und der Eintritt in die Arbeits- und Berufswelt.
 
Ein zentrales gesellschaftliches Problem in diesem Zusammenhang ist die zunehmend schwierige Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben, weil die Jugendlichen erstmals einer Erwachsenengeneration gegenüberstehen, die selbst unter den Bedingungen fortschreitender Individualisierung aufgewachsen ist. Die Folgen dieser Entwicklung sind unübersehbar. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der heutigen Erwachsenen verzichtet überhaupt darauf, Kinder zu bekommen, sodass in einigen Städten und Stadtteilen Familien mit Kindern quasi »Minderheiten« bilden. Der andere Teil, die Familien mit Kindern und Jugendlichen, sieht sich mit einer Vielzahl neuer Herausforderungen konfrontiert, muss diese aber weitgehend - ohne gesellschaftlichen Hilfestellungen - allein bewältigen. Und schließlich treffen die Jugendlichen auf immer mehr Erwachsene, die selbst (noch) auf der Suche nach einem ihnen angemessenen Lebensentwurf sind, von sich selbst nur zögernd als »Erwachsene« sprechen und ihnen somit nur begrenzt »Reibefläche« für die Ausbildung eigener Vorstellungen von ihrem künftigen Leben als Erwachsene sein können.
 
Es ist deshalb nicht überraschend, dass unter diesen Bedingungen auf der einen Seite die Gleichaltrigengruppen noch mehr an Bedeutung gewonnen haben als sie ohnehin schon hatten, und dass andererseits Jugendliche auf andere Weise versuchen, die eigenen Grenzen zu erproben; sei es, indem sie ein von den gesellschaftlichen Normen abweichendes Verhalten an den Tag legen (Delinquenz), Extremsportarten betreiben oder sich anderen Formen der körperlichen Belastung aussetzen. Und es ist auch nicht überraschend, dass der eigene Körper so offensichtlich an Wertschätzung gewinnt, erscheint er doch als eine der letzten sicheren Konstanten im Leben.
 
Die Gleichaltrigengruppen sind für die Jugendlichen in dreifacher Hinsicht wichtige Festpunkte ihrer sozialen Existenz: als Erlebnisorte, wo sie ihre eigene (Jugend-)Kultur in Szene setzen und ausleben können, als Rückzugsorte, an denen sie (ungestört) unter sich sein können, sowie als unverzichtbare Informationsbörsen. In sozialwissenschaftlicher Hinsicht bilden die Gleichaltrigengruppen somit subkulturelle Gegenwelten, in denen spezifische Identitäten gesucht, Rollen erprobt und Lebensstile gelebt werden. In den Augen der Jugendlichen bieten sie gegenseitige Anerkennung, Zuwendung und Zuverlässigkeit (d. h. Echtheit der Beziehungen), vergleichsweise eindeutige Spielregeln des Umgangs miteinander und werden als von Konkurrenz- und Leistungsdenken weitgehend frei empfunden.
 
Der Preis der Jugendlichen in den modernen Gesellschaften für ihre Jugend ist allerdings hoch. So leben sie heute de facto in mindestens drei »Welten« zugleich, die jede für sich eigene Forderungen an sie heranträgt und mit ganz bestimmten Erwartungen verknüpft: die eigene Familie, die Schule und Ausbildungsstätte und die Gruppe der eigenen Altersgenossen.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Erziehung · Jugendkultur · Jugendpsychologie · Jugendsoziologie · Kind · Pubertät · Sozialisation · Subkultur
 
Literatur:
 
W. Hornstein: J. in ihrer Zeit. Gesch. u. Lebensformen des jungen Menschen in der europ. Welt (1966);
 J. R. Gillis: Gesch. der J. Tradition u. Wandel im Verhältnis der Altersgruppen u. Generationen in Europa von der zweiten Hälfte des 18. Jh. bis zur Gegenwart (21984);
 M. Mitterauer: Sozialgesch. der J. (21987);
 U. Engel u. K. Hurrelmann: Psychosoziale Belastung im Jugendalter. Empir. Befunde zum Einfluß von Familie, Schule u. Gleichaltrigengruppe (1989);
 H. Fend: Vom Kind zum Jugendlichen. Der Übergang u. seine Risiken (1990);
 H. Abels: J. vor der Moderne. Soziologische u. psycholog. Theorien des 20. Jh. (1993);
 H. Fend: Sozialgesch. des Aufwachsens. Bedingungen des Aufwachsens u. Jugendgestalten im 20. Jh. (31996);
 
Gesch. der J., hg. v. G. Levi u. J.-C. Schmitt, 2 Bde. (a. d. Ital., 1996 f.);
 
J. '97. Zukunftsperspektiven - Gesellschaftl. Engagement - Polit. Orientierung (12. Shell-Jugendstudie), hg. vom Jugendwerk der Dt. Shell (1997);
 B. Schäfers: Soziologie des J.-Alters (61998);
 K. Hurrelmann u. a.: Lebensphase J. Eine Einf. in die sozialwiss. Jugendforschung (61999);
 
Unzufriedene Demokraten. Polit. Orientierungen der 16- bis 29-jährigen im vereinigten Dtl., hg. v. M. Gille u. W. Krüger (2000);
 
J. im 20. Jahrhundert. Sichtweisen - Orientierungen - Risiken, hg. v. U. Sander u. R. Vollbrecht (2000).
III
Jugend,
 
illustrierte Kulturzeitschrift (1896-1940) und Organ des deutschen Jugendstils, das der Stilperiode den Namen gab; bei G. Hirth in München verlegt.

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Ju|gend, die; - [mhd. jugent, ahd. jugend, Substantivbildung zu dem ↑jung zugrunde liegenden idg. Adj.]: 1. a) Zeit des Jungseins; Lebensabschnitt eines jungen Menschen: eine sorglose J. gehabt haben; seine J. genießen; sie hat in ihrer J. viel Sport getrieben; Lächelnd und traurig erinnerte Narziß sich all der Szenen seit früher J. (Hesse, Narziß 401); er ist [schon] über seine erste J. hinaus (ist nicht mehr [ganz] jung, hat seine Jugend bereits hinter sich); sie ist von J. an/auf (seit ihren Jugendjahren) daran gewöhnt; b) (Biol., Med.) Entwicklungszeit, erste Wachstumsphase eines Lebewesens von der Entstehung, Geburt an bis zur vollen Entwicklung; Jugendstadium: die Blätter sind beim Farn in der J. stark eingerollt; Der Haarstern von heute, Nachkomme der frühen Seelilie, sitzt nur noch in seiner J. an einem Stiele im Grunde fest (Th. Mann, Krull 304). 2. Zustand des Jungseins; jugendliche Frische, Kraft: ihn entschuldigt seine J.; Sie hatten nicht Kraft und J. genug, um auszubrechen (Werfel, Himmel 65); Die Brunst hat Sie also hergetrieben! Gratuliere zu so viel J. (Remarque, Obelisk 208). 3. Gesamtheit junger Menschen; die jungen Leute: die studentische, heutige J.; die J. von heute; die J. eines Landes; die J. will von diesen Dingen nichts mehr hören (Dönhoff, Ära 159); von einer großen Menge männlicher J. (Jugendlicher) bevölkert (Th. Mann, Krull 106); er spielt bei diesem Verein in der J. (Sport Jargon; Jugendmannschaft); R J. kennt keine Tugend (veraltend; junge Leute sind sehr schnell bereit, sich über moralische Bedenken hinwegzusetzen); ∙ schnell fertig ist die J. mit dem Wort (junge Leute beurteilen etw. impulsiv, vorschnell, unbedacht; Schiller, Wallensteins Tod II, 2); *die reifere J. (oft scherzh. od. iron.; die nicht mehr jungen, aber noch nicht alten Leute): ein Sport, an dem sich auch die reifere J. erfolgreich beteiligen kann.

Universal-Lexikon. 2012.