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Byzantinisches Reich
Byzantinisches Reich,
 
Kurzbezeichnung Byzạnz, abendländische Bezeichnung für die östliche, griechisch-orientalische Hälfte des Römischen Reiches und den daraus entstandenen mittelalterlichen Staat, der sich selbst als »Romania« (»Römerreich«) verstand; für den Zeitraum bis 476 (Untergang des Weströmischen Reiches) angemessener Oströmisches Reich (Ostrom) genannt; sein Zentrum, die Hauptstadt Konstantinopel (an der Stelle der früheren griechischen Kolonie Byzantion), lag an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien, seine Kernräume waren der östliche Mittelmeerraum und das Schwarze Meer, Kleinasien und die Balkanhalbinsel.
 
 GESCHICHTE
 
 Spätantik-frühbyzantinische Ära (bis 601)
 
Die Anfänge des Byzantinischen Reichs sind nicht so leicht mit einem einzigen Datum zu bestimmen wie sein Ende. Schon Kaiser Diokletian (284-305), der das Römische Reich in vier Bezirke unter zwei Augusti und zwei Caesares eingeteilt (Tetrarchie) und durch umfassende Reformen aus der Krise gerettet hatte, residierte im Osten (Nikomedeia, heute İzmit), doch Rom blieb die alleinige Hauptstadt. Erst Konstantin I., der Große, gab dem Weltreich die entscheidende Neuorientierung: Das Christentum, eben noch und gerade im Osten blutig verfolgt (303-313), dann toleriert, erfuhr Schutz und Förderung durch den Kaiser. Er sorgte für die Einheit der Kirche, als der Donatismus die Christen Nordafrikas, der Arianismus die Christen im ganzen Reich spaltete. Die Erhebung von Byzanz als zweitem, christlichem Rom zur neuen Hauptstadt Konstantinopel (330) besiegelte den Sieg des Christentums im Römischen Reich. Seit Clemens von Alexandria verschmolzen Hellenismus und Christentum. Die heidnische Reaktion Julians setzte sich nicht durch. Theodosius I. erhob 380 das orthodoxe (rechtgläubige, im Unterschied zum arianischen) Christentum zur Reichsreligion. Aufgrund des 2. ökumenischen Konzils (381) wurde Konstantinopel als »Neues Rom« zum führenden Patriarchat des Ostens vor Alexandria, Antiochia und Jerusalem. So festigte sich, seit dem Tod Theodosius' I. 395 endgültig vom Westreich getrennt, aus der Verbindung staatlicher Romtradition, griechisch-hellenistische und christliche Kultur das Reich der Rhomäer (»Römer«, Selbstbezeichnung der Byzantiner), das mehr als tausend Jahre Bestand haben sollte. Der christliche Glaube durchdrang seine gesamte Kultur und bestimmte den Charakter seiner Literatur und Kunst. Die lateinische Sprache blieb bis ins 7. Jahrhundert Amtssprache, doch dominierte das Griechische von Anfang an als Literatur- und Umgangssprache der Bevölkerung der östlichen Landesteile.
 
Nach außen hatte das Byzantinische Reich seit den Niederlagen Julians (gegen die Perser, 363) und Valens' (gegen die Westgoten bei Adrianopel, 378) im Zweifrontenkrieg gegen die Perser und die Germanen, Hunnen und Awaren zu kämpfen. Die Ansiedlung der Goten als Foederaten (Verbündete) durch Theodosius I. mehrte nur deren Einfluss im Heer, doch bewog die feindliche Haltung der Byzantiner Alarich zum Abzug nach Italien. Später gewann jedoch der Alane Aspar (* um 400, ermordet 471) großen Einfluss in Konstantinopel, dem die Kaiser Markian (450-457) und Leon I. (457-474) ihre Krone verdankten. Um sich von der Bevormundung durch Aspar zu befreien, rief Leon den Isaurier Tarasikodissa an den Hof, der nach der Beseitigung Aspars und nach dem Tod Leons I. und seines Enkels Leon II. unter dem Namen Zenon die Alleinherrschaft übernahm (474). Mit der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus (476) durch den Skiren Odoaker ging dem Byzantinischen Reich Italien faktisch verloren. Obwohl sich Odoaker mit dem Titel eines Heermeisters (»magister militum per Italiam«) Zenons begnügte, sandte dieser 488 Theoderich mit einem Gotenheer nach Italien und befreite damit zugleich das Byzantinische Reich von den Germanen. Kaiser Anastasios I. schüttelte dann auch die Vorherrschaft der Isaurier ab und sicherte das Byzantinische Reich durch eine Sperrmauer über den thrakischen Isthmos.
 
Auf der Grundlage von Rechts- und Glaubensgleichheit versuchte Justinian I. (527-565) noch einmal, für kurze Zeit das Römische Reich in seinen alten Grenzen wiederherzustellen. Die Niederwerfung der arianischen Germanenreiche in Afrika (Wandalen), Italien (Ostgoten) und im südöstlichen Spanien (Westgoten) durch die Feldherren Belisar und Narses (532-555) war begleitet von Mission und Bautätigkeit. Mit dem Corpus Iuris Civilis schuf Justinian eine neue Rechtsbasis; unter ihm wurde 529 die heidnische Akademie in Athen geschlossen, 532 mit dem Bau der Hagia Sophia in Konstantinopel begonnen. Gegen seine Herrschaft richtete sich der gescheiterte Nikaaufstand (532). Die militärischen Erfolge im Westen waren erkauft mit einer Schwächung des Byzantinischen Reichs im Osten und auf der Balkanhalbinsel. Der Perser wurde Byzanz nicht Herr. Auf der Balkanhalbinsel erstarkten die Langobarden, die 568 in Italien einfielen und dort ein neues Reich errichteten, sowie die Awaren, die 582 die Schlüsselfestung Sirmium (heute Sremska Mitrovica) besetzten. Unter ihrem Schutz vollzog sich die slawische Landnahme. 586 stießen die Slawen, 600 und 617 die Awaren bis Konstantinopel vor, 610 die Perser, die 614 Jerusalem, 619 Alexandria eroberten. 626 widerstand die Hauptstadt dem Zangenangriff der Awaren und Perser. Südspanien fiel wieder an die Westgoten. Aus den Resten der byzantinischen Herrschaft in Afrika und Italien hatte Kaiser Maurikios schon 584 die selbstständigen Exarchate von Karthago und Ravenna errichtet, Vorläufer der Themenordnung mit vereinigter Zivil- und Militärgewalt zur Abwehr der Berber und Langobarden.
 
In der Auseinandersetzung um die göttliche und menschliche Natur Christi trennten sich die Monophysiten (Syrer, Kopten, äthiopische und armenische Kirche) und die syrischen Nestorianer von der Reichskirche. Die Kompromissformeln der Kaiser Zenon (Henotikon, 482), Justinian (im Dreikapitelstreit, 543-553) und Herakleios (Ekthesis, 638) brachten keine Einigung, vielmehr im Schisma des Acacius von Konstantinopel den ersten Bruch mit Rom und im Monotheletismus eine neue Häresie.
 
 Mittelbyzantinische Ära (bis 1204)
 
In der durch die Einfälle der Awaren und Slawen hervorgerufenen schweren Krise rettete Kaiser Herakleios (610-641) das Byzantinische Reich durch wichtige Verwaltungs- und Heeresreformen (Schaffung eines einheimischen Heeres anstelle fremder Söldner) vor dem Untergang, wenngleich die militärischen Misserfolge anhielten. Schon 637 standen die Araber in Jerusalem. Die häretischen Provinzen in Mesopotamien, Syrien, Palästina und Ägypten fielen im »Heiligen Krieg« (634-646) an den Islam; 697 eroberten die Araber auch Karthago. Unter dem Syrer Leon III. wehrte Konstantinopel als Bollwerk des Abendlandes 717/718 deren Angriff ab. Kaiser Leons Rechtsbuch (Ekloge) milderte das römisch-justinianische Recht. Sein gegen den Willen von Patriarch und Papst 630 erlassenes Edikt veranlasste den Bilderstreit (Ikonoklasmus). Nach heftiger Verfolgung, vor der viele Mönche nach Süditalien flohen, behauptete sich das Mönchtum mit der von Johannes von Damaskus, Theodoros Studites und dem Patriarchen Nikephoros christologisch begründeten Bildtheologie als Führer der Orthodoxie (Zeloten). Nachteilig wirkten die Wirren auf die Reichsverteidigung. Die Abtrennung Unteritaliens und des Illyricums aus dem Kirchensprengel Roms und die Zuteilung zu dem von Konstantinopel (732), das Ausbleiben der kaiserlichen Hilfe gegen die Langobarden (751 Fall Ravennas) sowie der theologische Gegensatz entfremdeten Italien dem Byzantinischen Reich und förderten den Anschluss des Papstes an die Franken, der in der Kaiserkrönung Karls des Grossen (25. 12. 800) gipfelte. Diese wurde auch durch Thronwirren im Byzantinischen Reich, besonders die Erhebung der Kaiserin Irene (797) gegen ihren Sohn Konstantin VI. erleichtert. Für das sich als den einzigen legitimen Erben des antiken Römischen Reiches betrachtende Byzantinische Reich war die Krönung Karls eine Herausforderung (Zweikaiserproblem). Erst Michael I. erkannte 812 den westlichen Kaisertitel an.
 
Die Verlegung des Kalifats nach Bagdad durch die Muslime erlaubte zwar Konstantin V. eine kurze Offensive, doch stieß Kalif Harun ar-Raschid 806 bis Ankyra (Ankara) vor. 825 nahmen die Araber Kreta ein, 831 Palermo, 838 Amorion.
 
Die Bulgaren, die unter Khan Asparuch Gebietsteile des Byzantinischen Reichs eroberten und 679 das Erste Bulgarische Reich gründeten, bildeten eine ständige militärische Bedrohung. Erst nach der katastrophalen Niederlage der Byzantiner gegen Khan Krum (813) und dessen Tod schloss Khan Omurtag, um den Preis bedeutender territorialer Zugeständnisse des Byzantinischen Reichs, Frieden.
 
Die Christianisierung der Bulgaren (864/866) führte zu Spannungen mit dem Papst, verbunden mit der Forderung auf Rückgabe des Illyricums und Süditaliens an Rom und der Frage der Anerkennung des Photios, dessen Wahl zum Patriarchen (858) in Byzanz erneut die Zeloten auf den Plan rief. Der gelehrte Photios gab dem Streit die dogmatische Spitze (Filioque) und beantwortete seine Ablehnung mit Absetzung und Bannung von Papst Nikolaus I.; Papst Johannes VIII. versöhnte 869 noch einmal die beiden Kirchen, Bulgarien blieb Missionsgebiet des Byzantinischen Reichs. Der heilige Kyrillos erschloss Kiew und das künftige »dritte Rom« (Moskau) der byzantinischen Kirche und Kultur. Die von Photios nach dem ersten Angriff der Waräger auf Konstantinopel (860) eingeleitete Missionsarbeit in Kiew und bei den Chasaren dehnte Patriarch Nikolaos Mystikos auf Abchasen und Alanen aus.
 
Der Sieg über den Emir von Melitene und die mit ihm kämpfenden Paulikianer (Bogomilen) leitete 863 die Offensive der bedeutenden, wahrscheinlich aus Armenien stammenden Dynastie der Makedonen gegen die Araber ein. Heeresreform, Wiederherstellung des justinianischen Rechts, Stärkung des Absolutismus in Staat und Kirche, aber auch Schutz des Bauernstandes vor den feudalen Gewalten, kulturelle Entfaltung unter Leitung Konstantins VII. Porphyrogennetos kennzeichnen die goldenen Jahrhunderte des Byzantinischen Reichs. - Basileios I. zerstörte 872 Tephrike, das Zentrum der Paulikianersekte, und war erfolgreich in Unteritalien, verlor aber 878 mit Syrakus den Rest Siziliens an die Araber. Von 894 bis 927 strebte Simeon I., der sich als bedeutender Herrscher des Ersten Bulgarischen Reiches erstmals den Titel »Zar« beilegte, in vier Kriegen nach dem Kaiserthron. Arabische Korsaren aus Kreta gelangten plündernd bis Thessalonike (904), die Waräger griffen Konstantinopel an (907, 941). Angesichts der Gefahr beendete Kaiser Romanos I. Lakapenos 920 durch die Unionssynode (ohne Rom) den Streit um die vier Eheschließungen Kaiser Leons VI. (Tetragamiestreit); Patriarch Nikolaos Mystikos, 907 von Leon VI. abgesetzt, hatte den anders entscheidenden Papst aus den Diptychen (das ist die Erwähnung in der Liturgie) gestrichen - ein weiterer Schritt der Trennung Konstantinopels von Rom. Im Konflikt um das Kaisertum der Ottonen (962) und den Besitz Süditaliens verschärfte sich der Gegensatz.
 
Nikephoros II. Phokas, der dem heiligen Athanasios zur Gründung des Lawraklosters auf dem Athos verhalf, und Johannes I. Tzimiskes waren gegen die Araber und Slawen siegreich: Sie eroberten Kreta (961), Zypern (965), Edessa, Nisibis und drangen 975 bis nach Jerusalem vor. Der Sieg über Swjatoslaw von Kiew brachte dem Byzantinischen Reich auch Bulgarien ein, das sich bald unter Zar Samuil mächtig erhob, bis Kaiser Basileios II. es endgültig niederrang (991-1014) und der byzantinischen Provinzialverwaltung eingliederte. Er erwarb sich damit den Beinamen »Bulgaroktonos«, »Bulgarentöter«. Mit der Rettung Konstantinopels durch ein warägorussisches Hilfskorps unter Wladimir von Kiew (988) wurde Wladimir als erster Ausländer der Ehe mit einer »purpurgeborenen« Kaisertochter gewürdigt. Der Fürst und das Volk ließen sich taufen, d. h., sie traten in die Ökumene des Byzantinischen Reichs ein. Mit der Annexion des armenischen Bagratidenreiches (1001, 1022, 1045) erreichte das Byzantinische Reich den Höhepunkt seiner Macht.
 
Unter den aus dem Ziviladel emporgestiegenen »Beamtenkaisern« (1025-81) verfielen mit der Zentralgewalt die Heeres- und Finanzkraft, der Großgrundbesitz erstarkte. Als dritter Mann der Kaiserin Zoe wurde der Senator Konstantin IX. Monomachos Kaiser. Dem Hofleben und seinen gelehrten Ratgebern (Michael Psellos) zugetan, fehlte ihm die Stärke, seinen Willen zur Einigung durchzusetzen, besonders als die politische und rituelle Entfremdung zum Bruch zwischen der römischen und der griechischen Kirche führte. Der päpstliche Legat Kardinal Humbert von Silva Candida und Patriarch Michael I. Kerullarios vollzogen ihn durch gegenseitige Bannung am 16. 7. und 24. 7. 1054. Zunächst wurde dieses Schisma nicht als epochales Ereignis empfunden (erst beigelegt im feierlichen Widerruf der Bannbullen durch den ökumenischen Patriarchen Athenagoras und Papst Paul VI. am 6. 12. 1965).
 
Die Normannen breiteten sich zu dieser Zeit in Italien aus: 1071 fiel Bari als letzte Bastion des Byzantinischen Reichs, während Kaiser Romanos IV. Diogenes in die Gefangenschaft des Seldschuken Alp Arslan geriet (Schlacht bei Mantzikert, 19. 8. 1071). Mit der Errichtung des Sultanats der Rumseldschuken in Nikaia (Nicäa, heute İznik), dann Ikonion (heute Konya) begann die Türkisierung Kleinasiens. Auf der Balkanhalbinsel gärte es, Ungarn, Petschenegen und Kumanen verheerten die Grenzgebiete des B. Reichs.
 
Die Dynastie der Komnenen (1081-1185), aus kleinasiatischem Militäradel, gewann mit diplomatischem und militärischem Geschick dem Byzantinischen Reich für kurze Zeit die Weltstellung zurück. Doch die Mittel, mit denen Kaiser Alexios I. diese Scheinblüte begründete, beschleunigten nur den Verfall. Dank erstmaliger Währungsreform und Pronoiaverleihung (Pronoia) gelang mit einem neu geschaffenen Heer 1091 und 1122 die Niederwerfung der Petschenegen. Aber die Feudalisierung schritt voran, und die Erweiterung der (992 erstmals verliehenen) Handelsprivilegien an Venedig als Entgelt für die Abwehr der Normannen vor Dyrrhachion (heute Durrës) 1082 begründete die Levantemacht der Seerepublik. Sie brachte das Byzantinische Reich in Handel und Verteidigung zur See immer mehr in Abhängigkeit von fremden Flotten. Dies schürte schließlich auch den Hass zwischen Griechen und Lateinern. 1111 und 1170 wurden auch Pisa und Genua durch Handelsverträge als Bündnispartner gewonnen.
 
Der Hilferuf des Kaisers an Papst Urban II. 1095 führte zu neuen Schwierigkeiten mit den Kreuzfahrern des 1. Kreuzzuges, die sich Alexios durch Lehnseid zu verpflichten bemühte. Zwischen Manuel I. (1143-80), der Mittel- und Unteritalien für das Byzantinische Reich zurückgewinnen wollte, und Friedrich I. Barbarossa kam es zur machtpolitischen Auseinandersetzung. Die Siege in Kilikien (1158), Ungarn (1164), Serbien (1172), die ritterliche Hofhaltung, die glanzvolle Hegemonie über die Kreuzfahrerstaaten (Antiochia 1159), alle Weltherrschaftspläne der Komnenen wurden zunichte auf dem Schlachtfeld von Myriokephalon, wo der mit Friedrich I. Barbarossa verbündete Seldschukensultan Kilidsch Arslan der byzantinischen Armee 1176 eine vernichtende Niederlage beibrachte. Es folgten Revolutionen in Konstantinopel, ein Pogrom gegen die Lateiner (1182), das Wüten der Normannen in Thessalonike (1185), weitere Thronwirren unter der unfähigen Dynastie der Angeloi, der Verfall von Flotte und Heer, das Vordringen der Seldschuken, Serben und des Zweiten Bulgarischen Reiches (seit 1185). Sie trieben das Byzantinische Reich rasch in den Untergang.
 
Durch seine verräterische Politik mit Saladin schuf Isaak II. Angelos einen neuen Vorwand dafür, dass der normannisch-staufische Angriffsplan Kaiser Heinrichs VI. verwirklicht wurde, und zwar entgegen päpstlichem Verbot auf Initiative des greisen Dogen Enrico Dandolo hin. Im 4. Kreuzzug kam es zur Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (1204).
 
 Das Lateinische Kaiserreich
 
Die »Lateiner«, die den Grafen Balduin von Flandern zum Kaiser von Konstantinopel wählten (Lateinisches Kaiserreich), teilten ihre Beute in Lehnsstaaten: das Königreich Thessalonike, das Herzogtum Athen und das Fürstentum Achaia. Das Lateinische Kaiserreich selbst blieb auf Konstantinopel (mit Patriarchat) und Umgebung beschränkt, drei Achtel der Stadt mit der Hagia Sophia fielen an das venezianische Inselreich. Auch das verbliebene byzantinische Gebiet wurde geteilt: in die Despotate der Angeloi in Epirus und Thessalonike, das Kaiserreich der Großkomnenen in Trapezunt und der Laskariden in Nikaia. Diese behaupteten sich als eigentliche Exilregierung mit dem Patriarchat im Bund mit Bulgarien und Kleinarmenien (Kilikien) und im Kampf gegen das Sultanat der Rumseldschuken, das den Tatarensturm auffing (1243 Verwüstung von Kaisareia/Caesarea, heute Kayseri).
 
 Spätbyzantinische Ära (bis 1453)
 
Michael VIII. Palaiologos, der Begründer der Palaiologendynastie, verlieh den Genuesen für ihre Flottenhilfe bei der kampflosen Wiedereroberung Konstantinopels (25. 7. 1261 reiche Privilegien. So entstand Pera Galata, das den Genuesen bald siebenmal mehr Zoll einbrachte als die Palaiologen selbst einnahmen. Das anatolische Kraftfeld des Byzantinischen Reichs gab er den turkmenischen Nomaden preis; die Osmanen, einer dieser Stämme, begründeten 1326 am Grab ihres ersten Sultans in Prusa (heute Bursa) ein Reich. Michaels Unionspolitik (2. Konzil von Lyon, 1274) zur Abwehr der gegen Konstantinopel gerichteten Kreuzzugspläne Karls von Anjou verschärfte die Opposition im Innern (Arseniatenstreit). Als Rächer des entthronten Johannes IV. Dukas Laskaris erschien ein Bulgarenheer vor der Stadt. Auch Andronikos II. suchte, schon bar aller Verteidigungsmittel, eine Welt von feindlichen Mächten im Spiel einer umfassenden Diplomatie auszubalancieren. Das großserbische Reich drängte unter Stephan Milutin und Stephan Dušan nach Konstantinopel; die zum Kampf gegen die Türken angeworbene Katalanische Kompanie zog 1306 plündernd nach Achaia ab; Andronikos III. erschütterte das Rumpfreich im Bürgerkrieg (1321/28); die Osmanen dehnten fast ungestört ihre Macht aus. Dennoch zeugte eine Renaissance in Kunst und Wissenschaften von der ungebrochenen geistigen Kraft des Byzantinischen Reichs; Übersetzungen von Werken der lateinischen Scholastik befruchteten die theologische Kontroverse um die hesychastische Mystik des Gregorios Palamas und um das lateinische Dogma. Die 1351 siegreiche sozialrevolutionär-asketische Mönchspartei der Hesychasten verhinderte die Kirchenunion, ohne die der Westen keine Hilfe zu gewähren bereit war. Ursprünglich Verbündete des fähigen Usurpators Johannes VI. Kantakuzenos, begannen die Osmanen von Adrianopel (heute Edirne) aus 1361 mit der Unterwerfung der Balkanreiche. UmHilfe für ihr verschuldetes Reich werbend reisten die letzten Kaiser des Byzantinischen Reichs von Hof zu Hof, zu machtlos, um ihren Klerus zur Anerkennung der Union mit Rom zu bewegen. Als der Moskauer Großfürst Wassilij II. den Namen Kaiser Manuels II. (1391-1425), der neben den Genuesen und als Vasall des Sultans nur noch Stadtpräfekt von Konstantinopel war, aus den Diptychen strich mit der Begründung »wir haben eine Kirche, aber keinen Kaiser«, war es der Patriarch, der die Idee vom einen »Kaiser und Selbstherrscher der Römer«, das ist aller Christen, verteidigte.
 
Im aufstrebenden Despotat Morea (Mistra), wo der Philosoph Plethon eine platonisierende Staatsutopie entwarf, sammelte sich die letzte Kraft des Rhomäertums. In Konstantinopel musste Konstantin XI. Dragases, der gegen heftigen Widerstand die 1438 in Florenz abgeschlossene Union mit Rom am 12. 12. 1452 vollziehen ließ, auf die Krönung durch den Patriarchen verzichten. Nach der letzten, von Griechen und Lateinern gemeinsam in der Hagia Sophia gefeierten Liturgie erlag er Seite an Seite mit den Genuesen dem Mauersturm der Janitscharen am 29. 5. 1453.
 
Nur der kirchliche Organismus überlebte den Fall Konstantinopels: Sultan Mehmed der Eroberer setzte 1454 Gennadios II. zum ersten Patriarchen von Konstantinopel unter türkischer Herrschaft ein.
 
Das geistige Erbe übernahm das Abendland, dessen Weltbetrachtung durch die noch im Byzantinischen Reich vorbereiteten Bewegungen des Humanismus und der Renaissance neu orientiert wurde (byzantinische Kultur).
 
 VERFASSUNG
 
Das Hofzeremoniell galt nicht mehr dem Gottkaiser, sondern Gott in seinem Stellvertreter und Diener. Zugehörigkeit zu Reich und Orthodoxie bedingten einander, die Mission stand im Dienst des Reiches. Nach der politischen Theorie, die, nie systematisch ausgebildet, sich z. B. in Gesetzestexten und der Hofrhetorik ausdrückte, war die kaiserliche Gewalt doppelten Ursprungs: Der »gottgewollte« Basileus (Kaiser), Stellvertreter Christi, war zugleich Auserwählter des Volkes. Seit dem Nikaaufstand (532) wurde seine transzendente Sendung und einzige Verpflichtung zum Vollzug des göttlichen Willens maßgebend. Im Mitkaisertum als Nachfolgeregelung verdrängte das dynastische Prinzip die Wahl (durch Senat, Volk, Heer); bei weiblicher Erbfolge bot sich über Einheirat ein Legitimitätsanspruch auf den Thron. Oft kam es zu Umstürzen; die verstümmelten (häufig geblendeten) Kaiser wurden regierungsunfähig. Die aus der Antike übernommene Eingliederung der Priesterschaft in den Staat ersparte der oströmischen Autokratie den Kampf um die Gewaltenteilung. Kennzeichnend im Ineinandergreifen von höfischem Zeremoniell und kirchlicher Liturgie war die Durchdringung römisch-orientalischer Traditionen mit christlichem Geist; dieser setzte auch der absoluten Macht des Basileus Schranken. Bevor der Patriarch (seit 457) ihn krönte, hatte er (seit 491) ein Glaubensbekenntnis abzulegen. Vernachlässigte er seine Verpflichtungen, musste er mit gewaltsamem Widerstand des Volkes rechnen.
 
Das theatralisch gestaltete Auftreten des Kaisers, wie es Liutprand von Cremona als Gesandter Kaiser Ottos I. 968 erlebte, war Ausdruck der Nachahmung Gottes (»mimesis theou«), aber auch des kulturellen Sendungsbewusstseins vor den nichtgriechischen Barbarenvölkern. Man warf sich vor ihm nieder (Proskynese). Ein bis in kleinste Einzelheiten geregeltes Zeremoniell hob den Kaiser in mystischen Sphären. Zu seinen Reservaten gehörten die Purpurfarbe, die Prägung der Goldmünzen, die Ausfertigung der Privilegien und die Akklamationen. Doch hatte er auch Demutshandlungen wie Fußwaschungen (am Gründonnerstag) und Armenspeisungen vorzunehmen; als Zeichen der Vergänglichkeit trug er neben dem Kreuzzepter die Akakia (ein staubgefülltes Säckchen).
 
Reiche Privilegien befähigten die Grundbesitzer zur Ausübung militärischer Aufgaben, die Kirche zur Übernahme der sozialen Fürsorge, verschärften aber auch den Kampf zwischen Zentralgewalt und Landaristokratie. Der Basileus berief Konzilien ein, entschied dogmatische Streitfragen und übte gewisse priesterliche Funktionen aus. Die Pflicht der Wahrung und Ausbreitung der Orthodoxie verwickelte ihn jedoch oft genug in staatsgefährdende Konflikte, weil er teilweise in den innerkirchlichen Kämpfen um des Friedens willen Partei ergreifen musste und teilweise, so besonders im Bilderstreit, die Meinung einer kirchlichen Minderheit verfocht. Selbst die Mission, die als Mittel der Grenzverteidigung eingesetzt wurde und damit die Verflechtung staatlicher und kirchlicher Aufgaben zeigte, förderte das Aufkommen konkurrierender Nachbarreiche, die dann mit diplomatischen Mitteln als »Söhne« in die vom einen Kaiser als geistigem Vater gelenkte Staatenhierarchie einzugliedern waren.
 
Sitz der Zentralverwaltung war der Kaiserpalast zwischen Hagia Sophia und Hippodrom. In hierarch. Abstufung, die der Kaiser nach Ermessen änderte, waren Beamte des zivilen und Militärdienstes wie auch die Träger der Ehrenämter (Hoftitel) an die Person des Kaisers gebunden. Jeder Amtsträger wirkte in einem zugehörigen Gewand bei der Palastliturgie mit. Durch die Verwaltungsreform des Herakleios (7. Jahrhundert) wurde die Zentralverwaltung in Logothesien (Ministerien) gegliedert. Nach der Liste des Philotheos (899) gab es rd. 60 hohe »Ministerämter«, die öfter durch Eunuchen besetzt waren. Als »Hauptminister« leitete der Magister officiorum (später Logothetes tou dromou) den diplomatischen Dienst in der Kaiserkanzlei, die Waffenarsenale, das Postsystem, die Leibgarde, Grenztruppen und Geheimpolizei. Der Stadtpräfekt (Eparchos) von Konstantinopel vertrat den abwesenden Kaiser. Neben der Palasthierarchie bestand eine ähnliche der Patriarchatsregierung.
 
Die Provinzialverwaltung oblag den Prätorianerpräfekten, von denen der des Orients mit Amtssitz in Konstantinopel, seit Justinian I. mit vereinigter Zivil- und Militärgewalt, zugleich als »Innenminister« fungierte. Unter Herakleios wurden Zivil- und Militärverwaltung durch Einführung der Themenordnung überall zusammengelegt. An der Spitze eines Themas, das die neue Verwaltungseinheit bildete, stand der militärische Provinz-Gouverneur (Strategos). Die Wahl des Kaisers durch Senat oder Armee brauchte die Akklamation des dazu meist im Hippodrom versammelten Volkes, das dieses Recht bis in die Palaiologenzeit behielt. Das auf spätantike Wurzeln zurückgehende byzantinische Zunftwesen bestand als ständische Interessenvertretung und Mittel der staatlichen Wirtschaftslenkung weiter, während die Parteien (Demos) im 7. Jahrhundert ihre politische Bedeutung verloren. Der damals mächtige Senat der Hauptstadt (Synkletos) bestand im Allgemeinen aus höheren Reichsbeamten. Seit Kaiser Leon VI. (886-912) hatte er nur noch beratende Funktion. Tonangebend war schon vorher das Militär.
 
Über die Heeresorganisation des 5.-11. Jahrhunderts unterrichten die militärischen Handbücher (»Stratiotika«). Neben der Palastgarde (Scholae palatinae) gab es das Grenzheer der Limitanei (Akriten), das sich schließlich auf ganze Grenzprovinzen erstreckte, und das Feldheer der Comitatenses (oft Kriegsgefangene, auch im Reich angesiedelte Barbaren, z. B. Goten). Aus ihrem steuerfreien, an Dienstpflicht gebundenen Erbbesitz entwickelten sich die Soldatengüter (10. Jahrhundert). Im späteren Pronoiasystem erhielten Offiziere unvererbbare Versorgungslehen. Haupttruppengattung blieb die Reiterei, seit dem 3. Jahrhundert nach persischem Muster ausgerüstet. Erst im 7. Jahrhundert wurde zur Araberabwehr die eigentliche Kriegsflotte geschaffen. Das »griechische Feuer« des Syrers Kallinikos war ihre gefürchtete Geheimwaffe. Seit den mit Venedig (ab 992) geschlossenen Handelsverträgen verfiel die Flotte.
 
 WIRTSCHAFT
 
Die hohen Ausgaben für Verteidigung und Wohltätigkeitseinrichtungen wurden vorwiegend finanziert durch die Kopf- und Grundsteuer (Annona) und die Einnahmen aus den Städten.
 
Bis ins 12. Jahrhundert war das Byzantinische Reich der volkreichste christliche Staat mit größtem wirtschaftlichem Wohlstand. Durch schützende Gesetze erstarkte im 8./9. Jahrhundert mit dem Kleinbauerntum die Landwirtschaft. Im 11. Jahrhundert griff mit der Feudalisierung der Verfall von Gütern um sich. Oft unterstellten sich Freibauern freiwillig den Mächtigen (Dynatoi), um dem Steuerdruck zu entgehen. Seinen Reichtum verdankte das Reich dem Gewerbe und Luxushandel. Jede Gilde hatte ihr Monopol, unterstand aber der Kontrolle des Stadtpräfekten. Dadurch wurden die Qualität von Ware und Währung, die Versorgung der Hauptstadt und die Staatseinnahmen gesichert. Die Syrer, die in Konstantinopel ihre stärkste Handelsniederlassung hatten, besorgten bis zur arabischen Eroberung Spaniens (711) ungestört den Westhandel über ihre Kolonien in Ravenna, Rom, Marseille, Bordeaux, Narbonne, Tours, Orléans, Paris, Trier. Im Orienthandel ermöglichten handelspolitischen Beziehungen zu Äthiopien die Umgehung der persischen Zollstationen; durch den Schmuggel nestorianischer Mönche gewann das Byzantinische Reich unter Justinian I. das Seidenmonopol. Im 9. Jahrhundert machten neue Handelswege und Märkte im Schwarzmeergebiet das Byzantinische Reich von den arabischen Handelszentren in Damaskus und Bagdad unabhängig. Seit 992 eroberte sich Venedig seine Position im Handel mit Konstantinopel, gefolgt von Pisa, Genua u. a. Mit zunehmender Schwäche der Zentralregierung gingen Monopole an die Fremden über, brachte fehlende Kontrolle das Wirtschaftsgefüge zu Fall, auch das Monopol der Goldprägung verfiel.
 
Literatur:
 
Geschichte:
 
J. B. Bury: A history of the later Roman Empire from Arcadius to Irene (395-800), 2 Bde. (London 1889);
 J. B. Bury: A history of the Eastern Roman Empire from the fall of Irene to the accession of Basile I, 802-867 (ebd. 1912);
 J. B. Bury: A history of the later Roman Empire from the death of Theodosius to the death of Justinian (395-565), 2 Bde. (ebd. 1923);
 F. Dölger: Byzanz u. die europ. Staatenwelt (1953, Nachdr. 1964);
 S. Runciman: Gesch. der Kreuzzüge, 3 Bde. (a. d. Engl., 1957-60);
 W. Ohnsorge: Abendland u. Byzanz (1958, Nachdr. 1979);
 H.-W. Haussig: Kulturgesch. von Byzanz (1959);
 G. Ostrogorsky: Gesch. des Byzantin. Staates (31963; Hb. der Altertumswiss., Abt. 12);
 V. v. Falkenhausen: Unters. über die byzantin. Herrschaft in Süditalien vom 9.-11. Jh. (1967);
 D. Obolensky: The Byzantine commonwealth. Eastern Europe, 500-1453 (New York 1971);
 
Fischer-Weltgesch., Bd. 13: Byzanz, hg. v. Franz G. Maier (1973);
 
Das byzantin. Herrscherbild, hg. v. H. Hunger (1975);
 P. Wirth: Grundzüge der byzantin. Gesch. (1976);
 H.-G. Beck: Kirche u. theolog. Lit. im B. R. (1977);
 H.-G. Beck: Das byzantin. Jahrtausend (1978);
 E. Eickhoff: Macht u. Sendung. Byzantin. Weltpolitik (1981);
 J. Koder: Der Lebensraum der Byzantiner. Historisch-geograph. Abriß ihres mittelalterl. Staates im östl. Mittelmeerraum (Graz 1984);
 P. Schreiner: Byzanz (1986).
 
Verfassung, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft:
 
O. Treitinger: Die oström. Kaiser- u. Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höf. Zeremoniell (21956);
 
J. Karayannopulos: Das Finanzwesen des frühbyzantin. Staates (1958);
 
J. Karayannopulos: Die Entstehung der byzantin. Themenordnung (1959);
 
A. H. M. Jones: The later Roman Empire, 284-602. A social, economic and administrative survey, 3 Bde. (Oxford 1964; Bd. 1 u. 2, Nachdr. ebd. 1973);
 
C. Morrisson: Catalogue des monnaies byzantines de la Bibliothèque Nationale, 2 Bde. (Paris 1970);
 
W. R. O. Hahn: Moneta Imperii Byzantini, 3 Bde. (Wien 1973-81);
 
H.-G. Beck: Theorie u. Praxis im Aufbau der byzantin. Zentralverwaltung (1974);
 
E. Patlagean: Pauvreté économique et pauvreté sociale à Byzance (Paris 1977);
 
F. H. Tinnefeld: Die frühbyzantin. Gesellschaft (1977);
 
M. Clauss: Der magister officiorum in der Spätantike, 4.-6. Jh. (1980).
 

Universal-Lexikon. 2012.