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Eu|ro|pa [ɔy̮'ro:pa], -s:als Erdteil angesehener westlicher Teil Eurasiens: Spanien, Frankreich und Griechenland liegen in Europa; das nördliche Europa.
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1Eu|ro|pa ; -s:
1. als Erdteil angesehener westlicher Teil Eurasiens.
2. Staatenkomplex, der durch einen Zusammenschluss der europäischen Staaten entstehen soll:
sich für E. (einen Zusammenschluss der europäischen Staaten) einsetzen.
2Eu|ro|pa (griech. Mythol.):
phönikische Königstochter, die von Zeus nach Kreta entführt wird.
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I Europa,
griechischer Mythos: Tochter des Phönix oder des Königs Agenor von Phönikien, Schwester des Kadmos, ursprünglich wohl eine vorgriechische Erdgöttin. Zeus nahm ihretwegen die Gestalt eines Stieres an, verlockte sie am Strand, seinen Rücken zu besteigen und entführte sie nach Kreta. Aus ihrer Verbindung mit Zeus gingen Minos, Rhadamanthys und nach einem Teil der Überlieferung Sarpedon hervor. Im Altertum verband man den Namen des Erdteils mit der Europa des Mythos. In der antiken Kunst wurde ihre Entführung (oder Europa allein) auf griechische Vasen und Reliefs (Metopen des Tempels von Selinunt, um 600 v. Chr., und vom Sikyonierschatzhaus in Delphi, um 550), auf Münzen (Gortyn, 5.-3. Jahrhundert), römische Gemmen der Kaiserzeit, Reliefs, Wandbildern (Pompeji) und Mosaiken dargestellt. Das Motiv wurde in spätmittelalterlichen Ovidillustrationen wieder aufgegriffen und auch auf zahlreichen neuzeitlichen Gemälden dargestellt (Paolo Veronese, Tizian, Tiepolo, M. Beckmann).
Europa
[nach Europa, der Geliebten des Zeus (lateinisch Jupiter)], zweitinnerer und kleinster der Galileischen Monde des Planeten Jupiter. Aufgrund von Daten der amerikanischen Raumsonden Pioneer 10 und 11 sowie Voyager 1 und 2 bestimmte man einen Durchmesser von 3 140 km und eine mittlere Dichte von 3,03 g/cm3. Die an topologischen Formationen arme Oberfläche besteht aus einem (vermutlich 100 bis zu 200 km starken) Eismantel; Risse darin erscheinen als ein Netz dunkler Linien auf hellem Grund. Es wurde eine sehr dünne sauerstoffhaltige Atmosphäre entdeckt.
Europa,
mit einer Fläche von 9,839 Mio. km2 der zweitkleinste Erdteil; rd. 7 % der Landfläche entfallen auf Inseln. Seiner Bevölkerung nach ist Europa mit (1994) 681 Mio. Einwohner (12 % der Erdbevölkerung) der drittgrößte Erdteil. Europa, der Westteil der Alten Welt, ist die stark gegliederte westliche Halbinsel Asiens; beide Erdteile bilden die zusammenhängende Landmasse Eurasien. Geschichtliche, wirtschaftliche und kulturelle Gründe rechtfertigen es, Europa als selbstständigen Erdteil aufzufassen.
Als Grenze Europas zu Asien gilt seit dem 18. Jahrhundert der Ural, der aber wegen seiner geringen Höhen (Mittlerer Ural bis 993 m über dem Meeresspiegel, Südliches Ural bis 1 640 m über dem Meeresspiegel) keine wirkliche Barriere darstellt. Konventionelle Grenzen zu Asien bilden außerdem der Fluss Ural, das Kaspische Meer, die Manytschniederung, das Schwarze Meer, der Bosporus, das Marmarameer, die Dardanellen sowie das Ägäische Meer. Von Afrika ist Europa durch die Straße von Gibraltar und das Mittelmeer getrennt. Im Westen und Norden ist Europa vom Atlantischen Ozean samt Nordpolarmeer umgeben; weiträumige Meeresteile (Biskaya, Nord- und Ostsee sowie Barentssee mit Weißem Meer) greifen in das Festland ein. Als Nordspitze Europas gilt gemeinhin das Nordkap in Norwegen, tatsächlich ist es aber Knivskjelodden, 4 km weiter westlich (71º 11' 08'' nördliche Breite), der südlichste Punkt des europäischen Festlands befindet sich in Spanien (Punta Marroquí, 36º nördliche Breite), der westlichste in Portugal (Kap Roca, 9º 30' westliche Länge), der östlichste in Russland (im Polarural, bei 66º östliche Länge). Die größten zu Europa zählenden Inseln sind Großbritannien (216 777 km2), Island (mit dem westlichsten Punkt Europas: 24º 32' westliche Länge), Irland, die Nordinsel von Nowaja Semlja, Spitzbergen, die Südinsel von Nowaja Semlja, Sizilien, Sardinien, die Insel Nordostland von Spitzbergen, Korsika, Kreta, Seeland, die Edge-Insel von Spitzbergen, Euböa, Mallorca, die Waigatschinsel, die Kolgujewinsel, Gotland, Fünen, die Inseln Georgland und Alexandraland von Franz-Josef-Land sowie Ösel (2 714 km2).
OBERFLÄCHENGESTALT
Gegenüber den anderen Erdteilen hat Europa eine besonders reiche Gliederung und Küstenentwicklung. Die größten Halbinseln sind die Skandinavische, die Iberische (Pyrenäenhalbinsel), die Balkan- und die Apenninenhalbinsel. Die Oberflächengestalt des festländischen Europa wird im Norden und Nordwesten bestimmt durch die Reste des altpaläozoischen kaledonischen Gebirges im Westen der Skandinavischen Halbinsel und in Teilen der Britischen Inseln sowie durch die Ebenen und Bergländer im Bereich des präkambrischen Baltischen Schilds. Auf der Skandinavischen Halbinsel hat das Gebirge in Westnorwegen durch reiche Vergletscherung und tief eingeschnittene Fjorde teilweise alpinen Charakter. - Die ausgedehnte Osteuropäische Ebene (Russische Ebene), die im Norden weithin von eiszeitlichen (glazialen) Ablagerungen, im Süden von Löss bedeckt ist, geht im Westen ohne scharfe Grenze in das mitteleuropäische, an Ost- und Nordsee angrenzende Tiefland über.
Die vielgestaltigen Mittelgebirgsräume West- und Mitteleuropas umfassen die Reste des jungpaläozoischen variskischen Gebirges und aus mesozoischen Sedimenten bestehende Schichtstufenländer (das Schichtstufenland im Südostteil Englands, das französische Schichtstufenland mit dem Pariser Becken, das Schwäbisch-Fränkische Schichtstufenland), Beckenlandschaften und Einbruchssenken wie den Oberrheingraben sowie Erscheinungen des tertiären und quartären Vulkanismus. Während des Pleistozäns trugen die höheren Mittelgebirge Lokalvergletscherungen, im periglazialen Bereich entstanden Hangschuttdecken und Blockmeere, am Gebirgsrand bildeten sich Lössdecken (äolische Ablagerungen). Die variskischen Gebirge erstrecken sich vom Zentralmassiv nach Nordwesten über die Bretagne (Amorikanisches Gebirge) nach Südwestengland und Nordspanien (Galizien) sowie über Vogesen, Schwarzwald, Rheinische Schiefergebirge, Harz, Thüringer Wald, Bayerischer Wald und Erzgebirge nach Nordosten zu den Sudeten. - Auch der Ural ist aus der variskischen Gebirgsbildung hervorgegangen.
Zwischen der Mittelgebirgszone und dem Nordsaum des Mittelmeers erheben sich die jungen (tertiären) Faltengebirge der Betischen Kordilleren (in Andalusien), der Pyrenäen, der Alpen, der Karpaten und des Balkangebirges, des Apennins sowie des Dinar. Gebirges, das sich in Westgriechenland über den Pindos, die Gebirge des Peloponnes und Kreta bis Rhodos fortsetzt. Neben steilen Hochgebirgsformen, die im Wesentlichen das Ergebnis der pleistozänen Gebirgsvergletscherung sind, finden sich auch Mittelgebirgsformen (z. B. in den Ostkarpaten und im Dinar. Gebirge). In den Alpen gibt es noch heute ausgedehnte Gletscher, in den Pyrenäen einige Kargletscher, sonst nur Eis- und Firnflecken. Die alpidischen Faltengebirge umgeben die Poebene, das von Donau und Theiß entwässerte Ungarische Tiefland und das Tiefland der Walachei (an der unteren Donau).
Bei den Gebirgen Ost- und Nordostgriechenlands dagegen handelt es sich um variskische Faltengebirgsrümpfe. Das Innere der Iberischen Halbinsel wird von der weit gespannten Hochfläche der spanischen Meseta eingenommen. Die von Gebirgen eingerahmte Meseta bildete sich im Bereich der variskisch gefalteten Iberischen Masse, die im Tertiär in Bruchschollen zerbrach; deren bei verschiedenen Hebungsvorgängen schräg gestellte und zum Teil gefaltete Deckschichten wurden später zu einer Rumpffläche eingeebnet. - Tätige Vulkane gibt es im Mittelmeerraum (Ätna, Vesuv, Stromboli, Vulcano, Thera), auf der arktischen Insel Jan Mayen (Beerenberg) und in Island (etwa 30 tätige Vulkane).
Europa liegt mit Ausnahme des hohen Nordens (arktische Klima) und des äußersten Südostens an der unteren Wolga (sommerheißes Kontinentalklima) in der gemäßigten Zone. Infolge der zum Atlantischen Ozean hin offenen Lage und dank der Wärmetransporte durch Meeresströmungen sowie vorherrschende Westwinde hat Europa, verglichen mit anderen Erdteilen in gleicher Breitenlage, ein milderes Klima mit ausgeglicheneren Temperaturen. Drei umfangreiche Luftdrucksysteme steuern das Klima: das Islandtief, das Azorenhoch und das jahreszeitlich wechselnde Druckgebiet über Asien (im Sommer ein Wärmetief, im Winter ein ausgedehntes Kältehoch); Letzteres ist von grundlegender Bedeutung für den Unterschied zwischen dem Klima Mittel- und Nordeuropas und dem subtropisch-mediterranen Klima jenseits des alpidischen Faltengebirgsgürtels.
In der Temperaturverteilung tritt der Einfluss der Luftströmungen deutlich hervor. Im Juli greifen die Isothermen (Linien gleicher Wärme) im Osten polwärts aus, denn dann erwärmt sich das Binnenland stärker, während im Westen die ozeanischen Winde abkühlend wirken. Im Januar aber kommt der Einfluss der südwestlichen Winde am stärksten zur Wirkung: Die Isothermen verlaufen in Westeuropa nordsüdlich, die Durchschnittstemperatur nimmt somit weniger nach Norden als nach Osten ab. Die Verteilung des Niederschlags hängt ebenfalls mit den ozeanischen Winden zusammen. An der atlantischen Küste ist die Regenmenge am höchsten, nach Osten hin wird sie geringer. Im Osten fällt die Hauptregenzeit auf den Sommer, im Westen sind die reichlich fallenden Niederschläge über das ganze Jahr verteilt (mit einem Maximum im Herbst oder Frühwinter). Reliefunterschiede beeinflussen in hohem Maße die regionale und lokale Niederschlagsverteilung. Schon geringfügige Erhebungen bewirken örtlich höhere Niederschläge in den Luv- und Niederschlagsarmut in den Leelagen.
Der Einfluss des Atlantischen Ozeans nimmt im Mittelmeergebiet rasch ab. Südeuropa gehört dem warmen Gürtel der gemäßigten Zone - der subtropischen Winterregenzone - an; im Sommer setzt hier eine Trockenzeit mit vorherrschend nördlichen Winden (Etesien) ein.
Pflanzengeographisch bildet Europa die Westflanke des eurasischen Kontinents im Bereich der Holarktis und damit das Gegenstück zu Ostasien. Es steht aber hinter diesem an Artenreichtum und Üppigkeit der Vegetation weit zurück, weil die arktotertiäre Flora der letzten Eiszeit durch die Querriegel der großen Faltengebirge (z. B. Alpen) am Rückzug nach Süden gehindert und damit zum größten Teil vernichtet wurde. Die Vegetationsgliederung ist bestimmt durch die Wärmezunahme von Norden nach Süden und den Übergang von ozeanischem zu kontinentalem Klima von Westen nach Osten. Die arktische Florenregion, die Tundra, umfasst von Nordnorwegen ostwärts einen allmählich breiter werdenden Küstensaum am Nordpolarmeer einschließlich aller dort liegenden Inseln. Das arktische Gebiet geht südwärts in eine Zone über, in der neben rein arktische auch alpine Florenelemente auftreten. Die polare Waldgrenze wird im ozeanischen Westen durch eine bis zur Halbinsel Kola reichende Birkenwaldzone geprägt. Weiter östlich stößt die Tundra unmittelbar an die Zone des borealen Nadelwaldes, der innerhalb Europas fast ganz Norwegen, Schweden, Finnland und den Norden Russlands bedeckt. Vorherrschende Bäume sind Kiefer und Fichte. Erst im Nordwesten Russlands kommen Lärche und Arve hinzu, der Wald nimmt den Charakter der sibirischen Taiga an. Die Nadelwälder des Nordens kehren in der montanen Nadelwaldstufe der mittel- und südeuropäischen Gebirge wieder und haben mit diesen viele Florenelemente gemeinsam (Alpen). Der südliche Teil des europäischen Waldgebietes ist als breite Laubwaldzone entwickelt. Sie bedeckt ganz West- und Mitteleuropa. Im Osten wird sie durch das bis in das Ungarische Tiefland vordringende zentralasiatische Steppengebiet eingeengt. Im Westen Europas, der atlantischen Florenregion, herrschen Eichen-Birken-Wälder vor. Kennzeichnend sind weiter ausgedehnte Heiden sowie große Hochmoore. In der mitteleuropäischen Florenregion, die auch den größten Teil Deutschlands umfasst, sind Buchenwälder sowie Buchen-Eichen-Hainbuchen-Wälder mit Beimengung weiterer Laubhölzer (z. B. Ahorn, Ulme, Linde) bestimmend. Im kontinentalen Osten verarmt der Wald an Arten. Die Buche z. B. hat ihre Ostgrenze schon im Westen Russlands. Die nur noch schmale reine Laubwaldzone am Rand der Steppe besteht aus Eichenwäldern. Sie geht mit einem breiten Mischwaldgürtel in das Nadelwaldgebiet über. Im vom Wiener Becken bis zum Balkan reichenden pontischen Waldbereich dominieren Zerreiche, Silberlinde und Hopfenbuche sowie die Schwarzkiefer. Das pontische Steppengebiet beginnt etwa südlich der Linie Kiew-Tula-Ufa und reicht bis zum Schwarzen Meer, dem Kaukasus und der Halbwüste der Kaspischen Senke. - Die Länder um das Mittelmeer, seine Inseln und die südliche Krim gehören dem mediterranen Florengebiet an (Mittelmeerraum).
Die Tierwelt Europas gehört, von den nördlichsten Teilen abgesehen, zur paläarktischen Region des Faunenreiches Arktogaea, das Nordamerika, Europa und Asien umfasst. Abhängig von den Vegetationsformen spiegelt sie die klimatischen Verhältnisse wider. Erdgeschichtlich gesehen ist die Fauna im Ganzen jung, da durch die pleistozänen Eiszeiten die ursprüngliche Tierwelt nach Süden verdrängt oder ausgerottet wurde und erst mit dem Zurückweichen des Eises eine erneute Besiedlung, v. a. von Süden und Südosten her, einsetzen konnte. Wesentlich hat in den ursprünglichen Bestand der Mensch eingegriffen, unmittelbar durch Jagd, Fischerei und Vernichtung von tierischen Feinden, sehr viel stärker aber noch mittelbar durch Wandlung der Urlandschaft in Kulturlandschaft, die vielen Tieren die Lebensmöglichkeiten nahm und nur wenigen über weite Gebiete hin gleichmäßig günstige Bedingungen schuf.
An die Gebiete nördlich der Baumgrenze, die mit Rentier, Vielfraß, Lemming u. a. tiergeographisch zur Arktis gehören, schließt sich, nach Süden bis zur Kette der großen Gebirge reichend, die europäische Provinz der paläarktischen Region an: mit Elch, Hirsch und Reh, kleinen Raubtieren wie Fuchs, Dachs, Marder und Iltis, zahlreichen Nagern wie Mäuse, Hamster, Eichhörnchen, Hasen, Haselmaus und Schläfer der Gattung Myoxus, ferner Igel, Maulwurf, Spitzmäuse und Fledermäuse. Die größeren Raubtiere wie Wolf, Luchs und Bär finden sich fast nur noch in Rückzugsgebieten. Unter den Vögeln sind Singvögel, Eulen und Greifvögel, in den seenreichen Flachländern und an den Meeresküsten Stelz- und Watvögel, Enten, Gänse und Schwäne sowie Möwen und Seeschwalben zahlreich vertreten - die Sumpf- und Wasservögel aber fast ausnahmslos in schnell abnehmender Zahl. - Die Tierwelt der drei südeuropäischen Halbinseln gehört der mediterranen Provinz der paläarktischen Region an (Mittelmeerraum).
BEVÖLKERUNG
Europa ist die Heimat der Europiden. Die Einwohnerzahl stieg von (1650) 100 Mio. über (1750) 140 Mio., (1800) 187 Mio., (1850) 266 Mio., (1900) 403 Mio., (1913) 468 Mio., (1960) 566 Mio., (1970) 614 Mio., (1980) 648 Mio., (1985) 661 Mio., (1990) 673 Mio. auf (1994) 681 Mio.; die bevölkerungsreichsten Staaten sind - abgesehen von Russland - Deutschland, Italien, Großbritannien und Nordirland, Frankreich, Spanien und Polen. Europa hat mit (1994) 69 Einwohner je km2 nach Asien die zweithöchste Bevölkerungsdichte aller Erdteile. Die räumliche Verteilung der Bevölkerung ist sehr unterschiedlich. Mit Ausnahme der flächenmäßig kleinen Länder (Vatikanstadt, Monaco, San Marino, Malta) haben die Niederlande (357 Einwohner je km2) und Belgien (324 Einwohner je km2) die höchste Dichte. Besonders in den Industriegebieten Deutschlands, der Niederlande, Belgiens, Frankreichs, Englands und Norditaliens treten Ballungsräume hervor, die eine Bevölkerungsdichte von rd. 1 000 Einwohner je km2 aufweisen (Ballungsgebiet). Am dünnsten besiedelt ist Island (2 Einwohner je km2).
Zu den Bevölkerungsbewegungen in der Neuzeit gehören die Flucht von Hugenotten v. a. in die Mark Brandenburg, nach Hessen und in andere deutsche Kleinstaaten sowie von Salzburger Protestanten nach Ostpreußen. Bis in das 20. Jahrhundert hielt die Auswanderung aus den übervölkerten Ländern Europas in die neu erschlossenen Überseegebiete (besonders nach Nord- und Südamerika) an. Mit der Industrialisierung ergaben sich neue Bevölkerungswanderungen, z. B. aus Polen ins Ruhrgebiet und von Süd- nach Norditalien. Die beiden Weltkriege und deren Folgen zwangen viele Menschen, ihre Heimat aufzugeben. So kam es nach 1920 zwischen Griechenland, der Türkei und Bulgarien zu einem erzwungenen Bevölkerungsaustausch von etwa 2 Mio. Menschen.
Zwischen 1933 und 1945 wurden über 5 Mio. Juden in Deutschland und in den während des Zweiten Weltkriegs von Deutschen besetzten Gebieten vernichtet oder vertrieben. Über 300 000 Juden wanderten nach dem Krieg nach Israel aus. Ende des Zweiten Weltkriegs und in der Zeit danach kam es zur Vertreibung von 11,958 Mio. Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und den angrenzenden Staaten des östlichen Mitteleuropas sowie Ost- und Südosteuropas. Zugleich wanderten etwa 5 Mio. Polen aus den an die UdSSR gefallenen ostpoln. Gebieten in die ehemals deutschen Provinzen ein. Erhebliche, zum Teil zwangsweise Umsiedlungen gab es auch in der UdSSR (2 Mio. Ukrainer und Weißrussen gelangten in die ehemals polnischen Gebiete oder nach Sibirien). Aus den ehemals finnischen Gebieten wurden über 400 000 Menschen nach Finnland, aus den baltischen Ländern Esten, Letten und Litauer nach Innerrussland umgesiedelt. Innerhalb Deutschlands gab es bis zum 13. 8. 1961 (Bau der Berliner Mauer) eine Ost-West-Wanderung: Über 3 Mio. Menschen kamen aus dem Gebiet der DDR in das der BRD.
Die Entlassung der einstigen Kolonien in die Unabhängigkeit veranlasste nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 300 000 Niederländer in Indonesien zur Rückkehr in die Niederlande und 1,5 Mio. Franzosen zum Verlassen Nordafrikas. Außerdem setzte eine beträchtliche Einwanderung von Nichteuropäern aus Übersee ein. Nach Großbritannien gelangten etwa 620 000 Personen aus der Karibik, etwa 430 000 aus Indien, etwa 240 000 aus Pakistan, etwa 180 000 Menschen asiatischer Herkunft aus Afrika und 110 000 Schwarzafrikaner.
Seit Ende der 1950er-Jahre spielen in der Bevölkerungszusammensetzung einiger westlichen Industriestaaten Europas auch die ausländischen Arbeitnehmer eine Rolle. Im vereinten Deutschland leben circa 5,5 Mio. Ausländer. Die Zuwanderung Asylsuchender wurde gesetzlich eingeschränkt; Deutschland nahm darüber hinaus eine große Zahl von Spätaussiedlern aus Osteuropa, insbesondere aus Russland, auf, seit Ende der 80er-Jahre rd. 2 Mio. Bedeutende Wanderungen verursachten die Auflösung der Sowjetunion (insgesamt rd. 5 Mio. Personen) und die gewaltsame Vertreibung und Umsiedlung im ehemaligen Jugoslawien. Derzeit wandern durchschnittlich 850 000 Menschen pro Jahr ins westliche Europa ein.
Die in Europa vorherrschende Religion ist das Christentum; die Christianisierung Europas war im Wesentlichen Ende des 1. Jahrtausends abgeschlossen (Mission). Die islamischen Gemeindegründungen in Europa haben ihre Wurzeln in der osmanischen Eroberung Südosteuropas im 14.-16. Jahrhundert und in der Migration aus islamischen Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - Heute (1994) bekennen sich nach Schätzungen rd. 82 % der Bevölkerung Europas (ohne Russland) zum Christentum: rd. 52 % gehören der katholischen Kirche an, rd. 14,5 % lutherischen und reformierten Kirchen, rd. 7 % orthodoxen Kirchen, rd. 6,5 % der anglikanischen Kirche und rd. 2 % anderen protestantischen Kirchen und Gemeinschaften. Katholiken bilden die Bevölkerungsmehrheit in Südeuropa, in einigen Staaten Westeuropas (Belgien, Frankreich, Luxemburg, Irland), in Kroatien, Litauen, Polen, Österreich, Slowenien, in der Slowakischen Republik, der Tschechischen Republik und in Ungarn, Lutheraner in Nordeuropa, orthodoxe Christen in Südost- und Osteuropa (Moldawien, Weißrussland, Ukraine). Konfessionell gemischte Bevölkerungen mit etwa gleich großen Anteilen katholischer und protestantischer Christen haben Deutschland, die Niederlande, Lettland und die Schweiz. Rd. 2,5 % der europäischen Bevölkerung bekennen sich zum Islam, der in Albanien die Religion der Bevölkerungsmehrheit ist und dem (zum Teil größere) Teile der Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina (44 %), Bulgarien (10 %), Griechenland (1,5 %), der Bundesrepublik Jugoslawien (17 %; v. a. im Kosovo), Makedonien (30 %) und in Rumänien (1 %) angehören. Die größten durch Migration entstandenen islamischen Gemeinschaften bestehen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Von den rd. 1,76 Mio. Juden Europas leben rd. 600 000 in Frankreich, rd. 300 000 in Großbritannien und rd. 450 000 in der Ukraine. Weitere nichtchristliche religiöse Minderheiten bilden die Hindus in Großbritannien (rd. 410 000) und in den Niederlanden (rd. 100 000), rd. 237 000 Sikhs (fast ausschließlich in Großbritannien), rd. 280 000 Buddhisten und über 90 000 Bahais. Rd. 14,5 % der Europäer sind konfessionslos, worunter sich eine Minderheit als Atheisten bezeichnet. - In Russland (einschließlich seines asiatischen Teils) fühlen sich rd. 56 % der Bevölkerung der russisch-orthodoxen Kirche verbunden; rd. 7 % bekennen sich zum Islam und etwa ein Drittel bezeichnet sich als nichtreligiös; eine Minderheit bilden die rd. 600 000 Juden Russlands.
SPRACHEN
Die in Europa (bis zum Ural, einschließlich des Kaukasusgebiets) gesprochenen Sprachen gehören überwiegend (zu rd. 95 %) der indogermanischen Sprachfamilie an, v. a. den großen Gruppen der germanischen Sprachen, der aus dem Lateinischen hervorgegangenen romanischen Sprachen und der slawischen Sprachen. Zu den indogermanischen Sprachen zählen auch die albanische Sprache, das Griechische (griechische Sprache, neugriechische Sprache), die keltischen Sprachen, die baltischen Sprachen, das Armenische, die jiddische Sprache und das Romani. In Europa gesprochene Sprachen nichtindogermanischen Ursprungs sind das Baskische (baskische Sprache und Literatur), die finnougrischen Sprachen, das Samojedische (Samojeden), die Turksprachen, die kaukasischen Sprachen, das zu den mongolischen Sprachen zählende Kalmückische sowie das Maltesische. Trotz ihrer Verschiedenheit und Zugehörigkeit teils zu den flektierenden Sprachen, teils zu den agglutinierenden Sprachen ist allgemein eine Tendenz zum analytischen Sprachbau festzustellen.
Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung Europas beruht auf einer seit Jahrhunderten gewachsenen Wirtschaftsstruktur mit intensiver Landwirtschaft, industrieller Produktion, Ausbau des Dienstleistungsbereichs und weit reichenden internationalen Handelsbeziehungen. Der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe des Marshallplans und seiner Kapitalzuflüsse wurde unterstützt durch die Liberalisierung des europäischen Handels, was zu anhaltendem Wirtschaftsaufschwung führte. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Teilen Europas wurde verstärkt durch die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Freihandelsassoziation sowie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Voraussetzungen für das weitere Zusammenwachsen des westeuropäischen Wirtschaftsraumes, die weitgehende Koordinierung der Währungspolitik und Konvertibilität der Währungen, wurden mit der Europäischen Zahlungsunion, dem Europäischen Währungssystem und der Europäischen Wirtschaftsunion geschaffen. Die Ostblockstaaten arbeiteten 1949-91 im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe zusammen. Der Zusammenarbeit zwischen West und Ost dient seit 1947 die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen. Europa verfügt mit einem Bruttosozialprodukt von rd. 4 000 Mrd. US-$ noch vor Nordamerika über das wichtigste Wirtschaftspotenzial der Erde.
Die Landwirtschaft Europas ist hoch entwickelt. Der Anteil der landwirtschaftlich genutzten Fläche an der Gesamtfläche ist jedoch rückläufig. Rd. 30 % der Gesamtfläche werden ständig landwirtschaftlich genutzt, 40 % sind Wald. Dem Anbau feindlich sind der hohe Norden, im Osten die Kaspische Niederung, die schmalen Gipfelregionen der Hochgebirge sowie einige Gebiete der Pyrenäen- und der Balkanhalbinsel. In den Trockengebieten wird in größerem Umfang Bewässerungswirtschaft betrieben. Entsprechend der klimatischen Abstufung von Norden nach Süden ergibt sich eine Folge von Anbauzonen mit immer anspruchsvolleren und vielfältigeren Gewächsen, von der Sommergerstenzone im Norden, die an die durch Rentierzucht genutzte arktische Zone anschließt, über die Hafer-, Roggen- und Kartoffelzone Norddeutschlands, Polens und Mittelrusslands, die im Süden in eine intensive Mischzone mit Hackfrüchten, Obst- und Industriepflanzen übergeht, zur Weizen-, Mais- und Weinbauzone, die von Frankreich über Oberitalien und den Donauraum nach Südrussland reicht und schließlich zur mediterranen Zone mit Reb-, Zitrus- und Ölbaumkulturen sowie Korkeichenbeständen.
Die Viehwirtschaft wird in den feuchtkühlen Gebieten (Britische Inseln, Bretagne, Niederlande, Dänemark, Norddeutschland u. a.) und in den Hochgebirgen (hier zum Teil als Almwirtschaft) v. a. mit Rindern betrieben. In den trockenen Gebirgen in Osten und Süden Europas dominieren Schaf- und Ziegenhaltung.
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat die europäische Landwirtschaft erhebliche Produktivitätssteigerungen erzielen können, v. a. durch die zunehmende Mechanisierung, die damit verbundene starke Verringerung des Anteils der in der Landwirtschaft Beschäftigten und den Einsatz von Kunstdünger. Sie unterliegt jedoch in fast allen Ländern wirtschaftspolitische Interventionen der Regierungen sowie Agrarmarktregulierungen in der Europäischen Wirtschaftsunion (Agrarpolitik).
Trotz Waldverwüstung in Südeuropa seit Jahrtausenden und der schon jahrhundertealten Waldnutzung in Mittel- und Westeuropa erlauben die noch immer großen Waldreserven eine forstwirtschaftliche Nutzung. Die Grundlage bilden nicht nur die Gebirgswälder im zentralen Teil Europas, sondern v. a. die große nördliche Waldzone in Skandinavien und Nordrussland, wo sich viele Betriebe der Holz- und Zellstoffindustrie ansiedelten. In allen Ländern, auch in den waldarmen südlichen Gebieten, wird die Wiederaufforstung intensiv betrieben. Ein ungelöstes Problem stellen die durch Umweltbelastungen hervorgerufenen Waldschäden dar.
Die Fischerei wird im Wesentlichen als Seefischerei betrieben, und zwar in Nordsee und Nordatlantik bis Island und zum Nordpolarmeer (v. a. auf Hering, Kabeljau, Schellfisch), in der Ostsee (Hering, Flunder, Lachs) sowie vor den Küsten des Mittelmeeres (Thunfisch, Sardine) und des Schwarzen Meeres (Stör).
Die Bodenschätze Europas werden zum Teil schon seit dem Altertum genutzt. Viele Lager sind inzwischen erschöpft oder von außereuropäischen Vorkommen in ihrer Bedeutung überholt worden, so bei Zinn, Gold, Silber und Kupfer. Groß sind noch die Steinkohlenlager in England, Belgien, Nordfrankreich, im Saarland und Ruhrgebiet, in Oberschlesien, im Donezrevier und in Nordspanien. Sie werden ergänzt durch reiche Braunkohlelager, besonders in Mitteldeutschland, Böhmen und Mittelrussland. Größere Eisenerzlager befinden sich in Nordschweden, Lothringen, England, Südrussland, Westdeutschland und Nordspanien. Die Kohleförderung im westlichen Europa musste infolge der Konkurrenz von amerikanischer Kohle sowie von Erdöl eingeschränkt werden. Zechenstilllegungen führten und führen in vielen Revieren zu erheblichen wirtschaftlichen Anpassungsproblemen. Auch die Eisenerzlager gestatten meist keine rentable Förderung mehr, da Erze mit höherem Eisengehalt aus Übersee billiger importiert werden können. Weitere wichtige Bodenschätze sind Kalisalze (Deutschland, Frankreich), Quecksilbererz (Spanien, Italien), Bauxit (Frankreich, Jugoslawien, Ungarn, Portugal), Schwefel- und Kupferkies (Spanien, Skandinavien, Italien, Portugal), Blei-Zink-Erze (Jugoslawien, Spanien, Polen, Ukraine, Russland), Nickelerze (Skandinavien, Ukraine), Manganerz (Ukraine), Wolframerz (Portugal), Chromerz (Griechenland, Jugoslawien), Magnesit (Österreich, Jugoslawien), Kobalterz (Finnland) sowie kleinere Mengen an Uranerz (Frankreich, sächsisch-böhmisches Erzgebirge). Die Buntmetallverhüttung beruht heute vorwiegend auf eingeführten überseeischen Erzen. Die wichtigsten Erdölvorkommen besitzen Norwegen, Großbritannien und Russland; die Gewinnung in Deutschland, Österreich u. a. Ländern spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Europa verfügt auch über größere Erdgasvorräte, besonders in Italien, der Ukraine, Frankreich, in den Niederlanden und Nordwestdeutschland sowie im Bereich der Nordsee.
Trotz eines starken Anstiegs der Förderung von Erdöl und -gas in Großbritannien, Norwegen und den Niederlanden übersteigt der Energieverbrauch v. a. im westlichen Europa die Eigenproduktion. Rohöl und Erdgas werden u. a. aus den Nahostländern, Mittelamerika und Russland (Westsibirien) eingeführt. Als Energiebasis dienen trotz des verstärkten Einsatzes von Kernkraftwerken die Steinkohlevorräte, die etwa 600 Mrd. t betragen. In den Hochgebirgen (Alpen, Pyrenäen) werden die Wasserkräfte für die Stromerzeugung genutzt. Der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung ist sehr unterschiedlich, z. B. (1993) 77,3 % in Frankreich und 5,1 % in den Niederlanden. Rohrleitungssysteme für Erdöl und Erdgas sorgen für die Verfügbarkeit von Energie in abgelegeneren Gebieten und haben zu Strukturveränderungen, z. B. im bayerischen Raum und in den Ostblockstaaten, beigetragen. Verbundsysteme für Strom schaffen und sichern ein ausgedehntes Versorgungsnetz in Mitteleuropa.
Europa zählt neben Nordamerika und Japan zu den wichtigsten Industrieregionen der Erde. Die Standorte industrieller Produktion wurden von den wirtschaftlichen Gegebenheiten in den europäischen Ländern bestimmt, sodass sich auf der Basis der vorhandenen Rohstoffe, der Arbeitskraftreserven und der Verbrauchskraft in den verschiedenen Volkswirtschaften unabhängige Industriezentren entwickelten. Diese nationalen Reviere verschmolzen schließlich bei ständig zunehmender Arbeitsteilung zu einem Kerngebiet, das seitdem die Weltwirtschaft über Jahrzehnte in ihrer Entwicklung bestimmte. Auf der Grundlage von Kohle und Eisen entstanden Zentren der Grundstoffindustrie. Kerngebiet ist die hoch industrialisierte Zone, die sich von Großbritannien über Nord- und Ostfrankreich, die Beneluxländer, West-, Süd- und Mitteldeutschland sowie die Nordschweiz nach Böhmen und Südpolen erstreckt, mit weiteren Schwerpunkten in Nordspanien, Mittelfrankreich, Norditalien und Mittelschweden. In Osteuropa entstanden Industrieballungen im Moskauer Zentralraum, im Donezbecken und im Südural. Zentren für die Verarbeitungs- und Konsumgüterindustrie bildeten sich bei den großen Verbrauchsgebieten wie London, dem Pariser Becken, dem Rhein-Main-Neckar-Gebiet, dem oberitalienischen Raum, Berlin und dem mitteldeutschen Industriegebiet sowie im Raum von Moskau. Die nach dem Zweiten Weltkrieg in erheblichem Umfang erweiterte Eisen- und Stahlproduktion erfuhr aufgrund der asiatischen Konkurrenz zunehmend eine Rationalisierung und zugleich Spezialisierung. Einen großen Aufschwung nahm die chemische Industrie mit den verschiedenen Formen der Kunststoffherstellung und -verarbeitung. In der Verarbeitungsindustrie sind alle Sparten von der Metall-, Maschinenbau- und Elektroindustrie bis zur Textil- und sonstigen Konsumgüterindustrie vertreten. Die Kraftfahrzeugherstellung, Elektrotechnik und Investitionsgüterproduktion nehmen innerhalb der Industrieproduktion eine wichtige Stellung ein. Die Hauptproduzenten sind Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien. Die Produktion von elektrotechnischen und elektronischen Anlagen steht ebenfalls auf einem hohen Stand.
In allen europäischen Ländern ist der Anteil der Industrie (einschließlich Bauwirtschaft) an der Erbringung des Sozialprodukts hoch. In einigen Ländern hat seit Mitte der 70er-Jahre der Anteil der Dienstleistungen überproportional zugenommen, wodurch der wirtschaftliche Strukturwandel von hoch entwickelten Industriegesellschaften zu Dienstleistungsgesellschaften besonders zum Ausdruck kommt.
Europa (einschließlich der Nachfolgestaaten der UdSSR) ist mit 47 % am Welthandel beteiligt (davon westliches Europa 38 % und Osteuropa 9 %). Dieser hohe Anteil wird v. a. durch den intensiven Handel innerhalb der westlichen Länder bestimmt (56 % ihres Gesamthandels). Der Handel mit Entwicklungsländern beruht noch zu einem großen Teil auf der Einfuhr von Rohstoffen und der Ausfuhr von Fertigwaren, besonders Maschinen und Kraftfahrzeugen. Die Transformation in Ostmittel- und Osteuropa hemmt noch immer den Ost-West-Handel, weil die Industrieprodukte der Transformationsstaaten nur bedingt konkurrenzfähig sind. Die Verfügbarkeit relativ billiger Arbeitskräfte ließ dort aber Zweigwerke westeuropäischer Firmen entstehen, deren Erzeugnisse mit der Produktion ostasiatischer Billigländer konkurrieren.
Im Binnenverkehr wirkte die räumliche Verteilung wichtiger Rohstoffe und die damit verbundene, auf eng umrissene Standortbereiche konzentrierte Schwerindustrie bestimmend auf die Gestaltung der Verkehrsnetze ein. Die industriellen und bevölkerungsmäßigen Schwerpunkte führten zu Verdichtungen des Verkehrsnetzes.
Die Eisenbahn ist noch immer ein wichtiger Verkehrsträger besonders für den Güterverkehr. Neben dem Abbau von Nebenlinien im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen gibt es Neubauten nur noch in Randgebieten und bei der Trassierung für Hochgeschwindigkeitszüge. Innereuropäische Fahrplankonferenzen stimmen die nationalen Fahrpläne ab. Die Zusammenarbeit im Personen- und Güterverkehr wird durch die gemeinsame Nutzung von Güterwagen ergänzt. Der Containerverkehr u. a. Spezialverkehre gewinnen immer mehr an Bedeutung.
Die Binnenschifffahrt ist v. a. für Massengüter wichtig. Ihr Zentrum ist der Rhein mit der Verbindung nach Rotterdam, Antwerpen, Amsterdam. Den Anschluss an das mitteleuropäische Netz bringt der Mittellandkanal, an das lothringische Industriegebiet der Moselkanal. Der Rhein-Main-Donau-Großschifffahrtsweg stellt eine Verbindung zum südosteuropäischen Wasserstraßensystem her.
Der Kraftwagen hat eine überragende Stellung als Verkehrsträger. Die Verkehrsdichte ist besonders im Westen hoch. Die Zahl der Einwohner je Pkw schwankt zwischen 65 in der Türkei und 2 in Deutschland Das Straßennetz wird ständig erweitert, das Europastraßennetz ausgebaut. Wichtige Verkehrsverbindungen wurden geschaffen (Montblanc- und Felbertauerntunnel, Oosterschelde- und Fehmarnsundbrücke, Europabrücke der Brennerautobahn, Eurotunnel).
Der Seeschifffahrt bieten die buchtenreichen Küsten mit günstigen Wassertiefen sehr gute Voraussetzungen, sodass sich Europa einen zentralen Platz im interkontinentalen Schiffsverkehr erhalten kann. Eine Reihe von Seehäfen bilden die Knotenpunkte zum festländischen Verkehr, wobei die dem industriellen Kerngebiet am nächsten gelegenen Häfen die verkehrsreichsten sind (z. B. Rotterdam, Hamburg, Antwerpen, London, Liverpool, Bremen). Wichtige Häfen am Mittelmeer sind Genua, Marseille, Barcelona und Piräus, am Schwarzen Meer Odessa und Warna.
Auch in der Luftfahrt weist der mittel- und westeuropäische Raum die größte Netzdichte auf. London, Paris, Frankfurt am Main und Zürich sind wichtige Knotenpunkte des kontinentalen und interkontinentalen Luftverkehrs. Größte wirtschaftliche Bedeutung kommt dem Nordamerikaverkehr zu.
Zu den Zeiträumen der Vorgeschichte Altsteinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, Jungsteinzeit, Mittelsteinzeit; zur Vorgeschichte der europäischen Großräume Britische Inseln, Iberische Halbinsel, Mitteleuropa, Mittelmeerraum, Nordeuropa, Osteuropa, Südosteuropa, Westeuropa.
Antike Grundlagen
Der etymologisch nicht zweifelsfrei gedeutete Name Europa, griechisch-semitischen Ursprungs, bezeichnete zu Homers Zeit das mittlere Griechenland. Später begegnet er in Makedonien und Thrakien als Orts- und Gebietsbezeichnung (bis zum Ausgang der Antike; seit Diokletian hieß eine Provinz der thrakischen Diözese Europa). Der Geograph Hekataios von Milet kannte jedoch im 6. Jahrhundert v. Chr. bereits die beiden Erdteile Asien und Europa. Bei Herodot findet sich dann die Dreiteilung der Erde in Asien, Europa und Libyen (= Afrika). Die Kenntnis von Europa war zunächst im Wesentlichen auf die Balkanhalbinsel, die europäische Schwarzmeerküste und im Westen auf das griechische Kolonisationsgebiet (Sizilien, Italien, die gallische und spanische Mittelmeerküste) beschränkt. Mittel- und Nordeuropa waren Herodot noch weitgehend unbekannt. Erst in der Zeit des Hellenismus wurden durch die Nordfahrt des Pytheas von Massalia (um 300 v. Chr.) und das Werk des Geographen Eratosthenes von Kyrene (3. Jahrhundert v. Chr.) auch diese Bereiche in das geographische Weltbild einbezogen. In römischer Zeit ist dann allmählich das ganze europäische Festland, einschließlich Skandinaviens und Finnlands, umrisshaft bekannt geworden.
Zu einer ersten Politisierung des Begriffs Europa kam es in Auseinandersetzung mit dem Weltherrschaftsanspruch der Perserkönige Dareios I. und Xerxes I., die neben Asien auch Europa ihrer Herrschaft unterwerfen wollten. Den Abwehrerfolg der Griechen erklärten antike Autoren u. a. durch die Theorie der klimatisch bedingten Überlegenheit der Bewohner Europas über die Asiaten, die auch als geistig-moralische verstanden wurde (Schrift des Pseudo-Hippokrates über die Umwelt, Aristoteles). Der Gegensatz zwischen Europa und Asien wurde im 4. Jahrhundert v. Chr. auch von Isokrates und seinen Schülern herausgestellt, trat aber nach der Eroberung Asiens durch Alexander den Großen wieder in den Hintergrund. Auch in der Geschichte des republikanischen Rom spielte er keine wesentliche Rolle. Die Römer übernahmen zwar von Alexander und seinen Nachfolgern den Anspruch auf die Weltherrschaft, die als Herrschaft über Asien, Afrika und Europa verstanden wurde (so bei Pompeius), doch erst durch Caesar (Eroberung Galliens) und Augustus (Unterwerfung Nordwestspaniens, der Alpen und des Alpenvorlandes sowie der Donauprovinzen) wurde das Römische Reich in Europa zu einer zusammenhängenden Landmasse, sodass den östlichen Provinzen Roms im Westen und Norden ein Block römischem Gebiets gegenübertrat, der an Umfang die asiatischen Reichsteile bei weitem übertraf, erst recht, nachdem die Kaiser Claudius und Trajan dem Reich auch noch Britannien (seit 43 n. Chr.) und Dakien (106), das heutige Rumänien, hinzugefügt hatten. Durch eine großzügige Bürgerrechts- und Urbanisierungspolitik wurden die neu erworbenen europäischen Provinzen zudem der lateinischen Sprache und Zivilisation sehr viel stärker erschlossen als der griechisch geprägte Osten. Zugleich wurden dadurch wesentliche Grundlagen für die weitere Entwicklung Europas und seiner Stadtkultur gelegt. Als Folge der römischen Eroberungen finden sich in augusteisch-frühtiberischer Zeit bei dem Historiker Livius, dem Geographen Strabo und dem Dichter Manilius Ansätze eines europäischen Bewusstseins. Diese wurden jedoch wieder überdeckt durch die Ausgestaltung des Reichsgedankens, der die Einheit der Asien, Afrika und Europa umspannenden römischen Welt betonte. Auch durch die Reichsteilungen in der Spätantike erfuhr der Europagedanke keine nachhaltige Belebung, da der lateinische Westen neben Europa auch Afrika umfasste und zum griechischen Osten mit der neuen Hauptstadt Konstantinopel (Byzanz) auch Teile von Europa gehörten. Erst in der Völkerwanderungszeit begegnet in außerrömischen Quellen häufiger der Begriff Europa für die nordalpinen Gebiete, in denen sich damals bereits von Rom unabhängige Germanenstaaten gebildet hatten. Und die Gefolgsleute Karl Martells, des Siegers von Tours und Poitiers (732) über die Araber, sollten dann erstmals als »Europäer« bezeichnet werden. (Griechenland, Geschichte, hellenistische Staatenwelt, römische Geschichte, Römisches Reich)
Stufenweises Finden neuer Ordnungen nach dem Verfall der Antike (500-800):
Durch die Germanen und später die Araber des Kalifenreiches wurde die Kultureinheit der antiken Welt zerbrochen. Das Mittelmeer büßte seine verbindende Funktion ein. In West-Ost-Richtung hielten sich vorerst die kulturell-geistigen Beziehungen der drei Halbinseln Südeuropas dank des spätantik geprägten Christentums der römisch-griechischen Bevölkerung, die politischen durch die wenigstens teilweise Wiederherstellung der Oberhoheit des (Oströmisch-)Byzantinischen Reiches in Spanien und Italien unter Kaiser Justinian I. (527-565). Die spanischen Stützpunkte gingen bald verloren, in Italien konnten Teile behauptet werden. Hier traten jedoch die römischen Päpste stellvertretend und in eigenem Interesse an die Stelle der Exarchen, v. a. mit Gregor I., der auch einen geistigen Neubeginn einleitete. Erst im 8. Jahrhundert vollzogen die Päpste auch die politische Abkehr von Byzanz und die Hinwendung zum westlichen, germanisch bestimmten Europa.
Die germanischen Stammländer in Nordeuropa, der baltisch-finnische Raum und die Gebiete der Slawen, die nach Abzug der Germanen im 5. und 6. Jahrhundert westlich bis zur Linie Elbe-Saale-Ostalpen vorrückten, blieben im vor- und frühgeschichtlichen Status. Die Ostgermanen aber gerieten in den Bann der römisch-antiken Kulturwelt, zeitweise in Konfrontation mit dieser und mit dem Christentum oder als Anhänger des Arianismus mit dem Katholizismus der Einheimischen. Im westgotischen Reich in Spanien formten sich manche Wesenszüge der für das Mittelalter charakteristischen engen Verbindung von Antike, Germanentum und Christentum früh aus (Isidor von Sevilla), doch wurde diese Entwicklung durch den Arabereinbruch 711 jäh abgeschnitten; der Großteil der Iberischen Halbinsel war danach für Jahrhunderte ein islamisch beherrschter fremder Teil Europas. Die eigentlichen Wegbereiter des abendländischen Mittelalters wurden die westgermanischen Franken, die im späten 5. Jahrhundert und frühen 6. Jahrhundert das römische Gallien unterwarfen, jedoch den Anschluss an ihr Stammland am Niederrhein hielten und auch nach dem germanischen Mitteleuropa ausgriffen, sodass sich trotz des kulturellen Übergewichts des Westens ein fruchtbares Miteinander von Romanen und Germanen entfalten konnte. Vorher empfing das Fränkische Reich jedoch noch durch die iroschottische und die angelsächsische Mission richtungweisende Entwicklungsanstöße. Im keltischen Irland, das weder dem Römischen Reich zugehört hatte noch je von Germanen besetzt war, hatten sich eine besonders intensive Christlichkeit und eine auf antikem Bildungsgut aufbauende selbstständige Kultur entfaltet. Die im 5. Jahrhundert in Britannien eingewanderten westgermanischen Angelsachsen andererseits waren als einziges germanisches Volk direkt von Rom missioniert worden. Vertiefte Religiosität und Romverbundenheit (Bonifatius) wurden der Kirche des Fränkischen Reiches vermittelt, das so unter Pippin der Jüngere in jenes enge Bündnis mit der römischen Kirche eintreten konnte, das für das mittelalterliche Reich bestimmend wurde, als Karl der Große am Weihnachtstag des Jahres 800 die Krönung zum Kaiser erlangte. (Fränkisches Reich)
Konsolidierung Europas in zwei großen, sich auseinander lebenden Kulturkreisen (800-1050):
Mit dem Reich Karls des Großen, auch »Regnum Europae« genannt, war eine große, den Kern Westeuropas umfassende politische Einheit und Hegemonialstellung geschaffen worden. Karl wurde gelegentlich als »Vater Europas« (»Pater Europae«) gefeiert, doch führte gerade die Erneuerung des weströmischen Imperiums (»Renovatio imperii Romanorum«, »Translatio imperii«) im fränkisch-römischen Reich dazu, dass der Europagedanke hinter den zentralen Begriffen »Reich« und »Kaisertum«, ferner Abendland zurücktrat. Der Einfluss des Fränkischen Reiches überdauerte zunächst auch den Zerfall in den Reichsteilungen 843-880, da die Zueinanderordnung der Nachfolgestaaten - Westfränkische und Ostfränkische Reich, Königreich Burgund und die Teilherrschaften in Italien - noch lange lebendig blieb. Durch den Anschluss Italiens (951/962) und Burgunds (1033/34) an den Machtbereich des deutschen Regnums, in den für etwa ein Jahrhundert auch das geschwächte Papsttum einbezogen war, wurden die karolingischen Nachfolgestaaten auf zwei reduziert: Deutschland und Frankreich. Otto I., der Große, leitete 962 durch die Verbindung der römischen Kaiserwürde mit dem im deutschen Regnum gewählten König, durch die Erneuerung der Reichsidee Karls des Großen eine politische Vormachtstellung des Heiligen Römischen Reiches in Europa ein - ein Konzept, über das sich das umfassend europäisch gedachte, aber nicht realisierbare Konzept Kaiser Ottos III. (Renovatio imperii Romanorum) hinauszuheben suchte.
Das Byzantinische Reich verstand sich noch immer als Verteidiger und Repräsentant der alten Ordnung des Imperium Romanum; zwar hatte es 812 das Kaisertum Karls des Großen formell anerkannt, aber der Primatanspruch der römischen Päpste wurde zunehmend als Herausforderung empfunden. Die unter byzantinischer Herrschaft gezwungenen Balkanslawen machten sich selbstständig, wobei ihr Übertritt zum Christentum der staatlichen Konsolidierung diente. Endgültig blieben jedoch v. a. die Bulgaren kirchlich Konstantinopel zugeordnet. Auf der Höhe der 1. bulgarischen Reichsbildung im 10. Jahrhundert forderten sie jedoch Byzanz zum Kampf um die Vorherrschaft in Südosteuropa heraus. Unter Kaiser Basileios II. erlangte Byzanz bis 1025 infolge seiner strukturellen staatlichen Neuorganisation und Ausdehnung byzantinischen Einflusses bis in die Randzone der Adria noch einmal Weltgeltung.
Noch gab es bis dahin ein drittes, das heidnische Europa. Im späten 9. Jahrhundert brachen die Magyaren über die Karpaten in den Donau-Theiß-Raum ein. Sie durchstreiften Mitteleuropa, bis sie 955 in der Schlacht auf dem Lechfeld besiegt wurden. Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit und dem Übertritt zur römischen Kirche bauten sie ein einheitliches Staatsgebilde im pannonischen Raum auf, um noch im 10. und 11. Jahrhundert mit dem Ausgreifen Ungarns nach Kroatien und Dalmatien ein aktives Element in der weiteren geschichtlichen Entwicklung Südosteuropas zu werden. Vom Norden her plünderten seefahrende Germanen, die Normannen, Küsten und Flusslandschaften. Schwedische Waräger, von ostslawischen Stämmen gerufen, drängten seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Russland zur Staatsgründung (Kiewer Reich). 988/989 wurde der Kiewer Staat durch Byzanz christianisiert, wodurch Russland dem byzantinischen Kultureinfluss geöffnet wurde. Um 870 setzten sich dänische Normannen in Teilen Englands fest und um 910 norwegische in der Normandie, wo sie Christen wurden. Für Skandinavien (Dänemark seit dem späten 10. Jahrhundert, Norwegen seit etwa 1000, Schweden seit dem frühen 11. Jahrhundert christlich) strebte Bremen ein nordisches Patriarchat an; 1104 wurde jedoch das Erzbistum Lund errichtet. 1016-42 beherrschten dänische Könige England.
Während der byzantinische Osten nach wie vor den spätantiken beziehungsweise frühbyzantinischen Traditionen (Cäsaropapismus, Themenordnung) verhaftet war, hatten sich im lateinischen Abendland neue gemeinsame Grundstrukturen der Herrschafts- und Sozialverhältnisse (adlige Grundherrschaft, Lehnswesen, abendländisches Ritter- und Mönchtum) ausgebildet, die auch die künftige Entwicklung des westlichen Europas entscheidend prägten.
Aufbruch und Expansion im Abendland - Beharrung und Stagnation im Osten (1050-1200):
Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts vollzog sich im abendländischen Westen Europas ein tief greifender Wandlungsprozess, der fast alle Lebensbereiche erfasste. Das Nachlassen der militärischen Bedrohung durch die bisherigen Feinde der Christenheit (Normannen, Sarazenen) führte zu einem stetigen Bevölkerungsanstieg, der sich im 12. Jahrhundert dramatisch beschleunigte und bis ins 14. Jahrhundert hinein anhielt. Um den gestiegenen Nahrungsbedarf zu decken, wurden verbesserte Anbau- und Arbeitsmethoden (Dreifelderwirtschaft, neue Pflugtechniken) entwickelt, die im Verein mit der Erschließung neuer Anbauflächen durch Neusiedlung und Rodung zu einer bemerkenswerten Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion führten. Die hierdurch einsetzende wirtschaftliche Dynamik erfasste auch Handwerk, Gewerbe und Handel, was wiederum zum Aufschwung der Geldwirtschaft, zum Ausbau der Verkehrswege und zur Entstehung eines dichten Netzes von Märkten und Städten führte. Motor und Voraussetzung dieses wirtschaftlichen Wandlungsprozesses war eine zunehmende »horizontale« und »vertikale Mobilität« der Landbevölkerung, der es gelang, im Rahmen der Neusiedlungsbewegung, durch Abwanderung in die entstehenden Städte oder durch sozialen Aufstieg im Herrendienst (Ministerialen) die archaischen Formen bodengebundener Abhängigkeit von unmittelbarer Herrengewalt zu sprengen. Mit dieser fast das gesamte lateinische Abendland erfassenden Phase wachsender Dynamik ging seit Ende des 11. Jahrhunderts in Form der spanischen Reconquista, der Kreuzzugsbewegung (Kreuzzug), der Stützpunktpolitik der italienischen Seestädte im östlichen Mittelmeer und der Gründung des Deutschordensstaates (Deutscher Orden) eine Ausweitung des abendländisch-europäischen Kulturkreises einher. Begleitet wurde dieser Wandlungsprozess von einer religiösen Erneuerungsbewegung (Kirchenreform), die, zunächst getragen von den Reformklöstern (Cluny, Gorze, Hirsau), seit Leo IX. (1049-54) durch das Papsttum kirchenrechtlich sanktioniert wurde, wobei der Kampf gegen die Simonie (Ämterkauf) bald in der Forderung nach absoluter Freiheit der Kirche (Libertas ecclesiae) von jeglicher weltlicher Bevormundung gipfelte. In dem hierdurch ausgelösten Investiturstreit mit dem römisch-deutschen Kaisertum konnte sich die päpstliche Autorität im Grundsatz durchsetzen, wodurch die bisherigen Ordnungsvorstellungen infrage gestellt wurden: Das sakrale Charisma des Kaisers als weltliches Haupt der Christenheit war in seiner Substanz erschüttert; sein politischer Vormachtanspruch in Europa wurde von den anderen christlichen Königen in zunehmendem Maß bestritten. Die durch die Reformbewegung und den Investiturstreit entfachte theologische Diskussion löste im 12. Jahrhundert eine Blütezeit europäischem Geisteslebens, die »Renaissance des 12. Jahrhunderts«, aus, deren Zentrum in Frankreich lag und die Frankreich geradezu als geistiges Haupt Europas erscheinen ließ. Die Beschäftigung mit der antiken Literatur führte zu einer neuen wissenschaftlichen Methodik, zur Differenzierung von Philosophie und Theologie und damit zu einer Erschütterung des bisher so geschlossen erschienenen Weltbildes (Dialektik, Frühscholastik). Mit der Rezeption des Aristoteles, vermittelt durch das christlich-arabische Spanien (Aristotelismus), erhielt die abendländische Philosophie neue Impulse; in Paris und Bologna wurden die ersten Universitäten gegründet.
Demgegenüber ging der byzantinische Osten Europas andere Wege. Nach wie vor eingebunden in die antike Tradition des römischen Kaiserreiches und in dauernde Abwehrkämpfe verstrickt, wurde dieser Teil Europas zwar von den demographischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die den Westen prägten, verschont, doch entfielen damit auch die Voraussetzungen für die dynamische Stoßkraft eines alle Lebensbereiche erfassenden Neuerungs- und Wandlungsprozesses. Stattdessen dominierten hier Beharrung und Stagnation, die nach dem Tod Kaiser Basileios' II. (1025) immer deutlicher krisenhafte Züge annahmen (Auflösung der Themenordnung, Niedergang von Verwaltung und Wirtschaft, lähmende Rivalität zwischen ziviler und militärischer Aristokratie).
Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts hatten sich die politischen Verhältnisse in Europa entscheidend gewandelt. Die Eroberung Englands (1066) durch den Herzog der Normandie, Wilhelm den Eroberer, löste das Land aus den traditionellen Bindungen an die skandinavische Welt und öffnete es dem lateinischen-kontinentalen Kulturkreis. In Spanien führte die seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts von den christlichen Kleinkönigreichen im Norden ausgehende christliche Rückeroberung der maurischen Gebiete in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu den ersten spürbaren Erfolgen (1064 Eroberung von Coimbra, 1085 von Toledo, 1090 von Tarragona). In Süditalien hatten sich seit dem frühen 11. Jahrhundert französische Normannen niedergelassen, denen es seit der Mitte des 11. Jahrhunderts gelang, die Byzantiner und die langobardischen Fürstentümer in Süditalien sowie die Sarazenen auf Sizilien zu unterwerfen und die gewonnenen Gebiete zu einem straff organisierten Staatswesen auszubauen. Die jurisdiktionellen und dogmatischen Forderungen des Reformpapsttums führten 1054 zum Morgenländischen (Orientalischen) Schisma und damit zur Spaltung der westlichen und östlichen Kirche. Bedeutsame politische Veränderungen im islamischen Machtbereich veranlassten jedoch das byzantinische Kaiserreich gegen Ende des 11. Jahrhunderts, wieder Anlehnung am westlichen Europa zu suchen: Aus den Steppen Mittelasiens war das Nomadenvolk der türkischen Seldschuken zu einem umfassenden Angriff auf die arabisch-islamische Welt angetreten, der in kurzer Zeit zur Unterwerfung des gesamten östlichen islamischen Machtbereichs führte. Ein militärisches Hilfeersuchen des byzantinischen Kaisers an das westliche Europa trug entscheidend mit zur Auslösung des 1. Kreuzzuges (1096-99) bei, der mit der Eroberung Jerusalems und der Errichtung mehrerer Kreuzfahrerherrschaften in Syrien und Palästina endete. Machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen führten dazu, dass der Kreuzzugsgedanke im Rahmen des 4. Kreuzzuges geradezu pervertiert wurde: Statt zur Rückeroberung des 1187 wieder an die islamische Welt gefallenen Jerusalem anzutreten, nützte das Kreuzfahrerheer unter Führung der Seemacht Venedig Thronstreitigkeiten im byzantinischen Kaiserhaus dazu aus, Konstantinopel zu erobern (1204) und auf byzantinischem Boden ein »Lateinisches Kaiserreich«, auf der Balkanhalbinsel fränkischer Herrschaften und im Ägäischen Meer ein venezianisches Stützpunktsystem zu errichten.
In Westeuropa schuf die Vereinigung der englischen Krone mit weiten Teilen Frankreichs 1152 im Angevinischen Reich den Stoff für einen unausweichlichen Konflikt zwischen den beiden Staaten. Spanien wurde im 12. Jahrhundert durch die Königreiche (Kronen) Aragonien, Kastilien und Portugal bereits zur guten Hälfte in der Reconquista den Mauren abgerungen. Rings von christlichen Königreichen umgeben, verblieben dem Imperium der Staufer, wenn es abendländischer Geltung anstrebte, nur Diplomatie und dynastische Politik. Aber Letztere hatte gerade dort Erfolg, wo der 1177 (Friede von Venedig) beendete zweite Kampf mit dem Papsttum sofort wieder ausbrechen musste: in Neapel-Sizilien, das Heinrich VI. als Erbe zufiel. Nicht zuletzt diese Gefahr der Umklammerung (Erbreichsplan) bewog Innozenz III. (1198-1215), den mächtigsten Papst des Mittelalters, zum Eingreifen in den deutschen Thronstreit (seit der Doppelwahl 1198) und zur Absicherung des Kirchenstaates.
Krise und Neuorientierung (1200-1500):
Während das 13. Jahrhundert noch ganz im Zeichen wirtschaftlicher Prosperität stand, mehrten sich seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts die Anzeichen, dass die Grenzen des Wachstums erreicht waren (zunehmende Missernten durch Überalterung der Böden und Klimaverschlechterung). So beschleunigte die Große Pest, die 1347-51 und auch in späteren Wellen über Europa hereinbrach, mit ihren katastrophalen Menschenverlusten wahrscheinlich nur eine Entwicklung, die bereits vorgezeichnet war: das Umschlagen der Wachstumsphase in eine lang anhaltende Agrardepression bei stetigem Bevölkerungsrückgang. Die Auswirkungen der hierdurch ausgelösten »Krise« der spätmittelalterlichen Gesellschaft trafen die einzelnen Bevölkerungsgruppen in ganz unterschiedlicher Weise, wobei auch regional stark differenziert werden muss. Während v. a. die Grundherren durch das dramatische Ansteigen der Löhne bei gleichzeitigem Preisverfall der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zum Teil beträchtliche Einkommenseinbußen hinnehmen mussten, dürften die Kleinbauern, die ihre jetzt besonders begehrte Arbeitskraft einsetzen konnten, von der neuen Situation profitiert haben. Während einerseits auf dem Land ganze Dörfer und Landschaften verödeten (Wüstung), führte die gestiegene Kaufkraft der Überlebenden anderswo - v. a. in den Städten - zu wachsendem Konsum und wirtschaftlicher Prosperität. Der Zwang zur Umorientierung ließ neue Techniken, Gewerbe und Produktionszweige (z. B. im Bereich der Blech-, Draht- und Papierherstellung) entstehen, während andere darniederlagen; Niedergang und vitale Wirtschaftskraft, Resignation und Optimismus lagen dicht beieinander.
Das östliche Europa sah sich seit dem 13. Jahrhundert schwersten Bedrohungen ausgesetzt. Die 1241 bis nach Schlesien und Ungarn vordringenden mongolisch-tatarischen Reiterheere brachten ganz Russland unter die Oberherrschaft der Goldenen Horde, unter deren Einfluss sich eine neue Herrschaftsform der Moskauer Großfürsten ausbildete; diese führten im 15. Jahrhundert die Einigung Russlands zu einem ersten Abschluss. Das durch den Gewaltakt von 1204 errichtete Lateinische Kaiserreich führte nicht zur Integration Südosteuropas in das Abendland, wohl aber zu einer tödlichen Schwächung des Byzantinischen Reiches. Wenn es auch Michael VIII. Palaiologos 1261 gelang, das griechisch-orthodoxe Kaisertum wiederherzustellen, so konnten seine Nachfolger weder die Verselbstständigung der Völker Südosteuropas noch den Vormarsch der Osmanen, die 1354 bei Gallipoli europäischen Boden betraten, verhindern. Nach der Niederlage der Serben auf dem Amselfeld 1389 versagte 1396 bei Nikopolis (heute Nikopol, Bulgarien) auch die abendländische Hilfe. Hatte die osmanische Niederlage durch Timur 1402 noch einen Aufschub gebracht, so folgte nach der Schlacht von Warna 1444 das übrige Südosteuropa. Mit dem Fall Konstantinopels 1453 endete die tausendjährige Geschichte des Byzantinischen Reiches, aber nur die erste Phase der osmanischen Expansion in Europa.
Im abendländischen Europa hatten die beiden führenden und verbindenden Autoritäten, Papst und Kaiser, zu Beginn des 13. Jahrhunderts bereits ihren Gipfelpunkt überschritten. Das Papsttum, unter Innozenz III. auch politisch führend, konnte zwar in der Auseinandersetzung mit Kaiser Friedrich II. seine Position noch behaupten, geriet aber nach 1250 unter französischen Einfluss. Dem heftigen Widerstand von Papst Bonifatius VIII. folgte die völlige Abhängigkeit im Avignonischen Exil (1305-76). Der Versuch, dieses zu beenden, führte zum großen Abendländischen Schisma (1378-1417), einer für das Abendland so untragbaren Belastung, dass die Nationen gemeinsam auf dem Konstanzer Konzil die Einheit der katholischen Kirche wiederherstellten. Die Initiative zur Überwindung des Schismas hatte noch einmal der römisch-deutsche König (Siegmund, seit 1433 Kaiser) ergriffen, obwohl seit dem Ende der Staufer (1254/68) das Kaisertum seine Führungsrolle verloren hatte. Während die Könige Westeuropas wie auch die meisten Landesherren in Deutschland - ihre Länder zu frühmodernen Flächenherrschaftsstaaten ausbauten, blieb das Heilige Römische Reich selbst bis an sein Ende 1806 ein archaischer Personenverband ohne Wesenszüge moderner Staatlichkeit. Auch die letzte Erweiterung der lateinischen Christenheit durch den Deutschen Orden im Baltikum kam kaum mehr dem Reich zugute. Litauens Christianisierung erfolgte erst durch die politische Verbindung mit Polen. Mit der Union von Krewo 1385 schufen die Jagiellonen eine neue Großmacht bis zum Schwarzen Meer. Als weniger stabil erwies sich die skandinavische Großmachtbildung der Kalmarer Union von 1397.
Frankreich und England maßen fast ständig ihre Kräfte, um 1200 in Verkoppelung mit dem Kampf zwischen Kaiser und Papst und dem innerdeutschen Gegensatz zwischen Staufern und Welfen (Bouvines), dann im Hundertjährigen Krieg. Diese schweren Kämpfe, die in England in die Thronwirren der Rosenkriege (1455-85), in Frankreich in das Ringen mit dem nach Königsmacht strebenden Herzogtum Burgund mündeten, vollzogen sich in umfassenden politisch-sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandlungen; so im Zerfall des Feudalismus, mit dem die beginnende Ausformung des neuzeitlichen souveränen monarch. Staates und der Zusammenschluss der politischen Stände einhergingen. Mit den portugiesischen und spanischen Entdeckungsfahrten des 15. Jahrhunderts wurde das Ausgreifen Europas nach Übersee eingeleitet, Ertrag auch des wissenschaftlichen Fortschritts.
In Frankreich erreichte die Scholastik ihren Gipfel, in England hatte der Nominalismus, in Deutschland die Mystik ihren Schwerpunkt; in Frankreich und Italien entwickelten sich die Universitäten. In Italien erwuchs seit dem 14. Jahrhundert der Frühhumanismus. Im geistigen und kirchlichen Leben der Zeit spielte zunehmend das Bürgertum eine Rolle. Alte und zahlreiche neu gegründete Städte wurden kulturelle Mittelpunkte, waren v. a. aber Zentren der Wirtschaft, die in Handel und Handwerk arbeitsteiliger wurde und durch die neue Geldwirtschaft im 15. Jahrhundert auch Züge des Frühkapitalismus annahm.
Frühe Neuzeit
Renaissance, Reformation und das Scheitern der universalistischen Herrschaftsansprüche (16. Jahrhundert):
Das frühneuzeitliche Europa war gekennzeichnet durch einen beginnenden innenpolitischen Strukturwandel, der auch das Verhältnis der einzelnen Staaten zueinander beeinflusste. Die territorialstaatlichen Kräfte gewannen in Mittel-, die nationalstaatlichen Monarchien in Westeuropa zunehmend an Gewicht. Aufgrund des Niedergangs der feudalen (Zwischen-)Gewalten im Hundertjährigen Krieg konnte zuerst das französische Königtum einen nationalen, zentralistisch orientierten Staat mit Fachbeamtentum, geordneter Geldwirtschaft und stehendem Heer aufbauen. Darin folgten der französischen Krone Portugal, das seit 1479 die Reiche Aragonien und Kastilien vereinigende Königreich Spanien, das seit 1485 mit starker Hand von den Tudors regierte und sich bald rechtlich, kirchlich und politisch vom Kontinent abgrenzende England sowie nach 1525 Schweden und Dänemark-Norwegen. Dagegen suchten im mittleren Teil Europas, in Deutschland und Italien, zunehmend verschiedene fürstliche und städtische Partikularmächte die schwächer werdende kaiserliche Zentralgewalt für ihre Interessen zu nutzen. Allein das unter Kaiser Karl V. seine größte Ausdehnung entfaltende habsburgische Weltreich bot noch einmal die Möglichkeit einer, wenn auch föderativ gegliederten, Einheit des Abendlandes, da die Habsburger 1477-93 Burgund und 1526 Böhmen und Ungarn erwarben, sich dynastisch mit den 1516 von ihnen beerbten spanischen Königen verbanden und in den ökonomisch führenden Ländern Italien und Deutschland herrschten. Doch wenngleich sich durch die damit verbundene Partizipation an den portugiesisch-spanischen Entdeckungen, Eroberungen und Siedlungen in Amerika, Afrika und Asien eine christliche Welteinheit unter dem Haus Habsburg anzudeuten schien und Karl V. gemeinsam mit dem Papsttum noch einmal einen entsprechenden universalen Führungsanspruch erhob, scheiterte dessen Politik an den durch die habsburgische Umklammerung Frankreichs und dessen Widerstand ausgelösten Konflikten, an der gleichzeitigen Notwendigkeit einer Abwehr der türkischen Expansion im Südosten sowie v. a. an den sich im Heiligen Römischen Reich mit der Reformation verbindenen Fürsten und am Gedankengut der Renaissance, die einer Erneuerung hochmittelalterlich-universalistischer Ideale entgegenarbeiteten.
Denn Renaissance, Humanismus und Reformation leiteten einen an partielle mittelalterliche Reformbestrebungen anknüpfenden geistesgeschichtlichen Wandel ein. In Architektur, Malerei, Plastik und in der durch den Buchdruck größere Verbreitung gewinnenden Literatur dokumentierte sich der säkulare Lösungsprozess des Individuums aus der traditionellen Dogmatik hierarchisch-christlichen Denkens, der sich, von Italien ausgehend, im Rahmen der Wiederentdeckung der Antike wie einer neuen, diesseitsorientierten künstlerischen und wissenschaftlichen Naturerfahrung v. a. im Kreis einer kleinen Gelehrtenelite vollzog. Politische Brisanz erlangte diese Entwicklung aufgrund ihrer Unterstützung durch die Fürsten und das Großbürgertum in deren Auseinandersetzung mit den feudalen Verhältnissen. Dies galt besonders für die sich in Mittel-, West- und Nordeuropa durchsetzenden reformatorischen Bewegungen mit ihrer engen Anbindung von Glaubensfragen an die Interessen staatlicher Obrigkeiten und ihren Zielen staatskirchliche Autonomie wie verfassungspolitische Veränderungen. Die Reformation M. Luthers in Deutschland und der von der Schweiz ausgehende Kalvinismus wie die dadurch ausgelösten Konsolidierungsbestrebungen der katholischen Gegenreformation leiteten die Politisierung der strittigen Glaubensinhalte und die Konfessionalisierung der machtpolitischen Konflikte ein. Dabei hielt die katholische Kirche durch die Gründung des Jesuitenordens und die Beschlüsse des Trienter Konzils an der im Papsttum gipfelnden Kircheneinheit und ihren mittelalterlichen Traditionen fest. Zugleich aber wurden im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen die durch den Renaissance-Humanismus, die aufblühenden Wissenschaften und durch die Entdeckungsfahrten erworbenen neuen Erkenntnisse an das christliche Weltbild rückgebunden. Und indem der sich ausbildende Fürstenstaat bei allen drei Konfessionen nun einen bestimmenden Einfluss auf die Kirche gewann, erhielt er ebenso eine neue geistige Legitimation, wie er damit Wissenschaften und Künste verstärkt in den Dienst staatlicher Repräsentation stellte (höfische Residenzkultur des Barock).
Zeitalter der Aufklärung und der Revolution
Das europäische Staatensystem zwischen Hegemonie- und Gleichgewichtspolitik (17. Jahrhundert bis 1814/15):
Mit den französischen Hugenottenkriegen (1562-98) setzte eine Kette konfessioneller Bürgerkriege ein, die im machtpolitischen Ringen bald internationalisiert wurden, den Dreißigjährigen Krieg (1618-48) bestimmten und erst mit dem 1. Nordischen Krieg (1655-60) endeten. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen verschoben das politische Kräfteverhältnis in Europa nachhaltig. Nachdem schon die Niederlage der Armada gegen die englische Flotte 1588 die europäische Hegemonie Spaniens erschüttert, den späteren Aufstieg Englands zur Weltmacht vorbereitet und so eine expansivere Phase europäischer Kolonialpolitik eingeleitet hatte, schrieb der Westfälische Friede 1648 eine neue Friedens- und Staatenordnung fest. In ihrem Rahmen wurde die Vorrangstellung Frankreichs im kontinentalen West- und die Schwedens in Nordeuropa ebenso bestätigt, wie die nun international garantierte Souveränität der deutschen Reichsstände den endgültigen Sieg territorialfürstlichen Libertät gegenüber dem Kaiser sicherstellte und das Heilige Römische Reich in einen Staatenverbund auflöste. Zugleich aber neutralisierte das Prinzip staatlicher Gleichberechtigung und religionspolitische Selbstbestimmung die Konfessionsunterschiede als Konfliktfaktor. 1648 und v. a. in den Friedensschlüssen von Utrecht, Rastatt und Baden, die 1713/14 den durch die französische Hegemonialbestrebungen ausgelösten Spanischen Erbfolgekrieg beendeten, wurde die Idee einer universalen Einigung Europas wie die der Hegemonie eines Staates aufgegeben und durch die Zielvorstellung eines Gleichgewichts der Kräfte ersetzt, das auch durch das sich ausbildende neue Völkerrecht (»ius publicum Europaeum«) gesichert werden sollte. Das Streben nach Gleichgewicht lag besonders im Interesse Englands, das nach seinem zukunftsweisenden Übergang zum Konstitutionalismus mit der Glorreichen Revolution 1688 durch eine Außenpolitik der »Balance of Power« Spielraum zum Aufbau seiner maritimen Weltstellung erlangte.
Daneben entstand im Frankreich Ludwigs XIV. der für die kontinentaleuropäische Entwicklung beispielgebende moderne Staat des Absolutismus, der durch straffe Zentralisierung und Rationalisierung des Staatsapparats, den Aufbau einer effizienten Bürokratie und den Übergang zum staatlich gesteuerten Wirtschaftssystem des Merkantilismus den Einfluss der traditionellen Adelselite zurückdrängte, dem wirtschaftlichen Aufstieg des Bürgertums Rechnung trug und mit einer umfassenden Disziplinierung aller Sozialschichten die traditionellen Strukturen des Ständewesens zur effektiven Machtsteigerung des weitgehend autokratischen Monarchen funktional auszugestalten suchte. Diesem Vorbild folgten auch die bedeutendsten deutschen Fürsten, die ihre seit 1648 souveränen, jedoch unter den Kriegsfolgen leidenden Territorien reorganisierten, wobei Brandenburg-Preußen unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., der Große, zur Großmacht aufstieg, ebenso wie das habsburgische Österreich, dem 1699 mit der Rückeroberung Ungarns in den Türkenkriegen die endgültige Abwehr der Europa seit 1526 bedrohenden osmanischen Expansion gelungen war. Neben England, Frankreich, Preußen und Österreich trat Russland, das 1721 den 2. Nordischen Krieg für sich entschieden hatte, unter Peter I., dem Großen, und seinen Nachfolgern Zugang zu westlichen Ideen fand und mit seinen Vorstößen nach Ostmittel- und Südosteuropa zunehmend an Gewicht gewann, in den Kreis der politisch führenden Mächte (Pentarchie, »Fünferherrschaft«) ein. Deren völkerrechtlich verbindlicher Anspruch auf eine Kollektivhegemonie in Europa wurde jedoch durch außenpolitische Machtinteressen immer wieder gefährdet. Zwar verhinderte das System der Kabinettspolitik mit seinen Bündnissen, Erbfolgekriegen und Abtretungen die völlige Vernichtung eines Staates (mit Ausnahme Polens), doch führte der folgenreiche preußisch-österreichische Dualismus, der durch den von Preußen rechtswidrig ausgelösten Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-48) offenbar und im Siebenjährigen Krieg (1756-63) zu seinen Gunsten entschieden wurde, zu weit reichenden Konflikten, die zum ersten Male weltpolitische Dimensionen annahmen. Denn nachdem sich schon mit der Gründung der portugiesischen wie spanischen Kolonialreiche seit 1500 der ökonomische Schwerpunkt Europas an die atlantische Küste verlagert hatte, diese Entwicklung durch die Bedeutung der niederländischen, französischen und englischen Besitzungen in Übersee verstärkt worden war und Deutschland wie Italien aufgrund der Bedrohung der orientalischen Handelswege durch das Osmanische Reich an handelspolitischem Gewicht verloren hatten, entriss England, das durch seine geopolitische Lage zur führenden Flottenmacht aufstieg und seit 1650 die kolonial und ökonomisch führenden Niederlande überflügelt hatte, im Siebenjährigen Krieg als Bundesgenosse Preußens Frankreich die Vorherrschaft in Nordamerika wie in Indien.
Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verbreiteten sich mit der Aufklärung die Ideen der Humanität, Toleranz, Vernunftreligion und rationalen Ordnung des Lebens durch das sich selbst bestimmende, von Tradition wie Autorität unabhängige und von Natur aus vernünftige Subjekt, das den philosophischen Systemen eines R. Descartes, B. Spinoza, J. Locke, G. W. Leibniz und I. Kant zugrunde lag. Wie die politische und ökonomische wechselte im Rahmen dieser allgemeinen Entwicklung auch die kulturelle Führungsrolle zwischen den europäischen Nationen. Die Bedeutung Italiens und Deutschlands im Zeitalter von Renaissance und Reformation wurde abgelöst durch die Spaniens, der nach 1648 der Vorrang der französischen Kultur folgte. Dieser Vorrang wurde im 18. Jahrhundert durch außereuropäische (im Zuge kolonialer Expansion importierte) sowie v. a. englische Kultureinflüsse ergänzt. Letztere traten nach 1750 auf dem Kontinent stärker in den Vordergrund, bis nach 1790 der deutsche Idealismus der Klassik und Romantik eine weit reichende Wirkung entfaltete.
Für die politische Zukunft Europas wurde der revolutionäre Umbruch in Frankreich entscheidend. Während im konstitutionellen England mit der industriellen Revolution bereits eine neue Phase des sozioökonomischen Wandels eingesetzt hatte, gelang es dem aufgeklärten Absolutismus - trotz seiner auf Rechtsgleichheit und -sicherheit zielenden Reformen von oben und ersten Ansätzen zur Bauernbefreiung - nur ungenügend, die durch den sozialen Strukturwandel ausgelösten Spannungen aufzufangen. Vorbereitet durch die Ideen der Aufklärung, die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika und ausgelöst durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisensymptome, überwand die Französische Revolution 1789 mit ihren Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und mit der Proklamation der Menschenrechte das traditionelle monarchisch-ständische Staatsverständnis zugunsten der Wertvorstellungen einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung im Zeichen von Liberalismus, Demokratie und nationale Selbstbestimmung im Sinne des modernen Nationalismus. Die Umsetzung dieser durch den sendungsbewussten Expansionismus der Revolutionskriege in fast ganz Europa verbreiteten Ideale mündete jedoch in das plebiszitär-autoritäre Regime des späteren Kaisers Napoleon I. Auch scheiterte dessen Versuch einer imperialen Beherrschung Europas, der in den napoleonischen Kriegen die Staatenordnung nachhaltig gefährdete und das Ende des Heiligen Römischen Reiches besiegelte, am Widerstand der durch die französische Hegemonie bedrohten Flankenmächte England und Russland und an deren Unterstützung durch das in den Befreiungskriegen geweckte Nationalbewusstsein der Deutschen. Doch blieb das auch unter der napoleonischen Herrschaft mit ihren Modernisierungsansätzen bewahrte Ideengut von 1789 bis heute für die Entwicklung Europas bestimmend.
Neueste Zeit
Industrialisierung, Nationalstaat und Imperialismus (1814/15-1918):
Die 1814/15 auf dem Wiener Kongress maßgeblich von Großbritannien betriebene Neuordnung Europas im Sinne einer Restauration des Gleichgewichts der am Prinzip der Legitimität festhaltenden Großmächte erwies sich als wenig tragfähig. Denn nach der Gründung der Heiligen Allianz durch Russland, Österreich und Preußen, die eine bis zur militärischen Interventionspolitik gehende Abwehr der liberalen und nationalen Bewegung betrieben, zerfiel die Pentarchie in den liberalen englisch-französischen Westblock und die von Russland angeführten konservativ-reaktionären Ostmächte. Während Großbritannien außenpolitisch den Liberalismus und Nationalismus in Europa förderte und innenpolitisch durch verfassungs- und gesellschaftspolitische Reformen den sozialen Veränderungen des Industriezeitalters Rechnung trug, wandte sich die antirevolutionär-konservative Politik Metternichs strikt gegen die Emanzipationsbestrebungen der bürgerlichen nationalen Konstitutionsbewegungen. Dennoch gaben der griechische Freiheitskampf 1821-29 und v. a. die französische Julirevolution 1830 wesentliche Impulse für die Schaffung moderner Verfassungsstaaten im Zeitalter des Vormärz. Zwar wies die wiederum von Frankreich ausgehende und nahezu ganz Europa erfassende Revolutionsbewegung 1848 auf den Übergang des Konstitutionalismus zum Parlamentarismus voraus, doch führte sie machtpolitisch aufseiten der monarch. Herrscher zur gegenrevolutionären Reaktion und zu Ansätzen eines Neoabsolutismus, sodass das gespannte Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft in Mitteleuropa ebenso bestehen blieb wie die ungelöste nationale Frage im Deutschen Bund und in Italien. Erst nachdem Großbritannien und Frankreich im Krimkrieg (1853/54-56) Russlands Einfluss auf Deutschland und seine Unterstützung Österreichs beseitigt hatten, wurde der Weg frei für die Errichtung von Nationalstaaten in Italien (1860-70) und Deutschland (1866-71). Das durch die Reichsgründung neu ausbalancierte europäische Mächtegleichgewicht, das die Bündnispolitik O. von Bismarcks anstelle der britischen Diplomatie zum Garanten einer multipolaren Friedenssicherung in Europa werden ließ, wurde jedoch zunehmend bedroht durch die Nationalstaatsbewegungen in Ost- und Südosteuropa, die angesichts der Schwächung des Osmanischen Reiches und der Donaumonarchie durch den russischen Panslawismus und die italienische Irredenta gefördert wurden und immer wiederkehrende Balkankrisen auslösten. Deren wachsende Sprengkraft verschärfte sich noch dadurch, dass mit der großen Depression (1873-96) die in einer eskalierenden Schutzzollpolitik zum Ausdruck kommende ökonomische Konkurrenz der Industriestaaten an Gewicht gewann.
Die von Großbritannien ausgehende Industrialisierung, die in einem west-östlichen Entwicklungsgefälle phasenverzögert die Kontinentalstaaten erfasste, führte zum Übergang von der alteuropäischen Adels- und Agrar- zur modernen Massengesellschaft. Sie setzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Belgien, den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz ein, erreichte aber erst im letzten Jahrhundertdrittel Schweden, Italien und Russland, nachdem seit 1850 Deutschland in einer rapiden Entwicklung zur führenden Industrienation auf dem Kontinent aufgestiegen war. Vor dem Hintergrund eines bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden erheblichen Bevölkerungswachstums, das in Verbindung mit periodischen Versorgungskrisen im Pauperismus zur Massenarmut der Unterschichten und zu Auswanderungswellen nach Übersee führte, verlagerte der Industrialisierungsprozess die Wanderungsbewegungen in die Ballungsgebiete, verstärkte damit die Urbanisierung und brachte ein Proletariat hervor, das sich bald in der internationalistischen Arbeiterbewegung organisierte. Deren Forderung nach sozialer Emanzipation und Gleichheit ließ die soziale Frage zu einem Kernproblem der Industriestaaten werden. Analog zu den sozioökonomischen Differenzierungsprozessen entfaltete sich im Zuge der Parlamentarisierung, der schrittweisen Demokratisierung des Wahlrechts und der Herausbildung einer politischen Öffentlichkeit das Spektrum sozialistischer, liberaler und konservativer Verbände und Parteien, das die politische Kultur Europas bestimmte.
Während die Wissenschaften im 19. Jahrhundert im Zeichen des Positivismus sowohl im Bereich der historischen Geistes- wie der industriell verwertbaren Naturwissenschaften nicht zuletzt durch umfassende staatliche Bildungsreformen einen ungeheuren Aufschwung erlebten, wuchs die Trennung von technischer und literarisch-ästhetischer Kultur. Deren romantisch-historisierende Tendenzen in Kunst, Literatur und Malerei suchten den grundlegenden Wertewandel in einem bald monumentalen Eklektizismus zu kompensieren. Dagegen legten die avantgardistischen Strömungen des Realismus, Naturalismus, Impressionismus und Expressionismus die sozialen Missstände schonungslos bloß und wandten sich gegen die verbreitete Fortschrittsgläubigkeit.
Im Gegensatz zu dem sich darin manifestierenden Krisenbewusstsein stand die im Zuge des Kolonialismus vehement betriebene Europäisierung der Erde nach den Maßstäben der westlich-technischen Zivilisation. Im Zeitalter des Imperialismus fiel sie mit der zunehmenden Bereitschaft der politischen Führungseliten Europas zu einer militärischen Austragung der vorübergehend in außereuropäische Gebiete verlagerten Konflikte zusammen. Vor dem Hintergrund der wachsenden deutsch-britischen Flottenrivalität, des andauernden deutsch-französischen Gegensatzes, der nationalen Spannungen in Österreich-Ungarn und der gesellschaftlichen Instabilität im zaristischen Russland, das seine inneren Probleme durch eine Expansion auf der Balkanhalbinsel zu überdecken suchte, brach im Klima eines übersteigerten Nationalismus und forciert durch den Automatismus der Bündnissysteme der Erste Weltkrieg aus, der zum Zerfall der Vielvölkerstaaten Österreich-Ungarn und Osmanische Reich sowie zu tief greifenden innenpolitischen Erschütterungen in vielen Ländern führte (u. a. russische Februar- und Oktoberrevolution 1917, deutsch Novemberrevolution 1918).
Europa nach dem Ersten Weltkrieg:
Der Ausgang des Ersten Weltkriegs und die russische Revolution (1917) zerstörten das europäische Mächtesystem des 19. Jahrhunderts und erschütterten die zentrale Stellung Europas in der Weltpolitik. In Russland entstand nach dem Sturz der Zarenherrschaft und der Machtergreifung der Bolschewiki unter W. I. Lenin erstmals ein kommunistischer Staat (seit 1922 UdSSR), der sich einem Bürgerkrieg sowie der militärischen Intervention der Westmächte und Japans (1918-21/22) ausgesetzt sah. Die meisten Territorien, die sich dem russischen Machtbereich 1917/18 durch ihre Proklamation zu unabhängigen Staaten entzogen hatten, wurden ab 1920 (zumeist durch Einmarsch der Roten Armee) zu Sowjetrepubliken umgeformt und schließlich in die UdSSR eingegliedert (u. a. Georgien, Armenien, Aserbaidschan, 1940 schließlich auch die baltischen Republiken). Seit Mitte der 20er-Jahre errichtete J. W. Stalin ein totalitäres Herrschaftssystem in der Sowjetunion (Stalinismus, Sowjetunion, Geschichte).
Der Versuch, in der Nachkriegszeit mit dem Völkerbund eine auf dem Prinzip der kollektiven Sicherheit beruhende Friedensordnung zu schaffen, wurde schon durch den politischen Rückzug der USA (1920) aus Europa gefährdet und durch den die Zwischenkriegszeit beherrschenden Konflikt zwischen den Verteidigern des bestehenden Zustands und den um seine Revision bemühten Mächten zum Scheitern gebracht. Die in den Pariser Vorortverträgen besiegelte staatliche und territoriale Neuordnung Europas nach dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker erwies sich als Quelle von Spannungen und Revisionsforderungen. Frankreichs Hegemonialpolitik stützte sich auf ein System von Bündnissen mit den neuen Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (z. B. die Kleine Entente) und setzte die Reparationspolitik als Mittel zur Niederhaltung Deutschlands ein. Demgegenüber betrieben die Regierungen der Weimarer Republik eine Revision des Versailler Vertrages in allen Bereichen (Grenzen, Reparationen, Rüstungsbeschränkungen) mit dem Ziel, den Großmachtstatus Deutschlands wiederherzustellen. Unter diesem Vorzeichen standen sowohl der Rapallovertrag (1922) und der Berliner Vertrag (1926) mit der UdSSR (mit seiner antipoln. Stoßrichtung) als auch die deutsch-französische Verständigung in den Locarnoverträgen (1925), ein Erfolg des deutschen Außenministers G. Stresemann und des französischen Ministerpräsidenten A. Briand, zugleich aber auch das Ergebnis der auf einen friedlichen Ausgleich zwischen beiden Staaten gerichteten Diplomatie Großbritanniens.
Die nach längerer außenpolitischer Isolierung der UdSSR 1924 eingeleitete Normalisierung der Beziehungen zu den westeuropäischen Mächten diente Stalin zur Absicherung einer rigorosen revolutionären Umgestaltung Russlands und der von ihm beherrschten Gebiete, dem »Aufbau des Sozialismus in einem Land«, einer Aufgabe, an der sich auch die Tätigkeit der Kommunistischen Internationale (Komintern) immer stärker ausrichten musste.
Der Aufstieg der USA zur führenden Wirtschaftsmacht und die verhängnisvolle Koppelung zwischen den Kriegsschulden der Alliierten gegenüber Amerika, deutsch Reparationsverpflichtungen und amerikanisches Kapitalexport begründeten eine Abhängigkeit der europäischen Wirtschaftsentwicklung von der amerikanischen, deren Ausmaß die 1929 beginnende Weltwirtschaftskrise enthüllte. Depression und Massenarbeitslosigkeit wurden in mehreren europäischen Ländern zum Nährboden antiparlamentarischer, antiliberaler und nationalistischer Bewegungen. Schon 1922 hatten in Italien die Krise des liberalen Staates, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kriegsfolgen und die Revolutionsfurcht der Mittelschichten dem Faschismus unter der Führung B. Mussolinis zur Macht verholfen. Auf der Iberischen Halbinsel sowie in Ost- und Südosteuropa waren autoritäre Regime entstanden. Hatten sich in Deutschland schon vorher die nationalistischen Emotionen an der Reparationsfrage entzündet, so steigerten sich diese durch die Erfahrung der Krise und entwickelten sich zur Triebkraft für Aufstieg und Machtergreifung des Nationalsozialismus. Die Einigung über das Ende der Reparationen (Konferenz von Lausanne, 1932) änderte daran nichts mehr. A. Hitlers rassenideologisch motiviertes Programm kontinentaler Expansion nach Osten, das nur durch Krieg zu verwirklichen war, ging weit über die Revisionsziele des bürgerlichen Nationalismus hinaus, knüpfte jedoch in der Vorbereitungsphase an diese an. Angesichts der Rücksichtslosigkeit, mit der sich das nationalsozialistische Deutschland vertraglicher Bindungen entledigte (Austritt aus dem Völkerbund 1933, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935, Besetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlands 1936), reagierten die Westmächte defensiv und beschwichtigend. Die britische Appeasementpolitik, die auch beim Überfall des faschistischen Italien auf Abessinien (1935/36) zur Ohnmacht des Völkerbundes beitrug, war von der Hoffnung geleitet, die Anerkennung von Revisionswünschen (bis hin zum »Anschluss« Österreichs und der Eingliederung der Sudetengebiete) werde das Deutsche Reich saturieren und den Frieden sichern (1938 Münchener Abkommen). Frankreichs Handlungsfähigkeit wurde durch die innenpolitische Polarisierung zwischen links und rechts (vor und nach dem Sieg der Volksfront, 1936) geschwächt. Der Spanische Bürgerkrieg (1936-39) führte zu einem gemeinsamen militärischen Eingreifen des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland aufseiten der aufständischen Streitkräfte des Generals F. Franco, die den Sieg über die von der UdSSR und internationalen Brigaden unterstützte Regierung der Republik davontrugen. Die Achse Berlin-Rom verfestigte sich zum Kriegsbündnis, als Italien 1937 dem Antikominternpakt zwischen Deutschland und Japan (1936) beitrat und 1939 mit dem Deutschen Reich den Stahlpakt abschloss. Die UdSSR, die 1934 dem Völkerbund beigetreten war, um angesichts der von Japan und Deutschland ausgehenden Bedrohung zum eigenen Nutzen das System der kollektiven Sicherheit zu stärken, entschied sich mit dem Hitler-Stalin-Pakt (1939) für eine Politik des Zeitgewinns und für die Aufteilung des östlichen Europas in Interessensphären.
Der von Hitler mit dem Überfall auf Polen 1939 entfesselte Eroberungs- und Vernichtungskrieg (Zweiter Weltkrieg) endete mit der Niederlage des Deutschen Reiches (bedingungslose Kapitulation am 7. 5. und 8./9. 5. 1945) sowie der Ausschaltung Europas als Kraftzentrum der Weltpolitik. Die Nachkriegsordnung wurde von den Zielen der USA und der UdSSR bestimmt. Ihre Unvereinbarkeit führte zum Zerfall der Kriegskoalition zwischen den Westmächten (USA, Großbritannien u. a.) und der UdSSR und zur Spaltung Europas in zwei Bündnissysteme, die sich in einem globalen Konkurrenzverhältnis gegenüberstanden. Neben dem Ost-West-Konflikt war es die Entkolonialisierung, die die Stellung Europas in der Welt tief greifend veränderte. Beide Entwicklungen förderten einen Prozess politischer Gemeinschaftsbildung im westlichen Europa, der die Voraussetzungen für eine enge wirtschaftliche Verflechtung schuf.
Der Kalte Krieg entstand aus dem Gegensatz zwischen dem sowjetischen Streben nach einer Hegemonie über das östliche Europa und dem amerikanischen Ziel einer Neuordnung des befreiten Europas, die liberaldemokratischen Prinzipien folgen und den USA wirtschaftliche und politische Einflusschancen eröffnen sollte. Das sowjetische Vorgehen in Polen, die Auseinandersetzungen um die Besatzungspolitik in Deutschland, die Verkündung der Trumandoktrin und das amerikanische Angebot eines Wiederaufbauprogramms für Europa (Marshallplan, ERP) leiteten eine Ära schärfster Konfrontation zwischen den Supermächten ein. Auf die amerikanische Politik der Eindämmung (Containment) reagierte die UdSSR mit der Gleichschaltung der von ihr im Verlauf ihres Vormarsches nach Deutschland besetzten Gebiete.
Die Blockbildung vollzog sich über die Entstehung zweier deutschen Staaten, die Gründung des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf östlicher, der NATO auf westlicher Seite (1949); sie fand ihren Abschluss mit der Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Westeuropäische Union (WEU) und die NATO (1954/55) sowie mit der Gründung des Warschauer Pakts unter Einschluss der DDR (1955). Erhebungen gegen das stalinistische System (z. B. 1953 in der DDR, 1956 in Polen und Ungarn) wurden von der UdSSR in der Regel (mit Ausnahme der Unruhen in Polen) militärisch unterdrückt.
Aufgrund der ideologischen und militärischen Frontbildungen, die tief in die Innenpolitik westeuropäischer Staaten hineinwirkten, blieb die innerhalb der Europabewegung verfochtene Zielvorstellung, Europa zur »dritten Kraft« zwischen den beiden Weltmächten zu machen, eine Utopie. Nachdem die Krisen um Berlin (1958, 1961) und Kuba (1962) die Risiken militärischer Konfrontation im Atomzeitalter deutlich gemacht hatten, bahnte sich zwischen den USA und der UdSSR eine Entspannung an, die sich jedoch angesichts der Verstrickung der USA in den Vietnamkrieg und der militärischen Unterdrückung reformkommunistischer Bestrebungen in der Tschechoslowakei (1968) durch die Intervention des Warschauer Pakts nur langsam entfaltete; erst das Zusammenwirken der amerikanischen Entspannungspolitik und der deutschen Ostpolitik seit 1969 brachte größere Erfolge bei der Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses (Abrüstung): SALT-I-Abkommen (1972), Moskauer Vertrag, Warschauer Vertrag (beide 1970), Berlinabkommen (1971), Grundvertrag (1973). Damit wurde der Weg frei für eine multilaterale Entspannungsdiplomatie im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und ihrer Folgekonferenzen, die die neutralen Staaten einbezog und die Fragen der Sicherheit (ergänzend zu den Verhandlungen über MBFR zwischen NATO und Warschauer Pakt), wirtschaftliche Zusammenarbeit und menschliche Kontakte über Systemgrenzen hinweg zusammen behandelte. Die Krise der Entspannung nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan (1979), die durch die Verhängung des Kriegsrechts in Polen (1981) noch vertieft wurde, löste in den USA und im westlichen Europa unterschiedliche Reaktionen aus, die einen Dissens über Nutzen und Kosten der Entspannungspolitik innerhalb des atlantischen Bündnisses offenbarten. Die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses (1979) über die Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa, mit dem die NATO einer Entkoppelung amerikanischer und europäischer Sicherheitsinteressen vorbeugen wollte, war v. a. in der Bundesrepublik Deutschland heftig umstritten. Der erfolgreiche Abschluss der Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa (KVAE, 1986) und besonders die Einigung zwischen den USA und der UdSSR über die Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenwaffen Ende 1987 (INF) verbesserten die Aussichten für Rüstungskontrolle und Entspannung.
In Westeuropa entfaltete der Europagedanke in der Nachkriegszeit starke politische Wirkungskraft. Mit der Gründung des Europarats (1949) verzeichnete die europäische Einigungsbewegung einen ersten Erfolg. Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1952) unterstellten die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten den Montansektor einer supranationalen Behörde. Nach dem Scheitern des Projekts einer Europäischer Verteidigungsgemeinschaft (1954) entschlossen sich diese »Sechs« mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957) zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes. Großbritannien und sechs weitere Staaten bildeten 1960 die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA). Nach der Verwirklichung der Zollunion (1968) begann der Ausbau der EG zu einer Wirtschafts- und Währungsunion (Haager Gipfel 1969, Werner-Plan 1970), der 1979 zur Einrichtung des Europäischen Währungssystems führte. Dem Defizit an demokratischer Legitimation, das Kritiker dem »Europa der Technokraten« vorhielten, sollte die Direktwahl des Europäischen Parlaments seit 1979 abhelfen. Nach einer ersten Erweiterung um Großbritannien, Irland und Dänemark (1973) gewann die EG durch den Beitritt Griechenlands (1981), Spaniens und Portugals (1986) international weiter an Gewicht, nahm damit aber zugleich ein stärkeres Nord-Süd-Gefälle und eine Verschärfung der aus der gemeinsamen Agrarpolitik erwachsenden Haushaltsprobleme in Kauf. Neben den dominierenden Bestrebungen zur europäischen Einigung traten in verschiedenen westeuropäischen Ländern separatistische und Autonomiebewegungen in Erscheinung (Autonomie).
Während die EG zunehmend in ein v. a. wirtschaftliches Konkurrenzverhältnis zu den USA trat, vollzog sich die Zusammenarbeit der kommunistischen Staaten Ost- und Südosteuropas unter der ökonomischen Dominanz und politische Hegemonie der UdSSR.
Der Zusammenbruch des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa, der Zerfall der Sowjetunion und die Beendigung des Ost-West-Konflikts:
Die KSZE-Schlussakte von Helsinki (1975) und u. a. die Gründung von Solidarność in Polen (1980) förderten die Entwicklung von Bürgerbewegungen in den kommunistischen Staaten Europas. Einen gesellschaftlichen Umbruch in Mittel- und Osteuropa mit weit reichenden Folgen für den ganzen Kontinent und die weltpolitische Entwicklung überhaupt löste die 1985 in der UdSSR vom damaligen Generalsekretär der KPdSU M. S. Gorbatschow eingeleitete Politik von Perestroika und Glasnost aus. Ursprünglich auf eine Modernisierung der sowjetischen Gesellschaft bei Aufrechterhaltung der kommunistischen Orientierung und Beibehaltung der Führungsrolle der Staatspartei gerichtet, eröffnete Gorbatschows Umgestaltungsversuch die Dialektik von verspäteter Reform (beziehungsweise Nichtreformierbarkeit) des kommunistischen Systems und seines raschen Zusammenbruchs.
Das von der Sowjetunion proklamierte außenpolitische »neue Denken« schuf zunächst Voraussetzungen für substanzielle Fortschritte in der Abrüstungspolitik (u. a. Abbau der atomaren Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa aufgrund des INF-Vertrages) und eine neue Phase der Entspannung. Zugleich strahlte der in der UdSSR verfolgte gesellschaftspolitische Kurs auf die anderen kommunistischen Länder Europas aus und bewirkte (trotz des Versuchs der dortigen orthodoxen Führungskräfte, ihre Länder von der sowjetischen Reformpolitik abzuschirmen) 1989-91/92 tief greifende Veränderungen, an denen die nationale Bürgerbewegungen und zum Teil auch kommunistische Reformkräfte (z. B. in Ungarn) einen wichtigen Anteil hatten. - Es erfolgte hierbei auch ein Rückgriff auf Werte (wie Freiheit, Humanität, Selbstverantwortung des Menschen, Rechtsbindung), die - nicht unumstritten - als Grundideen der abendländischen Kultur gelten. - In Polen, Ungarn, der DDR, der Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien und Albanien mussten die kommunistischen Regierungen zumeist unter dem Druck von Massenprotesten zurücktreten (mit Ausnahme Rumäniens »friedliche Revolutionen»). Die kommunistischen Parteien gaben ihr Machtmonopol auf und gerieten in der Regel in die Rolle der politischen Opposition. Die ehemaligen Volksrepubliken lösten sich von ihrer sozialistischen Zielsetzung (entsprechende Änderungen der Staatsnamen) und begannen mit der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente und eines pluralistischen Parteiensystems. Die Auflösung der »sozialistischen Staatengemeinschaft« führte 1991 zum Zerfall ihrer gemeinsamen wirtschaftlichen sowie militärisch-politischen Strukturen wie RGW und Warschauer Pakt und beendete den Kalten Krieg. Die schon am 9. 11. 1989 erfolgte Öffnung der Berliner Mauer signalisierte nicht nur das Ende der Spaltung Deutschlands, sondern auch der Teilung Europas. Der Gedanke des »gemeinsamen europäischen Hauses« gewann eine neue Dimension.
Mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands am 3. 10. 1990 und deren außenpolitische Absicherung (Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, Verträge mit den östlichen Nachbarländern) fand eines der zentralen Nachkriegsprobleme in Europa eine friedliche Lösung.
Hatten der Zusammenbruch des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa und die damit verbundene Beendigung des Ost-West-Konflikts zunächst die allgemeine Hoffnung hervorgerufen, Europa bald auf der Basis von Demokratie, Marktwirtschaft und Frieden einigen zu können (»Pariser Charta für ein neues Europa« vom November 1990), vollzog sich in der Folgezeit jedoch eine sehr differenzierte, zum Teil von starken Konflikten belastete Entwicklung. Einerseits schritt die noch unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts konzipierte Integration der EG-Staaten voran, andererseits verband sich der gesellschaftliche Neubeginn in Mittel- und Osteuropa z. T. mit staatlicher Zersplitterung u. a. Desintegrationsprozessen.
Die unter kommunistischer Herrschaft entstandenen Staatenföderationen in Mittel- und Osteuropa zerfielen 1991/92, was zu einer erheblichen Veränderung der politischen Landkarte führte. Nachdem sich Estland, Lettland und Litauen im August 1991 endgültig als unabhängige Republik von der UdSSR losgesagt hatten, bildeten die drei slawischen Republiken Russland, Ukraine und Weißrussland am 8. 12. 1991 die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS); der Beitritt weiterer acht ehemalige Sowjetrepubliken zu dieser lockeren Staatenverbindung am 21. 12. 1991 (Georgien wurde erst 1993 Mitglied) besiegelte das Ende des multinationalen Unionsstaates (Rücktritt Gorbatschows vom Amt des Staatspräsidenten am 25. 12. 1991 als letzter offizieller Schritt der Auflösung der UdSSR). Jahrzehntelang unterdrückte Nationalitätenkonflikte riefen in einigen ost- und südosteuropäischen Staaten blutige, zum Teil bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen hervor. Daran zerbrach z. B. 1991/92 das posttitoistische Jugoslawien. Aus ihm gingen die unabhängigen Republiken Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Slowenien und (das erst 1993 völkerrechtlich anerkannte) Makedonien hervor; Serbien bildete im April 1992 mit Montenegro einen jugoslawischen Reststaat. Blutige militärische Auseinandersetzungen in Kroatien (1991) und in Bosnien und Herzegowina (1992-95) v. a. mit den serbischen Bevölkerungsteilen waren auf eine Neuordnung der verschiedenen ethnischen Siedlungsgebiete gerichtet und von grausamen »ethnischen Säuberungen« begleitet. Erst das unter Vermittlung der USA geschlossene Abkommen von Dayton (1995) schuf Voraussetzungen für eine Friedensregelung im Raum des ehemaligen Jugoslawien. Besonders das Streben der Slowakei nach Eigenständigkeit ließ die Tschechoslowakei zerfallen (ab 1. 1. 1993 Trennung in Tschechische Republik und Slowakische Republik). Bürgerkriegsähnliche Konflikte entwickelten sich auch in Moldawien zwischen der rumänischstämmigen Bevölkerungsmehrheit und der russisch-ukrainischen Minderheit, die eine autonome Dnjestrrepublik ausrief. Die Russische Föderation wurde in ihren Randgebieten mit dem Separatismus einzelner Völker konfrontiert (z. B. in Tschetschenien, gegen das sich zwei russische Militärintervention richteten).
Die aus dem früheren Ostblock hervorgegangenen Staaten strebten bald (wenn auch mit unterschiedlicher Intensität) eine Mitgliedschaft in der NATO wie auch in der EU an. Russland, das einerseits im sicherheitspolitischen Bereich weiter mit den Ambitionen einer Großmacht auftrat, andererseits gezielt seine Einbindung in die europäischen Strukturen verfolgte (seit 1996 Mitglied des Europarats), wandte sich immer wieder vehement gegen eine Osterweiterung der NATO, besonders gegen die Aufnahme von Ländern in ihrem westlichen Vorfeld. Die Tatsache, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion rd. 25 Mio. Russen außerhalb der Grenzen der Russischen Föderation leben, trug mit zur russischen Interpretation der postsowjetischen Staaten als »nahes Ausland« bei, woraus diese sehr bald eine Bedrohung ableiteten, zumal die in Russland erstarkten kommunistischen und nationalistischen Kräfte die Wiederherstellung eines Staates in den Grenzen der früheren Sowjetunion forderten.
Die zum Teil bedrückenden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den postkommunistischen Staaten bewirkten dort eine oft instabile innenpolitische Situation (häufige Regierungswechsel, Massenproteste u. a. 1996/97 in Serbien, Bulgarien, Unruhen 1997 in Albanien) und lösten eine starke Wanderbewegung nach Westeuropa aus. Die Enttäuschung breiter Bevölkerungskreise in den postkommunistischen Staaten über die Entwicklung in ihren Ländern ermöglichte es mehreren Nachfolgeparteien der früheren KPs, die nicht selten in der Rolle des Verteidigers der sozialen Gerechtigkeit auftraten, wieder starken politischen Einfluss zu gewinnen (u. a. in Russland) oder sogar zeitweilig die Regierung zu stellen (z. B. in Bulgarien, Polen und Litauen). Die brisanteste europäische Krisenregion blieb jedoch der Balkan (u. a. NATO-Militäraktion im Kosovo 1999); ein »Stabilitätspakt für Südosteuropa« (1999) zielt auf die langfristige Konfliktlösung. Ein Wandels sezte ein, als nach zweiwöchigen Protestaktionen, u. a. einem Generalstreik, und einer »friedlichen Revolution« (5. 10. 2000; Zentrum Belgrad) S. Milošević zur Anerkennung seiner Wahleniederlage und zum Rücktritt gezwungen werden konnte.
»Europäisches Haus«:
Der Gedanke des »gemeinsamen europäischen Hauses« gewann nach Aufhebung der politischen Spaltung Europas eine neue Dimension, trotz Fortbestehens von separatistischen und Autonomiebewegungen auch in einigen westeuropäischen Ländern. War die europäische Integration mit der Verabschiedung einer Einheitlichen Europäischen Akte (1986/87), dem Maastrichter Vertrag (1992) als Gründungsvertrag der Europäischen Union (in Kraft seit 1. 11. 1993) sowie der Schaffung eines Europäischen Binnenmarktes zum 1. 1. 1993 immer weiter vorangetrieben worden, so erfolgte am 1. 1. 1995 die Aufnahme von drei neuen Mitgliedern in die EU (Finnland, Österreich und Schweden). Die Kontroverse in verschiedenen Ländern der EG über das Maastrichter Vertragswerk (in Dänemark erst nach Bewilligung von Ausnahmeregelungen durch ein zweites Referendum im Mai 1993 angenommen) führte aber auch zu zeitweiligen Differenzen innerhalb der Gemeinschaft und verdeutlichte, dass sich die Europäische Union im Spannungsfeld zwischen einzelstaatlichen und regionalen Interessen sowie gesamteuropäischen Erfordernissen bewegt. Die 1991/92 um zahlreiche neue osteuropäische Mitglieder erweiterte KSZE (seit 1995 OSZE) bemühte sich u. a. um Vermittlung in den in Osteuropa aufgebrochenen Konflikten; zu einem gesamteuropäischen Anliegen entwickelte sich die Wirtschaftshilfe für die mit einem schweren ökonomischen Erbe ringenden mittel- und osteuropäischen Staaten (u. a. durch die Osteuropabank).
Neben den zahlreichen Desintegrationsprozessen in Mittel- und Osteuropa kam es auch dort zu verschiedenen Ansätzen der Zusammenarbeit mit dem Ziel der baldigen Westintegration. 1991 schlossen Ungarn, Polen und die ČSFR (jetzt Tschechische Republik und Slowakische Republik) in Visegrád ein Bündnis zur politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit (Visegrád-Allianz); 1995 wurde Slowenien integriert. Aus dieser Visegrád-Gruppe wurden im März 1999 Polen, Ungarn und die Tschechische Republik als erste ehemalige Ostblockstaaten in die NATO aufgenommen. Ende März 1996 beschlossen die europäischen GUS-Mitglieder Russland und Weißrussland mit den zentralasiatischen Staaten Kasachstan und Kirgistan die Gründung einer Union nach dem Vorbild der EU (»Gemeinschaft Integrierter Staaten») und orientierten sich dabei v. a. an den gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen. Am 2. 4. 1996 begründeten Russland und Weißrussland eine »Gemeinschaft Souveräner Republiken« (Sozialistische Sowjetrepublik), die auf Bildung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes bis Ende 1997 sowie eine enge Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik gerichtet war.
Mit dem Vertrag von Amsterdam (Oktober 1997) erhielt der wirtschaftlich-politische Zusammenschluss der EG-Staaten eine weitere programmatische Grundlage. Die europäische Integration schritt trotz mancher fort bestehender innereuropäischen Kontroverse weiter voran: Streben verschiedener weiterer Staaten nach Mitgliedschaft (EU-Erweiterung: im März 1998 Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit sechs Bewerberländern, am 10./11. 12. 1999 in Helsinki Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit insgesamt sechs weiteren Staaten [»Helsinki-Gruppe«] und Eröffnung der Verhandlungen am 15. 2. 2000, in Laeken Dezember 2001 modifiziert) und Annahme der Agenda 2000 am 25 3. 1999 (als Finanzrahmen für die Erweiterung der EU bis 2006). Nach langwierigen Kompromissverhandlungen wurde beim EU-Gipfel in Nizza (7.-10. 12.2000) eine zumeist kritisch kommentierte Einigung über den künftigen Zuschnitt der Europäischen Kommission, die Stimmgewichtung im Rat und die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen erreicht (Vertrag von Nizza, unterzeichnet am 26. 2. 2001); gleichzeitig verabschiedete der Europäische Rat am 7. 12. in Nizza eine Europäische Grundrechte-Charta, die von einem auf Beschluss des Europarats vom 3./4. 6. 1999 gebildeten Konvent unter Vorsitz von R. Herzog 1999-2000 erarbeitet worden war. Am 16. 12. 2001 wurde auf dem EU-Gipfel in Laeken (Belgien) die Bildung eines Konvents zur Vorbereitung der EU-Reform unter Vorsitz von V. Giscard d'Estaing beschlossen.
Der Tätigkeitsaufnahme durch die Europäische Zentralbank 1998 folgte zum 1. 1. 1999 die Einführung des Euro als Buchgeld in zunächst 11 Teilnehmerländern der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (Euro-Zone; ab 1. 1. 2001 zwölf) sowie die komplikationslose Einführung als Bargeld zum 1. 1. 2002.
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K. J. Bade: E. in Bewegung. Migration vom späten 18. Jh. bis zur Gegenwart (2002).
Weitere Literatur: europäische Integration, Europäische Union.
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1Eu|ro|pa; -s: 1. als Erdteil angesehener westlicher Teil Eurasiens. 2. Staatenkomplex, der durch einen Zusammenschluss der europäischen Staaten entstehen soll: sich für E. (einen Zusammenschluss der europäischen Staaten) einsetzen.
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2Eu|ro|pa (griech. Myth.): phönikische Königstochter, die von Zeus nach Kreta entführt wird.
Universal-Lexikon. 2012.